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Canalettos Stichvorlage „Krönung des Dogen auf der Scala dei Giganti“ (um 1766) ist nur 389 mal 554 Millimeter groß. 3,9 Millionen Euro ruft die Londoner Galerie Jean-Luc Baroni dafür auf.

© Jean-Luc Baroni

Salon du dessin in Paris: Blätter in Blei und Tinte

Modernisierung einer etablierten Grafikmesse: Der 27. Salon du dessin in Paris bietet Canaletto, Klee, Otto Dix – und Victor Hugo.

Ein chinesisches Ehepaar steht in einer Koje der Pariser Grafikmesse, dem 27. Salon du dessin. Seit langem ist die Alte Börse als Ausstellungsort etabliert, die mit ihrem Charme des 19. Jahrhunderts den passenden Rahmen abgibt für eine Veranstaltung, deren Schwerpunkt bei den Alten Meistern liegt und deren Publikum jene Kennerschaft auszeichnet, die sich erst mit langer Übung einstellt. Es hat zuletzt nicht an Versuchen gefehlt, das Angebot behutsam in Richtung China zu erweitern. Doch besagtes Paar, vom Galeristen befragt, erklärt höflich, sich für französisches Barock zu interessieren.

Der Pariser Salon muss nicht nachahmen, was etwa in Hongkong authentischer zu haben ist. So fehlen diesmal chinesische oder sonstige außereuropäische Einsprengsel. Seine Wandlungen vollzieht der Salon anhand des eigenen Reservoirs, der europäischen Kunst seit der Renaissance. Wie kaum zuvor ist Modernisierung angesagt: Die Kunst des 20. Jahrhunderts rückt in eine Mehrheitsposition, und mit der Moderne spielt die Farbe eine immer größere Rolle. So leuchtet es allenthalben aus den 39 Galerie-Kojen, mit denen der Platz im alten Börsensaal und den Nebenräumen gefüllt ist. Es herrscht keine drangvolle Enge, wohl aber kollegiale Nähe: Schnelle Vergleiche sind möglich, ohne dass ermüdende Wege zurückgelegt werden müssten.

So sind diesmal (mindestens) drei Mal Arbeiten Victor Hugos zu entdecken, dem Dichter, der als Grafiker wenig bekannt ist. Seine Blätter sind von ganz eigener Kraft, als ob der Dichter des in gotischen Zeiten angesiedelten „Glöckners“ eine eigene, fantastische Gotik ausspinnen wollte. Bei Talabardon & Gautier (Paris) ist eine Burg auf einer Meeresinsel von 1857 zu sehen (285 000 Euro), ferner eine „Erinnerung an Belgien“ im extremen Querformat von 155 x 590 Millimetern mit selbst entworfenem Rahmen (620 000 Euro), während Michel Descours (Lyon) die Ansicht eines Märchenschlosses bereithält (undatiert, 180 000 Euro) und gleich nebenan Eric Gillis (Brüssel) eine „Einsiedelei auf Jersey“ von 1855 (240 000 Euro). Alle Arbeiten sind mit Feder gezeichnet und braun laviert; so düster wie ihre Sujets.

Französische Zeichenkunst diesmal schwächer vertreten

Ähnlich kann man Arbeiten von Hubert Robert vergleichen, einem „Eckpfeiler“ des Salons. Der ungemein fleißige Franzose, der vom Ancien régime bis in die Revolutionsära hinein wirkte, ist bei Stephen Ongpin aus London mit der Rötelzeichnung „Tempel des Jupiter Serapis in Pozzuoli“ zu sehen. Sie fand schnell einen Käufer, ebenso die hübsche italienische Genreszene des „Heubodens“ bei Didier Aaron. Nebenan bei Eric Coatalem ebenfalls aus Paris ist die kleinere Rötelzeichnung „Ruinen in der Nähe von Neapel“ mit 130 000 Euro angegeben. Wer ein ähnliches Sujet sucht, aber mit einem weniger geläufigen Namen zufrieden ist, tut mit dem Aquarell der „Caracallathermen zu Rom“ von Abraham-Louis-Rodolphe Ducros, einem Zeitgenossen Roberts, bei Tarantino einen guten Griff (46 000 Euro).

