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Musiktheater ist das Teuerste. Szene aus Wolfgang Rihms Oper „Die Eroberung von Mexiko“, die im vergangenen Sommer in Salzburg Premiere hatte.

© dpa

Salzburger Festspiele: „Die ganze Stadt bebt“

Was Kultur kostet, wie Festivals funktionieren: Ein Gespräch mit Helga Rabl-Stadler, Sven-Eric Bechtolf und Florian Wiegand, dem Leitungstrio der Salzburger Festspiele - über Hausgötter, günstige Tickets und den Segen des Kulturtourismus.

Die Salzburger Festspiele gelten als teuerstes Festival der Welt. Ist das für Ihre Arbeit eher hinderlich oder ein Vorteil?
BECHTOLF: In der Tat hält sich hartnäckig die Vorstellung, es handele sich hier um eine Art Entenhausener Milliardärsklub. Dem ist nicht so. Mal abgesehen von den Premieren treffen Sie bei uns ganz normale Menschen, wie in anderen Opernhäusern auch. Sonst könnten wir ja nicht jeden Sommer 263 000 Tickets verkaufen. Sehr kenntnisreiche Besucher sind das übrigens in der großen Mehrheit, die auch neugierig sind, ja sogar experimentierfreudig.

RABL-STADLER: Mehr als die Hälfte aller Karten kosten zwischen 5 und 105 Euro. Allerdings sind die auch als erste weg. Ab 8. Januar haben zuerst unsere Freunde und Förderer ein Vorkaufsrecht. Wenn dann der allgemeine Vorverkauf im April beginnt, sind die günstigen Tickets ausverkauft. Das ist ein Dilemma, das wir nicht lösen können.

Österreichs Politikelite zeigt sich gerne bei den Festspielen. Nur in puncto Subventionen zeigt sich der Staat knausrig.

RABL-STADLER: Von den Festspielen wird gleichzeitig eine künstlerische und eine ökonomische Höchstleistung gefordert. Gelinde gesagt empfinden wir es als seltsam, dass wir immer wieder um das nötige Geld bitten und betteln müssen. In Wahrheit bekommen wir keine Subventionen, sondern die öffentliche Hand gibt uns einen Kredit, den wir noch im selben Jahr zurückzahlen – mit Wucherzinsen. Denn wir überweisen pro Jahr mehr an Steuern und Krankenkassenbeiträgen, als wir vom Staat bekommen. Wir haben derzeit ein Budget von rund 60 Millionen Euro, 16 Millionen Euro davon erhalten wir von unseren vier Abgangsdeckungsträgern, wie man in Österreich sagt: 40 Prozent vom Bund, je 20 Prozent von Land und Stadt sowie dem Tourismusförderungsfonds, einem ausschließlich aus Unternehmersteuern gespeisten Topf.

BECHTOLF: Eine Studie hat nachgewiesen, dass wir über die Umwegrentabilität fast 300 Millionen Euro an Wertschöpfung generieren, durch das Geld, das unsere Gäste ausgeben, wenn sie in Salzburg im Hotel wohnen, Essen gehen und bei den örtlichen Händlern einkaufen.

Und warum wird das nicht honoriert?

BECHTOLF: Wir haben einen Eigenwirtschaftlichkeitsgrad von nahezu 80 Prozent. In Kulturinstitutionen ist das normalerweise anders herum: 20 Prozent verdienen sie selber, alles andere kommt vom Subventionsgeber. Andererseits möchte ich keine Politikerschelte betreiben: In unseren Kuratoriumssitzungen erlebe ich, wie passioniert die Entscheidungsträger sich auf unsere Seite stellen. Wir haben es seitens der Politik nicht mit Gegnern zu tun – aber die finanzielle Lage der öffentlichen Hand ist einfach schlecht. Wir begreifen, dass es Verteilungskämpfe gibt. Bei den Universitäten funktioniert eine Dynamisierung der Zuschüsse, die Planungssicherheit gibt. In der Kultur dagegen nicht.

RABL-STADLER: Alle in der Kultur müssen heutzutage Lobbying betreiben – und wie kann man das am besten tun? Indem man auf die Umwegrentabilität verweist. Das aber ist eine Gradwanderung, weil es unsympathisch wirkt, wenn die Kulturmacher auch nur über Geld reden. Die Künstler stöhnen dann auf – und ich sage: Ich rede doch für Euch darüber, weil wir es sonst nicht hinbekommen finanziell.

Immer wichtiger werden die Sponsoren…

RABL-STADLER: … die systematisch von der Presse ignoriert werden! Mit Nestlé, unserem ältesten Sponsor seit 1991, veranstalten wir beispielsweise den „Nestlé und Salzburg Festival Conductors Award“, einen Nachwuchswettbewerb, der in kurzer Zeit ein sehr hohes Renommee gewonnen hat. Aber jedes Medium achtet darauf, dass der Name des Sponsors nicht auftaucht in der Berichterstattung. Das führt natürlich immer wieder dazu, dass ich mich rechtfertigen muss…

Die Salzburger Chefetage. Helga Rabl-Stadler, Sven-Eric Bechtolf und Florian Wiegand.
Die Salzburger Chefetage. Helga Rabl-Stadler, Sven-Eric Bechtolf und Florian Wiegand.

