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Der Pierre Boulez Saal

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

„Said Days“ im Boulez Saal: Konflikt und Kontrapunkt

Beethovens Streichquartett op.130, Bachs „Ricercar a 6“ und ein Vortrag von Raja Shehadeh. Die „Edward W. Said Days“ im Pierre Boulez Saal.

Mit „Tränen der Wehmut“ hat Ludwig van Beethoven den langsamen Satz seines Streichquartetts op. 130 komponiert. Auch im Pierre Boulez Saal ist das Publikum am Ende dieser „Cavatina“ sehr still, wenn das vorzügliche Michelangelo String Quartet den letzten Akkord noch einige Sekunden unhörbar im Raum stehen lässt. Danach rücken nicht nur die aus Rumänien, Russland, Japan und Schweden stammenden Musiker auf der Stuhlkante nach vorn.

Die „Große Fuge“ beginnt, der originale Schlusssatz, den Beethoven in seiner Zeit tatsächlich durch ein neues Finale ersetzen musste. Zu revolutionär war der Komponist hier mit Tonalität und Hörgewohnheiten umgegangen. Zeitgenössische Kritiker hatten im polyphonen Spätwerk nur „babylonische Verwirrung“ ermittelt, und die Musiker waren bei der Uraufführung 1826 in Wien schmerzhaft an spieltechnische Grenzen gestoßen.

Kontrapunktische Konflikte freitonal gestaltet – für die Geigerin Mihaela Martin, die auch als Professorin an der Akademie lehrt, ist es ein Rätsel, „wie jemand mit den gesundheitlichen Problemen, mit denen Beethoven zu kämpfen hatte, eine solche musikalische Vision entwickeln konnte.“ Das „Spätwerk Beethovens“ hat schon Theodor W. Adorno erforscht. Dieser Schrift von 1937 ist Edward W. Said in seiner Aufsatzsammlung „Über den Spätstil“ gefolgt. Der Spätstilgedanke des 2003 gestorbenen amerikanisch-palästinensischen Gelehrten bildet den programmatischen Rahmen für die dreitägige Veranstaltungsreihe im Boulez Saal.

Raja Shehadeh erinnert sich an sein Leben in Ramallah

Diesem Konzept folgend ist auch am letzten Abend wieder ein Vortrag zu hören. Der palästinensische Autor Raja Shehadeh erinnert sich in „Late Palestine“ an sein fast 70 Jahre dauerndes Leben in Ramallah. Ein Leben, dessen Konflikte und Widersprüche in der Deutung von Edward W. Said durchaus mit den Stimmen und Gegenstimmen einer kontrapunktischen Fuge verglichen werden können.

Eine der farbigsten Fugen der Musikgeschichte überhaupt hatten Studierende der Barenboim-Said-Akademie gleich zu Beginn gespielt: das „Ricercar a 6“ aus dem „Musikalischen Opfer“ von Johann Sebastian Bach. Bearbeitet für Kammerorchester von Anton Webern, erfährt dieses barocke Spätwerk eine verblüffende klangliche Wandlung. Webern hat die sechs Stimmen überall im Orchester verteilt. Er lässt die Posaune beginnen, sie übergibt nach wenigen Tönen an die Trompete, die das Fugenthema dann dem Horn überlässt – Bach im Klang der Moderne, an einem großen Abend der Transzendenz.

Hans Ackermann

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