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Scharoun Ensemble: Der Schatten des Klangs

Schwebende Obertöne, sakrale Atempausen: Das Scharoun Ensemble feiert sein 35. Jubiläum im Kammermusiksaal.

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Viele Komponisten haben Stücke in enger Zusammenarbeit mit dem Scharoun Ensemble geschrieben – doch an diesem Abend im Kammermusiksaal, mit dem das Ensemble sein 35-jähriges Bestehen feiert, erklingt nur eines. Das ist dafür gleich eine Uraufführung: Die „Drei Stücke für Ensemble“ von Mark Andre schneiden die überraschend sakrale Note an, die den Abend durchzieht. Andre spricht vom Verschwinden und von, wie er es nennt, Klangschatten. Er sieht darin einen Bezug zum Lukas Evangelium, liefert aber kein programmatisch sakrales Stück. Die Thematik des Verschwindens beginnt bei ihm mit der Analyse von Klängen, die seziert und beim Hineinhorchen ins Detail aufgelöst werden. Die Neuzusammensetzungen, Schatten der Ausgangsklänge, sind kompositorische Basis. Ohne große Ausdrucksgesten hört man ein Ensemble, das nach Stahl und Glas oder abstrakten Materialien klingt. Imposant etwa, als die Pianistin im tiefen Register Intervalle anschlägt, die sie lange hält und jetzt die Streicher Obertöne und genau auskomponierte Schwebungen hinzufügen. So entsteht der Eindruck eines ganz anderen Instrumentariums.

Bei Schönberg schwindet das Vertrauen in die Welt

Schwindet bei Mark Andre der Klang, so ist es bei Schönberg das Vertrauen in die Welt. Er weiß 1907/08 von der Affäre seiner Frau Mathilde, sinniert zudem über Gustav Mahlers Emigration. Seine innere musikalische Entwicklung, wohl auch unter dem Einfluss dieser Umstände, hat längst begonnen, das Publikum im Unverständnis abzuhängen. So steht sein zweites Streichquartett in einem fis- Moll, das sich in einer zunehmend dysfunktionalen, atonalen Umwelt verliert, bevor das Stück in einem verhalten optimistischen Schlussklang in Fis-Dur endet.

Optimistisch war 1978 auch der Ansatz des gerade mal 18-jährigen George Benjamin, der sich mit seinem Oktett vornahm, alles, was er im Studium bei Messiaen gelernt hatte, in nur zehn Minuten Dauer umzusetzen. Was allzu ambitioniert klingt, wird zurecht immer wieder als erstaunlich reif bewertet. Der Trick: Das Stück durchläuft viele kurze Stadien, in denen unterschiedliche Prinzipien abgearbeitet werden. Innerhalb dieser Teile aber ist es so einfach wie möglich gehalten. So auch in den Schlusstakten: Geradezu andächtig beruhigt sich alles, als nur noch die Becken mit weichem Filzschläger geschlagen werden, als würde eine Zeremonie ausgeleitet. Damit schließt es zu Sofia Gubaidulinas „Hommage à T. S. Eliot“ von 1987/91 auf, das streckenweise wie eine Liturgie anmutet. A capella Gesangspassagen, mit ruhiger Hand auskomponierte Koloraturen, dann wieder fast gesprochen, wechseln mit instrumentellen Teilen in getragenem Unisono mit langen Atempausen. Es als sakrales Werk zu beschreiben, wäre auch hier irreführend. Gubaidulina, wie Eliot, fragt vielmehr nach dem Ort des Spirituellen in der Moderne, als es bloß anzurufen. Das Programm berührt also, statt aus der eigenen Geschichte zu zitieren, die Vergänglichkeit selbst und klammert so nicht nur die eigenen 35 Jahre Ensemblegeschichte mit ein. Elegant gelöst. Und gewohnt souverän dargeboten.

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