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Ihn traf Khomeinis Fatwa. Salman Rushdie, Autor der „Satanischen Verse“.

© imago/Future Image

Salman Rushdie wird 70: Um sein Leben erzählen

Fantastischer Fabulierer und Kämpfer für die Meinungsfreiheit: dem Schriftsteller Salman Rushdie zum 70. Geburtstag.

Als Salman Rushdie Ende der achtziger Jahre erstmals seinem berühmten, ungleich erfahreneren Kollegen Graham Greene begegnet, zeigt sich dieser schon bei der Begrüßung begeistert: „Rushdie! Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir und erzählen sie mir, wie Sie es geschafft haben, so viel Ärger zu veranstalten! Ich habe es nie geschafft, so einen Wind zu machen!“ Rushdie empfindet diese Begeisterung als tröstlich. Denn der von ihm und seinem gerade veröffentlichten Roman „Satanische Verse“ verursachte Ärger wächst sich aus.

Er wird bedroht, es gibt Demonstrationen von Muslimen in England, und in Pakistan werden fünf Menschen erschossen, als sie gegen die „Satanischen Verse“ auf die Straße gehen. Am 14. Februar 1989 wird Rushdie schließlich zur Zielscheibe des Ayatollahs Khomeini. Der iranische Revolutionsführer verhängt die Fatwa über ihn, ein Todesurteil, das von jedem Muslim überall auf der Welt vollstreckt werden kann und soll, eben weil Rushdies Roman „gegen den Islam, den Propheten und den Koran“ gerichtet sei.

Salman Rushdie ist von nun an „der Autor der satanischen Verse“ und nicht des Buches mit dem Titel „Die satanischen Verse“. Er ist „Satan Rushdy“, ein Schriftsteller mit neuer Identität: „Wie leicht es doch war“, schreibt Rushdie in seiner Autobiografie „Joseph Anton“, „eines Menschen Vergangenheit auszulöschen und eine neue Version von ihm zu schaffen, eine überwältigende Version, gegen die anzukämpfen unmöglich schien.“

Sein erster Roman hieß "Mitternachtskinder", 1981 veröffentlicht

Die Vergangenheit, das war eine Kindheit und Jugend in Bombay, wo Rushdie 1947 geboren wurde, das war der 1981 veröffentlichte Roman „Mitternachtskinder“, für den Rushdie den Booker Preis und später auch den „Booker of The Bookers“ und den „Best of Booker“ erhielt; ein Welt- und Weltenroman, mit dem er sich in die oberste Riege der Gegenwartsliteratur geschrieben hatte. Die Gegenwart, das war von nun an auch die Schattenwelt der Diplomaten, Geheimdienstler, Terroristen und Gegenterroristen, ein Leben in ständiger Angst und unter dauerhafter Überwachung.

Und die Zukunft? Rushdie kämpft gegen die Fatwa und die neue Version von ihm selbst. Er wird zum engagierten Streiter für die Meinungsfreiheit und gegen Religionen „als Rechtfertigung für Unterdrückung, Verbreitung von Angst, Tyrannei und Verübung von Gräueltaten“, wie es eine Figur aus seinem 2015 veröffentlichten Roman „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ formuliert.

Man kann nun sagen, dass Rushdie erfolgreich gekämpft und sich auch die eigene Bewegungsfreiheit einigermaßen zurückerobert hat – obwohl er sich eines ungefährdeten Lebens natürlich nie sicher sein kann. Doch wer kann das schon? Seine Berühmtheit verdankt sich trotzdem vor allem der Fatwa, dem Roman „Die satanischen Verse“ und immerhin auch den „Mitternachtskindern“. Nicht aber den zahlreichen Büchern, die er in Folge geschrieben hat, wie etwa der sich bis ins arabisch-muslimische Spanien des 15. Jahrhundert erstreckende Familienroman „Des Mauren letzter Seufzer“, der New-York-Roman „Wut“, der am Tag des Anschlags auf das World Trade Center veröffentlicht wurde, oder eben der Autobiografie „Joseph Anton“, die allesamt zu den besseren seiner Werke gehören.

Fantasie kennt keine Grenzen, auch wenn das auf Kosten des Stilbewusstseins geht

Rushdie ist ein fantastischer Geschichtenerzähler, der sich manchmal keine Grenzen setzt und seiner Fantasie allzu zügel- und formlos freien Lauf lässt und dann auch kein Genre- und Stilbewusstsein mehr hat. Trotzdem versucht er immer wieder, ganze Universen neu zu erschließen, die Literatur an den Rand des Bekannten zu treiben und erzählt dabei wie Scheherazade sprichwörtlich um sein Leben. Treibt es ihn mit seinen Geschichten zumeist zurück in die Vergangenheit, in weit zurückliegende Jahrhunderte, so ist sein neuer, am 5. September weltweit erscheinender Roman „Golden House“ mitten in der New Yorker Gegenwart angesiedelt. Held ist der über siebzigjährige Nero Golden, der „mit seinen drei mutterlosen Söhnen aus einem fernen Land“ in New York City eintrifft, „um seinen Exilpalast“ zu beziehen, und von dem „eine despotische Gefahr“ ausgeht.

Von einem zweiten „Fegefeuer der Eitelkeiten“ schwärmt Rushdies deutscher Verlag schon, von „einem großen Roman über die amerikanische Gesellschaft, über den Zeitgeist, über Gut und Böse“. Insbesondere jedoch dürfte „Golden House“ ein weiterer Beweis dafür sein, dass Rushdie das Credo, das ihm kurz nach der Fatwa-Verkündung der Held des Joseph-Conrad-Romans „The Nigger of the Narzissus’“lieferte, nach wie vor beherzigt: „Aber ich muss leben, bevor ich sterbe, oder nicht?“. Am heutigen Montag feiert Salman Rushdie seinen 70. Geburtstag.

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