© Festspiele

Dennoch prangen jedes Jahr wieder die Logos von Topmarken auf Ihren Plakaten.

RABL-STADLER: Was uns die Sponsorenakquise leichter macht im Vergleich zu einem Stadttheater, ist die Tatsache, dass wir den Unternehmen eine internationale Plattform bieten. Wir haben Besucher aus 74 Ländern. Die global aktiven Unternehmen wären nicht an unserer Seite, kämen hier nicht jeden Abend Menschen aus aller Welt zusammen.

BECHTOLF: Über Sponsoring wird ja immer schnell despektierlich gesprochen. Aber eines muss man ganz klar sagen: Keiner unserer Sponsoren hat jemals versucht, sich künstlerisch einzumischen. Das würden wir auch nicht dulden. Selbstverständlich erwarten sich die Firmen von einer Zusammenarbeit einen positiven Imagetransfer. Aber wenn man die Verantwortlichen trifft, stellt man erstaunt fest, wie viel ehrliches Interesse dann doch da ist. Es gibt gar nicht so wenige Manager, die tatsächlich finden, dass ein Engagement im Kulturbereich zu ihren gesellschaftlichen Verantwortlichkeiten gehört. Übrigens bekommen war ja nicht nur von unseren Sponsoren Geld – unsere großzügigsten Unterstützer sind die Freunde der Salzburger Festspiele…

RABL-STADLER: … die uns jedes Jahr 2,4 Millionen Euro zukommen lassen.

BECHTOLF: Das ist wirklich einmalig. Und viele dieser Mäzene wollen gar nicht namentlich genannt werden.

RABL-STADLER: Ich bin froh, dass ich schon sehr früh auf Mäzene gesetzt habe. Es gibt genügend wohlhabende Menschen, die etwas zurückgeben wollen an die Gemeinschaft.

Ein weiteres Sponsorenangebot sind die „Siemens Festspielnächte“…

RABL-STADLER: Da werden auf dem Kapitelplatz gleich um die Ecke von den Festspielhäusern unter freiem Himmel und bei freiem Eintritt Opern- und Konzertmitschnitte gezeigt. Gerade weil wir im Musiktheater die höchsten Kartenpreise haben, ist die Kultur zum Nulltarif eine wunderbare Sache. Ich kenne kein anderes Festival, bei dem fünf Wochen lang Eigenproduktionen auf großer Leinwand gezeigt werden, sogar alle Neuinszenierungen. Der „Fidelio“ mit Jonas Kaufmann beispielsweise, für den man 2015 partout keine Tickets mehr bekommen konnte, war dreimal zu sehen bei den Festspielnächten.

Salzburg - mehr als nur ein Opernfestival

Beschweren sich denn die Anwohner gar nicht über die Dauerbeschallung?

RABL-STADLER: Da wohnen nur die Mönche von St. Peter. Die sagen zwar schon, dass es a bissl eine Zumutung ist, aber sie halten es aus.

Wissen Sie, wie sich Ihr Publikum zusammensetzt?

RABL-STADLER: Was wir wissen, ist, dass der durchschnittliche Festspielbesucher in Salzburg 7,5 Tage bleibt, während ein Städtetourist nur durchschnittlich 1,8 Tage vor Ort ist.

BECHTOLF: Ich beobachte außerdem, dass die Leute in der Zeit dann auch so viel wie möglich erleben wollen, dass sie nicht nur die Mozart-Oper anschauen, sondern eben auch Zeitgenössisches, Theater, Konzerte.

WIEGAND: Ich habe selten ein so aufgeschlossenes Publikum für die Neue Musik gefunden wie in Salzburg. Auch die Ouverture spirituelle, mit durchaus anspruchsvollen Programmen und wenig bekannter Musik aus anderen Kulturkreisen, ist hervorragend besucht. Thematisch gibt es zu Beginn der Festspiele jeweils eine Woche voller Konzerte, bei der wir die traditionelle Musik einer Weltreligion mit der Neuen Musik aus diesem Bereich zusammenbringen. Bei der Ouverture spirituelle gelingt es uns, Künstler einzuladen, die noch nicht jeder kennt, und trotzdem volle Säle zu haben.

In der Außenwahrnehmung ist Salzburg ein Opernfestival. Tatsächlich aber machen Konzerte den größten Teil des Programms aus.

