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Wechselbad der Gefühle. Kirill Petrenko.

© Wilfried Hösl

Saisoneröffnung Berliner Philharmoniker: Aller Schmerz soll sich in Lust verwandeln

Erst Zuchtmeister, dann Vortänzer: Kirill Petrenko dirigiert das Saisoneröffnungskonzert der Berliner Philharmoniker

Nervöse Spannung liegt in der Luft in der restlos ausverkauften Philharmonie. Zur Saisoneröffnung am Freitag dirigiert Kirill Petrenko sein künftiges Orchester, die Berliner Philharmoniker, deren Chef er ab Herbst 2019 sein wird. Nachdem Petrenko bei seinen letzten Berlin-Auftritt ausschließlich abseitige Werke ausgewählt hatte, steht diesmal Kernrepertoire auf dem Programm, Beethovens Siebte sowie zwei Tondichtungen von Richard Strauss. Musik also, die zur DNA der Philharmoniker gehört. Und doch wirkt der rauschhafte Beginn von „Don Juan“ irritierend: Bläser dominieren, die Piccoloflöte sticht heraus, während die Streicher neutral klingen, geradezu körperlos, selbst beim Liebesthema.

Kirill Petrenko verweigert sich konsequent der Verführung, sein Held ist lediglich sehnig statt sinnlich. Brillant spielen die Philharmoniker, mit einer Präzision und einem kühlen Silberglanz, wie man ihn sonst von amerikanischen Toporchestern kennt. Aber das Atmosphärische bleibt ausgeklammert, jede Nebenstimme wirkt bis ins Letzte kontrolliert. Emotionale Tiefe erhält diese Interpretation nur dann, wenn Albrecht Mayer zu seinem Oboensolo ansetzt, später kongenial sekundiert von Wenzel Fuchs an der Klarinette.

Von Agonie ist nichts zu spüren

In „Tod und Verklärung“, von Strauss 1889 direkt nach „Don Juan“ als klingende Beschreibung der letzten Lebensstunden eines idealistischen Künstlers komponiert, geht es genauso weiter: Hier sind die Instrumentalsoli – zu Oboe und Klarinette kommen Emmanuel Pahuds schwerelose Flöte und die geschmeidige Geige des Konzertmeisters Daishin Kashimoto – die einzigen menschlichen Regungen in einem ansonsten abstrakten Klangbild. Von der Agonie, den Schmerzensvisionen des Moribunden ist nichts zu spüren. Kirill Petrenkos Konzept scheint es zu sein, diese Tondichtungen zur absoluten Musik zu erklären, jedes Kino im Kopf abzustellen, ja die vom Schöpfer zugrunde gelegte Story strikt zu negieren, um sie aufzulösen in eine sinfonische Struktur, bei der es ausschließlich um Ausdifferenzierungen von leise bis sehr laut geht. Das wirkt interpretatorisch arg konstruiert, ja geradezu zwanghaft. Was sich auch in Petrenkos Motorik niederschlägt, die kantig und abgezirkelt ist, hart und fest. Nach der Pause betritt ein personell deutlich reduziertes Orchester die Bühne – und ein völlig anderer Kirill Petrenko. Bei Beethoven gibt er alle Reserviertheit, alles Zuchtmeisterliche auf, die Musik fließt jetzt sichtbar durch seinen Körper, bevor sie sich als Energiesignal über die Hände auf die Musikerinnen und Musiker überträgt. Der Dirigent wird zum Vortänzer, federt in den Knien, seine Arme fliegen hoch in die Luft, manche Geste gerät geradezu keck, immer wieder stellt sich der kleine Finger seiner Rechten auf wie eine Antenne.

Und siehe da: Die Musik strömt frei, blüht auf, bei halb so großer Besetzung entfaltet sich doppeltes Klangvolumen. Schon die langsame Einleitung des Kopfsatzes hat dieses innere Leuchten, kraftvoll pulsiert es unter der Oberfläche, bis dann die Knospen akustisch aufspringen, der Frühlingsjubel anhebt – wobei Petrenko zuvor noch ein raffiniertes Decrescendo zwischenschaltet und die Naturkräfte dann so organisch, so bezwingend sich entfalten lässt, dass er ein Lächeln auf die Lippen seiner Zuhörer zaubert. Was auch immer er im Weiteren an außergewöhnlichen Details einfordert, an markanten Akzenten, langen Atempausen an den klangarchitektonischen Scharnierstellen, alles überzeugt restlos, scheint gar nicht anders möglich.

Der langsame Satz ist kein grämlicher Trauermarsch, sondern erklingt wirklich so allegretto, wie Beethoven das notiert hat, als vollmondhelles Nachtstück. Witzig à la Haydn gerät der dritte Satz mit seinen grotesken Über- und Untertreibungen, bevor attacca das Finale folgt, in dem der Dirigent, von seiner eigenen Begeisterung förmlich mitgerissen, das Orchester an die technische Leistungsgrenze treibt, prestissimo, dem Jubel des verzückten Publikums entgegen.
Der Mitschnitt des Konzerts ist online bis zum 31.8. abrufbar unter: www.ardmediathek.de/radio/radiofestival

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