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Milan Marić (in der Mitte) als Sergei Dovlatov.

© SAGa Films

Russischer Film „Dovlatov“ im Wettbewerb: Literarische Rebellion in Eiseskälte

Sittengemälde der Sowjetunion: Alexey Germans Porträt des russischen Schriftstellers Sergei Dovlatov im Wettbewerb der Berlinale.

Die Texte von Sergei Dovlatov sind ironisch, also uneindeutig. Das ist beunruhigend für einen Staat, der wie die Sowjetunion der siebziger Jahre ein klares Klassenbewusstsein auch in ästhetischen Fragen bevorzugt. Genie gar gilt als furchterregend. Zu allem Unglück ist Dovlatov auch nicht Mitglied des Schriftstellerverbands der UdSSR und teils armenischer, fatalerweise aber auch jüdischer Herkunft. Aus all diesen Gründen werden seine Werke in der ruhmreichen Sowjetunion nicht publiziert, mag sich der Autor auch noch so bemühen.

Derzeit – wir schreiben den November 1971 – arbeitet er für eine Betriebszeitung; würde er ein Interview mit einem der Arbeiter führen, der auch Dichter ist, dann würde man vielleicht etwas von ihm in einer Zeitschrift drucken. Das stellt eine Chefredakteurin in Aussicht, von der Wand ihres Büros schaut mit siegreichem Blick Lenin auf die Funktionärin und den Künstler herab. Abgelehnte Manuskripte gibt diese Hüterin des sozialistischen Realismus umstandslos in die Altpapiersammlung der jungen Pioniere. Die müden Kinder lassen etliche davon im Schnee auf der Straße liegen. Fassungslos steht Dovlatov davor.

Der russische Regisseur Alexey German Jr. hat diesem Dichter nun einen ganzen Film gewidmet. „Dovlatov“ ist Künstlerporträt und Gesellschaftsbild zugleich, und darüber hinaus wirft diese Regiearbeit indirekt ein Licht auch auf die Gegenwart Russlands mit all ihren Maßregelungen und Verboten in Kunstfragen wie zum Beispiel dem Bann der Kinofarce „The Death of Stalin“.

Ökomischer und kultureller Stillstand

Nur sechs Tage aus dem Leben des Protagonisten kennzeichnen in German Juniors Film fast eine ganze Epoche. Leningrad, Heimat von Dovlatov, liegt fortwährend im Nebel; es herrscht Eiseskälte, Schnee bremst das Treiben in der Stadt. Tatsächlich macht sich Dovlatov auf den Weg und führt das Gespräch mit dem Arbeiterdichter, doch das hilft ihm nicht. Wieder und wieder soll er das Interview umarbeiten. Und ob er nicht generell positiver schreiben könne, so die offizielle Forderung. Im Grunde sei er ein „dekadenter“ Schriftsteller, entwerfe immer wieder „moralisch zügellose Figuren“.

Der neue Film von Alexey German Jr. beschreibt eine Ära des Stillstands, ökonomisch wie kulturell, und auch das, was eine solche Situation mit Menschen wie Dovlatov macht; Rebellion und Anpassung, Schmerz und Müdigkeit gehen Hand in Hand. Im Kontrast zur metaphorischen Lähmung befindet sich die Kamera von Łukasz Val anfänglich fortwährend in Bewegung. Sie bezeugt die Hoffnung bei literarischen Lesungen in Privatwohnungen ebenso wie die ideologische Vorgefasstheit so mancher Redaktionssitzung oder den Alltag in der Gemeinschaftswohnung. Wir sehen kurze Szenen aus einem Gulag und Dreharbeiten zu einem Film auf der Werft, in dem mit Gogol, Puschkin und Dostojewski bedeutende russische Dichter wieder auferstehen.

Sergei Dovlatov (gespielt von Milan Marić) durchwandert die eigene Gegenwart immer wieder unter der Schelmenmaske, nennt sich Kafka oder gibt sich als Oberst aus. Mit seinen Freunden, darunter der spätere Nobelpreisträger Joseph Brodsky, und ein Maler, trinkt, raucht und streitet er. Wieder und wieder kämpft er um Öffentlichkeit für seine Werke, aber seine Sicht auf die Dinge und Menschen ist nicht gewollt. Das geht auch Anderen so. Einer schneidet sich im Redaktionsbüro die Pulsadern auf; Kunst ist existenziell und das Ausweichen in die relativ unverfängliche Nische antiker Text- und Klassikerbearbeitungen kein Ersatz dafür, individuell gehört zu werden. Der Maler wirft sich angesichts seiner Verhaftung vor ein Militärfahrzeug, das auf dem Weg ist zu den Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Revolution.

Seinen großen Ruhm erlebte Dovlatov nicht mehr

Immer wieder öffnet Alexey German Jr. atemberaubend souverän die Türen zur Unbedingtheit eines Staates und die Gräber der Geschichte, etwa wenn hier beim U-Bahn-Bau plötzlich dreißig Kinderleichen aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden werden, Opfer der Nazis. In schönen Tableaus und langen Kamerafahrten erinnert der Regisseur indes nicht allein an einen Schriftsteller, der heute zu den Meistgelesenen in Russland zählt – nein, er bindet seinen Protagonisten zugleich in bedeutsame Traditionen der russischen Intelligenzija und des sowjetisch-jüdischen Künstlertums ein. Ossip Mandelstam, Daniil Charms, Boris Pasternak – dies sind nur einige der Namen, die hier fallen in ausdrücklicher Bezugnahme. „Wir sind die letzte Generation, die die russische Literatur retten könnte“, sagt Brodsky einmal. 1972 bürgerten ihn die Sowjetbehörden aus und setzten ihn in ein Flugzeug in den Westen, nachdem sie ihm vorher alle Manuskripte weggenommen hatten.

Auch Sergei Dovlatov (1941-1990) ging in den Westen, im Jahr 1978. Seinen großen Ruhm als Schriftsteller in der alten Heimat erlebte er nicht mehr; 48-jährig starb er an einem Herzinfarkt. Alexey German Jr. hat mit seinem Film etwas Großartiges geleistet: Er macht kein ehernes Denkmal aus Dovlatov, wohl aber setzt er ihm einen Gedenkstein, in den auch das historische Gewordensein eines ganzen Staates eingraviert ist.

18.2., 9.30 Uhr, (Friedrichstadt-Palast), 21.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), 22.30 Uhr (International), 25.2., 17.15 Uhr (Friedrichstadt-Palast)

Anke Westphal

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