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Im Schlafgemach der Kurfürstin. Myriam Thyes projiziert Planeten und schwebende Hochhäuser an die Decke.

© Daniel Lindner SPSG

Schau auf Schloss Caputh: Wo Lara Croft Minerva trifft

Dialog der Geschichte: In der Schau „B.A.R.O.C.K.“ auf Schloss Caputh mischt sich neuzeitlicher Glanz mit Gegenwartskunst.

Da fehlte etwas. Ein weibliches Gesicht zwischen den bekränzten Häuptern, die sich die Galerie der Mächtigen im Vorgemach des Kurfürsten auf Schloss Caputh teilen. Myriam Thyes hat nun jedes der historischen Gemälde um ein Medaillon ergänzt. Sie hängen über den kaiserlichen Porträts und zeigen etwa Franka Potente aus dem Film „Lola rennt“ oder die kahl geschorene „Alien“-Jägerin Sigourney Weaver. Als Heldinnen des Kinos sind sie zwar ähnlich in Rollen gefangen wie ihre männlichen Pendants. Während aber Frauen zu Kaiser- wie Biedermeierzeiten auf Bildern bloß lächeln durften, schlägt und schießt und schreit diese neue Hollywood-Generation. Das ist schon mal ein Erfolg.

Thyes’ „Galerie der Starken Frauen“ (2018) gehört zu den zeitgenössischen Interventionen eines Künstlerinnen-Quartetts im Schloss (bis 31. Oktober, Di bis So 10-17.30 Uhr). Manches erkennt man sofort, anderes wie die fotografischen Blumenstillleben von Luzia Simons fügen sich fast nahtlos ins barocke Interieur. Die kleinen Bilder jedenfalls. Ihre übergroßen Formate im Treppenhaus wirken dagegen wie unbeholfene Aufsteller aus der Jetztzeit. Dabei verschränkt Simons raffiniert die Schönheit der welkenden Blumen mit dem Thema der Spekulation: Tulpen erinnern an das frühe 17. Jahrhundert, wo eine Tulpenmanie den Crash nach sich zog, als die absurden Preise für die Zwiebeln in Europa einbrachen. So führt der Blick in die Vergangenheit unweigerlich zum Vergleich mit der Weltwirtschaft seit 2008.

Eine neobarocke Melange

Die Kunst der Gegenwart changiert zwischen den Epochen und bringt den Ausstellungsort zum Leuchten. Symbolisch, denn der einstige Landsitz der Kurfürstin Dorothea verfügt selbst über eine prächtige Ausstattung mit herrschaftlichen Möbeln, opulenten Deckengemälden und vergoldetem Stuck. Wenn die Berliner Künstlerin Margret Eicher im kurfürstlichen Kabinett einen Spiegel von fast fünf Metern Länge auf dem Boden installiert, verdoppelt sie erst einmal all den Glanz einer barocken Ära, die sich noch im Einklang mit ihrem Schöpfer wähnte, die Welt aber zugleich schon wissenschaftlich zerlegte.

Eichers Arbeit mit dem Titel „Wonder! Woman!“ ist zum Teil mit dem Emblem jener weiblichen Comicfigur bedruckt. Wer in den Spiegel schaut, bekommt demnach alles: die Geschichte höfischer Repräsentation plus Minerva, die als Schutzgöttin und frühe, mythische Wonderwoman an der Decke prangt, dazu die erste Superheldin des Unterhaltungszeitalters und sich selbst zu Gesicht. Eine neobarocke Melange, gerührt und geschüttelt, doch ohne inneren Zusammenhang.

Die Tapisserien der Künstlerin im Schloss führen dieses Spiel fort. Was sich wie selbstverständlich in die Ausstattung fügt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als zeitgenössische Collagen. Entschlüsseln kann sie jeder, der mit Figuren wie Lara Croft, dem ehemaligen Oligarchen Mikhail Chodorkovsky oder US-Rapper Nelly vertraut ist. Das plakative Bildprogramm der schweren, in Belgien gewebten Teppiche erzählt die ewige Geschichte von Macht, Erfolg, Sex und Unterwerfung fort.

Das Ergebnis ist gelungen

Die vier Künstlerinnen haben lange an ihrem Dialog mit der Geschichte gefeilt. „B.A.R.O.C.K.“ zählt zu den ersten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, die die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg in ihren Häusern zulässt. Das Ergebnis ist gelungen. Schon weil das Quartett, zu dem noch die Britin Rebecca Stevenson gehört, sich nicht einfach einnistet, sondern intensiv mit dem Vorhandenen beschäftigt.

Wo im Schlafgemach der Kurfürstin die originale Deckenmalerei fehlt, setzt sich Myriam Thyes mit ihrer Videoprojektion „After Tiepolo“ von 2013 an seine Stelle: Aus dem Chaos schwebender Planeten wachsen Hochhäuser und verschwinden allmählich im Nebel. Die Menschheitsgeschichte im Zeitraffer. Rebecca Stevenson legt die Widersprüche im Barock frei, wenn sie jene steinernen Büsten in Wachs kopiert und verfremdet, die früher am „Mohrenrondell“ im Park Sanssouci standen. Es sind anonyme Gesichter von Schwarzen. Damals sollten sie für Exotik sorgen, heute verraten sie, wie tief die Epoche bereits in den Sklavenhandel verstrickt war.

Verführung der Sinne, Lustbarkeiten, Religiosität und knallharte Politik: Der Barock hält sämtliche Ingredienzen für das 21. Jahrhundert bereit. Wie nah sich die Zeitalter sind, davon bekommt man in der Ausstellung eine Idee. Und von der Schau selbst einen ersten Eindruck in der Berliner „Partner-Präsentation“ des Me Collectors Room (bis 18. August, Mi bis Mo 12-18 Uhr). Sammler Thomas Olbricht hat die vier Künstlerinnen eingeladen, seine exquisite historische Wunderkammer in der Auguststraße ebenfalls mit zeitgenössischen Objekten zu infiltrieren. Auch hier lösen sich die Unterschiede nahezu auf. Es sei denn, man stellt wie Myriam Thyes gleich einen Flipper auf, dessen leuchtendes, blinkendes Spielfeld Mythologisches zum Spielball abendlicher Zerstreuung macht.

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