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Es ist nicht leicht, jung zu sein. Alexander Kuznetsov als Sascha.

© Edition Salzgeber

Russischer Film "Acid": Alle sind verloren

Drogen, Sex und Techno: Alexander Gorchilins Regiedebüt „Acid“ begleitet eine Gruppe voneinander entfremdeter Anfang-Zwanziger in Russland.

Wanja steht unter Drogen. Nackt und verwirrt kauert er in seiner Wohnung. So finden ihn seine Freunde – gerade noch rechtzeitig, möchte man meinen. Doch zur Rettungsmission taugt ihr Besuch nur bedingt. Während sie die Wohnung putzen, tritt Wanja (Pyotr Skvortsov) auf den Balkon, gehüllt nur in ein Bettlaken. Ein Bein über die Brüstung, dann das zweite, schon hängt er über dem Abgrund. Sein Kumpel Petja (Alexander Kuznetsov) sieht vom Nachbarbalkon zu. „Wenn du springen willst, dann spring“, sagt er dem jungen Mann. Der murmelt etwas Unverständliches und lässt los.

Der russische Film, der mit diesem fatalen Rausch beginnt, heißt „Acid“. Doch es geht weniger ums Delirium als um die Leere, der eine Gruppe Anfang-Zwanziger mit Drogen, Sex und Techno zu entkommen sucht. Acid, so wird nicht nur LSD genannt, sondern auch die House-Musik, zu der die Freunde nach Wanjas Beerdigung tanzen. Im Club lernen sie Wassilisk (Savva Saveliev) kennen, einen Künstler, der sie mit nach Hause nimmt. Dort zeigt er ihnen, wie er kommunistische Büsten in Säure – auf Englisch: acid – taucht und sie so wie Zombies aussehen lässt. „Und was bedeutet das?“, will ein Gast wissen. „Gar nichts“, erwidert der Künstler. „Es verkauft sich.“

Das Russland, das der Film zeigt, gleicht einem Vakuum. Die alten Werte aus sowjetischen Tagen gelten nichts mehr, mit der Kirche können die Helden nichts anfangen. Die Verbindungen zu den Eltern sind gekappt, ihre Mütter überfordert und nicht in der Lage, Verständnis für den Frust der Kinder aufzubringen. Väter treten kaum in Erscheinung und wenn, dann nur als Männer, die sich in einem maskulinen Rollenbild gefangen sehen, von dem sie selbst nicht überzeugt sind.

Der Film ist den Müttern und Vätern gewidmet

Folgerichtig hat Regisseur Alexander Gorchilin, selbst erst 27 Jahre alt, seinen Film allen Müttern und Vätern gewidmet, wie es im Abspann heißt. Eigentlich ist Gorchilin Schauspieler, zu sehen etwa in Kirill Serebrennikovs „Leto“ und in der Serie „Hanna“. Bei „Acid“, der auch auf der Berlinale lief, führt er erstmals Regie. Er findet kühle, farbarme Bilder für die Starre der Freunde. Alle sind sie verloren, voneinander entfremdet. Petja nimmt einen Schluck aus der Säureflasche des Künstlers, einfach so, aus Langeweile. Mit einem Pflaster über dem verätzten Mund wandelt er fortan durch den Film. Erst als die Wunde verheilt und das Pflaster wieder abgezogen ist, findet er Worte für das, was in ihm vorgeht. Gegenüber seinem Freund Sascha (Filipp Avdeev) stellt er fest: „Weißt du, was unser Problem ist? Dass wir keine Probleme haben.“

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Sascha wiederum ist der Einzige, der noch dazu in der Lage ist, Gefühle zuzulassen. Doch der glücklose Elektro-Musiker weiß nicht, wohin mit seiner Zuneigung. Seine egozentrische Freundin? Für die hat er insgeheim nichts als Verachtung übrig. Da gefällt ihm schon eher ihre kleine Schwester, doch die ist gerade mal 15. Oder liebt er doch Petja? Der hält ihn jedenfalls schön auf Abstand.

Keine Zuneigung, Liebe schon gar nicht

Regisseur Gorchilin folgt in seiner Inszenierung nicht der Haltlosigkeit des Rausches. Auf Filmmusik verzichtet er weitgehend, der Erzählrhythmus bleibt bedächtig. Wenn Saschas Mutter (Alexandra Rebenok) ihm im Streit auf einem frostbehangenen Feld eine runterhaut, zeigt Gorchilin das aus der Totalen. Für den Gefühlsausbruch braucht es keine Nahaufnahme, zwischen den beiden ist sowieso nichts mehr kaputt zu machen.

Die Protagonisten von „Acid“ sind nicht dazu imstande, Zuneigung füreinander zu zeigen, Liebe schon gar nicht. Sie befinden sich erst auf dem Weg zu sich selbst und zueinander. Ob sie ankommen? Der stille Film voll stumpfer Verzweiflung verrät es nicht. (Filmrauschpalast, fsk, Krokodil, Moviemento, Zukunft (alle OmU)

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