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Die Säule von Cape Cross zeigte die Herrschaftsansprüche des portugisischen Königs an.

© Foto: William Blakemore Lyon/DHM

Säule von Cape Cross: In diesem Kreuz steckt das ganze Kolonialdrama

Das Deutsche Historische Museum diskutierte auf einem Symposium über die Rückgabe eines Objekts nach Namibia.

Der Lichthof im Deutschen Historischen Museum (DHM) ist bereits gut gefüllt, als Raphael Gross, Direktor des Hauses, aufs Podium steigt, um die Redner und rund 350 Interessierte zu begrüßen. Es ist ein Experiment, das Gross hier wagt. Seit 2017 gibt es für die „Säule von Cape Cross“, die sich in der Dauerausstellung des DHM befindet, eine offizielle Rückgabeforderung der namibischen Regierung. Die Herrschaftssäule mit dem portugiesischen Wappen war 1893 ins Deutsche Kaiserreich gebracht worden, zu einer Zeit, als das heutige Namibia unter deutscher Kolonialherrschaft stand.

Das DHM lud zu einem Symposium mit Wissenschaftlern, Philosophen und Museumsleuten aus Europa und Afrika ein, um zu diskutieren, was mit der Säule geschehen soll. Das Objekt steht dabei stellvertretend für die Frage, wie künftig mit Kunstwerken aus ehemaligen Kolonien umzugehen ist. Es ist das erste Mal, dass über die mögliche Restitution eines Kulturguts in einem öffentlichen Symposium diskutiert wird. Sonst finden solche Diskussionen hinter verschlossenen Türen statt. Oder gar nicht.

Namibia möchte historische Objekte zurückhaben

Die deutsche Kolonialgeschichte sei viel zu lange ein blinder Fleck gewesen, sagt Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Es sei nun Zeit, die Kolonialgeschichte gründlich aufzuarbeiten. Unter anderem kündigt Grütters eine eigene Abteilung für die Erforschung kolonialer Objekte im Internationalen Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg an, das sich bisher auf Untersuchung von NS-Raubkunst konzentrierte. Wirklich interessant werde die Diskussion erst dann, wenn die Provenienz eines Objekts geklärt sei, sagt DHM-Direktor Raphael Gross. Dann geht es nämlich darum, was man jeweils als historisch gerecht einschätzt. Dann geht es dahin, wo die Emotionen sitzen.

„Die Meinung der namibischen Regierung ist, dass historische Objekte zurück in die Ursprungsländer gehen sollten“, sagt der namibische Botschafter in Berlin, Andreas Guibeb. In seiner Rede verweist er noch einmal auf die gespaltene Gesellschaft Namibias – eine Folge des Kolonialismus. Der Völkermord an den Herero und Nama, den deutsche Schutztruppen von 1904 bis 1908 verübten, beeinflusst die Gesellschaftsstruktur Namibias bis heute. Teile der Opfergruppen von damals fühlen sich benachteiligt. Einige Vertreter von Herero und Nama haben, zusätzlich zu den Verhandlungen, die die namibische Regierung mit Deutschland führt, vor einem Gericht in New York eine zivilrechtliche Klage gegen Deutschland angestrengt.

Steinsäulen mit Kreuzen als Machtsymbole

Im oberen Stockwerk des Deutschen Historischen Museums ragt die „Säule von Cape Cross“ dreieinhalb Meter hoch auf, mit portugiesischem Wappen und einem Kreuz obendrauf. Vor 500 Jahren sollte sie an der Küste des heutigen Namibia weithin den Herrschaftsanspruch des portugiesischen Königs deutlich machen. Sie wurde vom Seefahrer Diogo Cão 1486 errichtet. Als ein deutscher Kapitän 1893 die Säule in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika in marodem Zustand vorfand, ließ er sie nach Wilhelmshafen verschiffen, von dort kam sie nach Berlin. Kaiser Wilhelm der II. ließ 1895 in Namibia eine Nachbildung der Originalsäule mit einer zusätzlichen deutschen Inschrift und dem Reichswappen errichten – als eigenes Herrschaftszeichen.