Die lange Zeit beim Salon dominierende französische Zeichenkunst von Barock über Rokoko bis Empire ist diesmal geringer und auch schwächer vertreten. Von Fragonard, Boucher, Lebrun bis Greuze sind die gängigen Namen dabei, aber zumeist mit Dutzendware. Umso stärker sticht das – gemessen am Preis – Spitzenstück der Messe heraus, eine kleinteilige Szene von Canaletto, die „Krönung des Dogen auf der Scala die Giganti“ (um 1766). Das 389 auf 554 Millimeter große Blatt in Blei und Tinte gehört zur Serie der venezianischen Festlichkeiten, die Canaletto als Stichvorlagen lieferte. Jean-Luc Baroni aus London ruft 3,9 Millionen Euro dafür auf, was dem ungeachtet der großen Zahl seiner Arbeiten verengten Markt für Canaletto Rechnung trägt.

Kulturhistorisches Highlight der Londoner Aktis Gallery

Apropos Hochpreisiges: Cuéllar-Nathan aus Zürich bietet gleich zwei Werke für je 1,2 Millionen Euro an, eine „Badende“ von Bonnard in Pastell und Gouache von 1942 und eine Bleistiftzeichnung van Goghs, „Hinterhof mit Figuren“ von 1882. Eine Generation älter ist Claude Monet, der mit dem sommerlich-flüchtigen Pastell aus der Normandie „Blick von SainteAdresse“ (1863/64) bei Hélène Bailly aus Paris für 320 000 Euro geführt wird.

Ein kulturhistorisches Highlight hält die Londoner Aktis Gallery bereit: die im Maßstab 1:1 gehaltene Vorstudie zu einem Wandplakat, die Pierre Bonnard 1914 für die Ballets Russes anfertigte. Sergej Diaghilev, ihr unermüdlicher Impresario, bereitete für die Truppe „Die Josephslegende“ vor, zu der Richard Strauss die Musik geschrieben hatte. Die Premiere fand in der Pariser Oper statt, doch gespielt wurde es nur wenige Male – wegen des Ersten Weltkriegs wurde die geplante Deutschland-Tournee abgesagt. Der Plakatentwurf, ein Beleg deutschfranzösischen Kulturaustauschs, ist jetzt mit 550 000 Euro ausgezeichnet.

Otto Dix erweckt in Paris nicht unbedingt Interesse

So wäre der Bogen nach Deutschland geschlagen. Deutsche Künstler sind traditionell in Paris quantitativ schwach vertreten, qualitativ dafür umso stärker. Das beginnt mit einer als Buchillustration gedachten Federzeichnung von George Grosz, „Furnished Rooms“ von 1934 (Martin Moeller, 8000 Euro). Es setzt sich fort mit der zartgliedrigen Zeichnung „Stolz II“ von Paul Klee (1937), für die Antoine Laurentin den zehnfachen Preis aufruft, und führt bis zur heiterfarbigen Ölstudie der „Nackten Tänzerinnen und Flötenspieler“ von 1910 mit makelloser Provenienz aus der Familie des Künstlers (Grässle-Härb, Preis auf Anfrage).

Aus dem stets gedämpften, akademieästhetischen Grundakkord des Salons stechen zwei Arbeiten aus der Weimarer Epoche hervor: bei Moeller die grandios verknappte Szene aus dem Romanischen Café von Rudolf Schlichter, die unter dem bösen Titel „Auf dem Anstand“ drei Damen auf Herrensuche darstellend (1926, 45000 Euro), und bei Thomas Le Claire, ebenfalls aus Hamburg, die mit dem späteren Gemälde mit 91 x 69 Zentimeter formatgleiche Studie von Otto Dix in Kreide, weiß gehöht, ein „Sitzender Akt mit blondem Haar“ (1931, 650 000 Euro).

Der Galerist gesteht freimütig, dass er mit Dix in Paris nicht unbedingt Interesse weckt, aber er macht eine deutliche Ansage. Wie sie sich auswirkt, lässt sich erst in den kommenden Jahren ermessen.

Paris, Salon du dessin, Palais Brongniart

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