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Auch eine Art des Umgangs. Auf der Weide eines Altersheims für Kühe im niedersächsischen Butjadingen. Hier wird weder gemolken noch geschlachtet.

© dpa/Sina Schuldt

Schaffer gegen Schwätzer: Die Bank gewinnt immer

"Bauer und Bobo": Florian Klenk legt einen deftigen Essay über die Teufelskreise in der Landwirtschaft vor.

Was Blunzen, Faschiertes, Geselchtes und Beuschel sind, erklärt kein Glossar am Ende dieses schmalen, rasanten Buches. All diese Speisen hinter den Austriazismen kommen vom Schwein – die Blutwurst, das Hackfleisch, das Geräucherte, die Lunge. Es gibt Menschen, die so etwas essen, sogar gern, vor allem aber gedankenlos. Florian Klenk, geboren 1973, Chefredakteur der in Wien erscheinenden Wochenzeitschrift „Falter“, war einer dieser Fleischesser – bis zu einem sehr besonderen Zusammenprall mit einem Fleischhersteller. Zuvor hatte er sich nicht mehr Gedanken über sein Konsumverhalten gemacht, als jeder andere linksliberale Städter mit akademischem Hintergrund auch.

Der weiß zwar im Prinzip einiges über die Brutalitäten der Massentierhaltung, über Antibiotika und das Schreddern von Küken, verdrängt es aber und greift im Supermarkt zu einem Paket Hähnchenschenkel oder eingeschweißtem Lammfleisch aus Neuseeland. Warum das so ist, schreibt Klenk gegen Ende seines dichten, deftigen Essays „Bauer und Bobo“.

Er sieht eine „Divergenz zwischen der Ja!-Natürlich-Schweinchen-Welt, der gediegenen Landleben-Magazin-Hüttenromantik, dem Sehnsuchtsort Bauernhof unserer Kinderbücher und den C02-Betäubungsbädern, den osteuropäischen Sklavenarbeitern, den Corona-Infizierten bei Tönnies und dem Strick, von dem Bauer Bachler so oft sprach.“

[Florian Klenk: Bauer und Bobo. Wie aus Wut Freundschaft wurde, Zsolnay Verlag, Wien 2021. 160 Seiten, 20 €.]

Bauer Bachler – das ist Christian Bachler, geboren 1983, er bewirtschaftet den höchstgelegenen Bauernhof in der Steiermark. Mit Bachler machte Klenk durch ein Hohnvideo im Netz Bekanntschaft. Der Verhöhnte war Klenk selbst. Was war passiert? Klenk, ein promovierter Jurist, hatte in einer Talkshow das sogenannte Kuh-Urteil gutgeheißen. Damit wurde ein Tiroler Bauer zu einer Schadenersatzzahlung verpflichtet, weil eine seiner Kühe einen Menschen getötet hatte.

Rache auf Facebook

Eine deutsche Touristin hatte 2014 mit ihrem angeleinten Hund auf einem öffentlichen Weg eine nicht eingezäunte Kuhherde passiert. Das Urteil wurde zum Skandal aufgebauscht, in dessen Windschatten sich plötzlich zwei historische Antipoden gegenüberstanden: Bauern und Büromenschen, Land und Stadt, Einfache und Großkopferte, Schaffer und Schwätzer.

Bachler reagierte auf Facebook – der Plattform, über die er auch seine Erzeugnisse verkauft, Fleisch von artgerecht lebenden Tieren. Alte Rassen wie die Mangalitza-Schweine, die rennen und wühlen dürfen, statt auf den Spaltenböden der Massenmastbetriebe vollgestopft mit Medikamenten im eigenen Kot und Urin bis zur Tötung dahinzuvegetieren. Der Bauer lud den „Oberbobo“ (Bobo steht für Bohemien bourgeois, also einen, der bürgerlich lebt und rebellisch tut) zu einem Hofpraktikum ein. Das Kuh-Urteil, merkte Klenk schnell, hatte nur den Vorhang geöffnet auf eine Realität, die gut verborgen wird, nicht zuletzt von den Bauern selbst. Denn das Ausmaß ihrer Bedrängnis ist so aussichtslos, dass viele sich dafür schämen, dass sie schweigen. Nicht wenige fallen in eine Depression.

Es ist ein komplexes Netz, in dem viele Bauern gefangen sind, ein Netz aus obszöner Preispolitik, EU-Subventionen unter Maßgabe sich ständig verändernder Förderrichtlinien, den Folgen des Klimawandels, Krediten, Zinsen und einer ehemals zur Unterstützung armer Bauern gegründeten Bank, die längst global agiert und andere Interessen vertritt, als die eines Bauern wie Bachler.

Klenk lässt Bachler selber reden: „Der Bank ist der Bauer wurscht, denn da warten Hunderte reiche Holländer auf die Versteigerung eines Hofes, den sie zum Ferienchalet umbauen und auf Airbnb vermieten. In der Raiffeisen sitzen heute die Betriebswirtschaftler in ihren Slim-fit-Anzügen, und sie wissen, dass sie nie verlieren werden. Ich habe den Kopf in den Sand gesteckt und an den Strick gedacht. Ich wollte mich aufhängen.“

Im Korsett der Massenproduktion

Manche werden es abtun als Einzelschicksal, aber Klenk zeigt, mit welcher Systematik die Bauern in das Korsett von Massenproduktion, Investition und Verschuldung gezwungen werden. Bachler hat Fehler gemacht, aber seine Versäumnisse sind nicht die Ursache für seine Überschuldung und sein prekäres Leben (800 Euro im Monat bleiben ihm, obwohl er unentwegt „hackelt“). Als Klenk über Nachbarn Bachlers von der Zwangsversteigerung des Hofs erfährt, wird er zum Aktivisten. Schnell organisiert er einen Top-Anwalt, Top-PR-Leute und macht vermeintliche Gegner wie einen bekannten Volksmusik-Star zu Verbündeten in einer Crowdfunding-Aktion, die Bachler zusammen mit ein paar Teilverkäufen seines Grunds vor dem Ruin rettet.

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Ein wahrer Agrar-Thriller ist es, den Klenk hier ablaufen lässt, und doch weist das Buch neben all der Spannung und dem barocken Nebeneinander von Schönheit und Verfall eine verhaltene Melancholie auf. In den Gesprächen zwischen Klenk und seinem Vater, Sohn von Bauern im Nebenerwerb, scheint eine versunkene bäuerliche Welt auf, „eine große Gemeinschaft“. Dass es in dieser Gemeinschaft Neid, Eifersucht, Mord und Totschlag gab, blendet Klenk nicht aus.

Aber wenn der Vater von der nicht befestigten Dorfstraße erzählt, die voller Leben war, fällt die heutige Dorfkulisse dagegen erbärmlich aus. Einfamilienhaus-Siedlungen mit Kieselstein-Vorgärten, sterile Areale, die sich um blanksanierte Dorfkerne winden. Ab und zu donnert ein Tiertransporter oder einer dieser Monstertrecker über die Landstraße. Am Steuer ein Bauer, den Städter nur dann wahrnehmen, wenn er laut hupend und demonstrierend die Berliner Straßen blockiert.

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