Solche Säulen seien im 19. Jahrhundert auch in anderen Regionen, etwa in Südostasien und Indien, errichtet worden, erklärt der Historiker Franciso Bethencourt vom King’s College in London: „Die Steinsäulen waren Teil des europäischen Projektes, Akte der Besitzergreifung, der Verbreitung des Christentums.“ In dem Berliner Objekt steckt also das ganze Drama der Kolonisierung.

Ein rechtlicher Anspruch der Namibier auf Rückgabe bestehe nicht, sagt der Philosoph Lukas H. Meyer von der Karl-Franzens-Universität in Graz, „wohl aber ein moralisch-normativer“. Niemand habe protestiert, als die Säule 1893 entfernt worden sei. Es gab keine Anzeichen, dass die Namibier das Objekt als ihr Eigentum ansahen. Es hat sie auch keiner gefragt.

Das Museum kann selbst entscheiden

Für Namibias Vergangenheitsbewältigung sei die Säule wichtig, sagt Meyer. Sie könnte als Symbol für die Anerkennung einer systematischen Ungerechtigkeit verstanden werden, als Symbol für ein Nie-wieder. Die Rückführung könnte der Beginn einer neuen Beziehung zwischen Deutschland und Namibia sein. Die Namibier hätten ein fundamentales Recht, ihre eigenen Artefakte zu schützen. Und hinzu kommt, dass weder die Deutschen noch die Portugiesen ein ähnlich starkes Interesse an der Säule haben. Meyer betont auch, dass die Validität der moralisch begründeten Forderung nicht vom Verhalten der deutschen Regierung abhängt. Auch nicht davon, ob Entschädigungen gezahlt werden und wie viel: „Das Museum kann autonom agieren.“

Warum müssen die Namibier als Bittsteller auftreten? Warum gibt Deutschland entsprechende Kulturgüter nicht proaktiv zurück, fragt eine Zuschauerin. In Deutschland gibt es zwar die Washingtoner Prinzipien und seit Kurzem auch den Leitfaden des Deutschen Museumsbundes, aber keinen rechtlichen Rahmen, der die Rückgabe legitimieren würde.

Stuttgart wird wohl die Witbooi-Bibel zurückgeben

Mit der aktuellen Gesetzeslage ist jedenfalls nichts zu erreichen, so erklärt es die Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger von der Universität Konstanz. Die Frage nach dem Besitz müsste mit dem Recht geklärt werden, das zu der Zeit galt, als die Säule mitgenommen wurde. Die Ansprüche der Namibier wären also an den rechtlichen Maßstäben der Kolonialzeit zu messen. „Es kann auf dieser Basis keine historische Gerechtigkeit geben“, sagt Schönberger.

Winani Kgwatalala vom Botswana National Museum schildert, was mit Objekten passiert, die tatsächlich wieder in Namibia gelandet sind, wie etwa die Tagebücher des namibischen Nationalhelden Hendrik Witbooi, der seine Landsleute dazu aufrief, sich den Deutschen nicht zu unterwerfen. „Im Museum in Bremen sind die Dokumente vergessen worden, in einem Deutschland, das seine Rolle im Kolonialismus vergessen hat“, so Kgwatalala. Zurück in Afrika, wurden sie digitalisiert, transkribiert und ausgestellt. Kgwatalala sieht darin eine Chance für einen zukünftigen Dialog mit Deutschland.

Wenn das DHM sich entschließen sollte die Original-Wappensäule zurückzugeben, was Raphael Gross in seiner Abschlussrede sehr vage andeutet, dann sollte im Berliner Ausstellungssaal keine Leerstelle entstehen. „Wir würden dann die Geschichte der Rückgabe erzählen“, sagt Gross. Während des Symposiums verkündete Botschafter Guibeb: Das Linden-Museum Stuttgart habe zugesichert, die Witbooi-Familienbibel an Namibia zurückzugeben.

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