WIEGAND: In der Tat bieten wir jeden Sommer um die 80 bis 85 Konzerte an. Das Einzigartige der Salzburger Festspiele allerdings findet sich eher in der Oper, denn diese Zusammensetzung von Regieteam, Dirigent und Solisten ist so nur bei uns zu erleben. Im Konzertbereich gibt es viele Gastspiele von Weltstars, die auch in Luzern sind oder bei den Londoner Proms. Aber die Programme der Wiener Philharmoniker oder auch des Mozarteumorchesters und der Camerata Salzburg entstehen exklusiv für uns wie auch viele Kammermusikprojekte und natürlich die Ouverture spirituelle und die Reihe Salzburg contemporary.

RABL-STADLER: Es gibt viele Fans, die gehen in eine Matinee der Wiener Philharmoniker, am Nachmittag in ein Kammerkonzert und abends noch in eine Oper. Unsere Spielstätten sind ja auch besonders. Zur Gründungsidee der Festspiele gehört ja auch, sie in dieser besonders schönen Kleinstadt zu veranstalten, „fern von den Zerstreuungen der Großstadt“, wie Max Reinhardt gesagt hat. In so einer Stadt entwickelt sich eine ganz andere Stimmung während des Festivals als in einer Metropole. Es gibt in Berlin genauso großartige Konzerte und Aufführungen, aber nicht auf so engem Raum. In einer Stadt von gerade mal 150 000 Einwohnern wie Salzburg wird dann nur davon gesprochen, sie bebt geradezu während der Festspiele.

Mozart und Richard Strauss sind Ihre Hausgötter. Ist es auf die Dauer nicht ermüdend, wenn immer wieder deren Werke auf dem Programm stehen?

BECHTOLF: Einerseits sind wir immerhin nicht ganz so dogmatisch wie in Bayreuth. Und andererseits habe ich den Fokus auf Mozart und Strauss nie als einschränkend empfunden. Gerade Mozarts Da-Ponte-Trilogie, die wir 2016 komplett zeigen, ist für mich aus inszenatorischer Sicht unerschöpflich. Mit Richard Strauss’ „Liebe der Danae“ steht zudem ein Werk auf dem Programm, das zu den selten gespielten Opern des Komponisten zählt. Wenn Sie unsere Planung überblicken, sehen Sie, dass wir durchaus auf eine große Bandbreite Wert legen. Noch nicht ein einziges Mal war beispielsweise Charles Goundos „Faust“ bei den Festspielen zu hören, den Reinhard von der Thannen im Sommer inszenieren wird. Und dann haben wir noch die Uraufführung von Thomas Adès „Der Würgeengel“, ein wirklich großes Projekt, das wir als Koproduktion mit New York, London und Kopenhagen realisieren.

Betrachtet man die Zahl der Touristen, die jedes Jahr nach Salzburg strömen, machen die Festivalbesucher nur einen kleinen Teil aus. Viel mehr Menschen kommen beispielsweise, um die Originalschauplätze des Films „The Sound of Music“ zu sehen, vor allem aus den USA und Asien.

RABL-STADLER: Das stimmt. Aber ich glaube, die Ausstrahlung der Stadt wird wesentlich durch die Festspiele geprägt. Selbst wenn die Menschen nicht zu den Festspielen kommen, so fahren sie doch in die Festspielstadt.

BECHTOLF: Ich bin ja nicht das Fremdenverkehrsamt, aber möchte hinzufügen, dass wir die nachhaltigen Touristen anlocken. Die eben nicht nur vom Reisebus ausgespuckt werden und nach ein paar Stunden wieder abfahren.

Überall in Europa wird darüber gestritten, wie mit dem Zustrom von Flüchtlingen umgegangen werden soll. Was können die Festspiele zu diesem Diskurs beitragen?

BECHTOLF: Auf tagesaktuelle Ereignisse zu reagieren, ist einem Festival wie dem unsrigen selten gegeben. Weil wir einen wahnsinnig langen Planungsvorlauf haben. Wir sind ein Schiff mit enorm großem Wendekreis. Meine Meinung ist: Kunst kann gesellschaftskritisch sein, aber sie muss es nicht. Wirklich große Werke machen einen weitaus größeren Gedankenraum auf, als nur die Fokussierung auf das Tagesaktuelle. Ich glaube, ehrlich gesagt, dass Künstler selten in der Lage sind, zu drängenden Problemen sachdienliche Hinweise zu geben.

Helga Rabl-Stadler ist seit 1995 Präsidentin der Salzburger Festspiele und damit fürs Geld zuständig.

Der Schauspieler und Regisseur Sven-Eric Bechtolf wurde 2011 beim Festival Chef des Sprechtheaters und hat derzeit die künstlerische Gesamtverantwortung, bis zum Amtsantritt des designierten Intendanten Markus Hinterhäuser im Herbst 2016.

Der Kulturmanager Florian Wiegand trägt seit 2015 den Titel „Leiter Konzert“.

Die Salzburger Sommerfestspiele finden vom 22. Juli bis 31. August 2016 statt.

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