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Dagmar Manzel als Pierrot und Mondfrau.

© Monika Rittershaus

Saisonauftakt an der Komischen Oper Berlin: Nur der Mond war voll

Dem "Pierrot Lunaire" ist der Spaß gründlich vergangen: An der Komischen Oper startet die Saison mit Dagmar Manzel, Arnold Schönberg und Samuel Beckett.

Der Spaßmacher quält sich durch die einsame Nacht und starrt zum Himmel, im Selbstgespräch versunken: „An unstillbarem Liebesleid / Stirbst du, an Sehnsucht, tief erstickt,/ Du nächtig todeskranker Mond / Dort auf des Himmels schwarzem Pfühl.“ Triste, funkelnde Verse des belgischen Symbolisten Albert Giraud. Arnold Schönberg hat die Gedichte in der deutschen Übertragung von Otto Erich Hartleben 1912 vertont. Dem „Pierrot Lunaire“ ist der Spaß gründlich vergangen. Der Mondsüchtige sehnt sich nach besseren Zeiten zurück und nach Bergamo, ausgerechnet.

Finita la commedia, das haben wir jetzt auch. Die Komische Oper erlebt mit Schönbergs früher Komposition für die kleine Besetzung (Violine(/Viola, Cello, Flöte, Klarinette, Klavier) eine selten ernste Saisoneröffnung. Im Zuschauerraum verlieren sich die wenigen zugelassenen Besucher. Im Orchestergraben sind sie zu fünft, dazu der musikalische Leiter Christoph Breidler. Und auf der Bühne sitzt Dagmar Manzel so mutterseelenallein, dass man das Heulen kriegen könnte.

Aber sie ist stark und mutig. Sie hat sich diesen Abend lange gewünscht. Es soll also kein spontaner Corona-Kommentar sein, im Gegenteil. Und doch: Es wirkt wie für diese Zeit der Unsicherheit und Abschließung gemacht, nicht nur wegen Bergamo. Der 75-minütige Auftritt erscheint, um es mit einem oft banalen Wort zu sagen, schrecklich aktuell. Auch wenn das weder der Regisseur und Intendant Barrie Kosky noch seine bewährte und geliebte Schauspielerin Dagmar Manzel so gewollt haben.

Es beginnt stockfinster. Und auch nicht mit Schönbergs Pierrot, sondern mit Samuel Becketts „Nicht ich“ (1972). Dabei handelt es sich um das berühmte Stückchen, bei dem man nur einen Mund sieht im Bühnenschwarz, aus dem sich ein Schwall scheinbar zusammenhangsloser Worte und Satzfetzen ergießt, Bilder und Erinnerungen einer extrem reduzierten Existenz. Dagmar Manzel rattert da durch, als würde sie von einem Dutzend Teufeln gejagt. Zur Kompliziertheit des Textes kommen akustische Verständnislücken.

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Auch das folgende kleine Werk von Beckett fällt nicht in die Kategorie der Stimmungsaufheller. Bei „Rockaby“ (1981) sitzt eine Frau im Schaukelstuhl, über ihren wohl nahen Tod reflektierend. Mund, Stuhl und dann ein Bett: So sieht die Bühne von Valentin Mattka in dieser kurzen und schmerzhaften monologischen Abendvorstellung aus.

Als Pierrot steckt Dagmar Manzel in einem Matrosenanzug. Das große Kind hat ein Kuscheltier dabei, aber das lässt es nur noch einsamer erscheinen. Die 21 Gedichte, die Schönberg aus dem Giraud-Zyklus auswählte, wirken nun nicht durchweg deprimiert. Der Clown kann sarkastisch giften, lyrisch träumen, oft auch hat die Kompositon etwas Karikaturenhaftes; es sind schließlich Skizzen – stark akzentuierte Sprechmelodien.

Dagmar Manzel schärft die Silben, wie mit einem Messer

Also singt Dagmar Manzel nicht, vielmehr schärft sie die Silben auf eine Art, die an Weill und Brecht erinnert. Diese Szenen aus dem Nachtleben des traurigen Pierrot klingen wie mit einem scharfen Messer ausgeschnitten. Sie kann das Bett verlassen, aber nicht das seelische Gefängnis, in dem sie eingeschlossen ist. Und der späte Beckett liegt auf dem frühen Schönberg wie eine Hypothek.

Wie gut, dass zum Applaus Intendant Barrie Kosky mit Mikrofon erscheint. Klar, die Premierenfeier fällt aus, das geht im Moment nicht. Kosky will Dagmar Manzel auch von einer Last befreien. Den Saisonauftakt mit einem solchen Programm zu bestreiten, in Zeiten der Pandemie, ist hart und auch ein wenig Pech. So schlimm stellt sich die Lage wiederum auch nicht da. Immerhin, die Oper spielt. Wenn auch unter arg erschwerten Bedingungen, die selbst die tollste Komödie herunterziehen. Das hat Kosky vor: In vier Wochen bringt er „Die Großherzogin von Gerolstein“ heraus, Jacques Offenbachs Buffonerie als Covid-Gegenmittel. Das soll dann die Antwort auf das „Scheiß-Virus“ sein, wie er unter starkem Applaus der spärlichen Anwesenden ankündigt.

Intendant Barrie Kosky hält eine bewegende Rede über die Verantwortung der Künstler

Barrie Kosky hält eine bewegende Rede auf unser Theatersystem. Es sei ein unglaubliches Privileg, sagt er, jetzt proben zu dürfen und dafür bezahlt zu werden. Zugleich sieht er darin die große Verantwortung der Künstler – etwas Vernünftiges oder auch Verrücktes daraus zu machen. Das sei man dem Publikum schuldig. Er jedenfalls habe keine Lust auf Lamento und Tristesse. Und auch keine Zeit dafür.

Auch wenn „Pierrot Lunaire“ einen anderen Eindruck erweckt: Man soll froh sein, dass da wieder etwas ist. Und man kann auch nicht die Schwierigkeiten der Künstler übersehen. Sie spüren wie die Zuschauer das Absurde, auf Dauer Bedrohliche der Lage. Sie spielen auf Abruf. Alle Beteiligten müssen den Umgang mit einer Situation lernen, an die sich keiner gewöhnen will. Leere Foyers sind schrecklich. Und wenn die Figur des Pierrot für das Theater schlechthin steht, dann war das hier eine exemplarische Covid-Premiere. Und am echten Himmel war der Mond knallvoll.
Komische Oper Berlin. Wieder am 5., 11. 13. und 30. 10.

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