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Doris Soffel in der Rolle der Gräfin, an der Seite von Dirigent Kirill Petrenko.

© Monika Rittershaus

Russische Musik in der Berliner Philharmonie: Schicksalsmelodien

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker beeindrucken mit Tschaikowskys Oper „Pique Dame".

Frenetischer Applaus krönt diese „Pique Dame“. Ein unermüdliches Publikum ruht nicht, bis es den Maestro und seine bravouröse Sängerriege noch einmal auf die Bühne geklatscht hat. Die etwas abgegriffenen Termini für die Künstler eines großen Abends in der Philharmonie sollen hier keineswegs verstaubte Elitekunst mit ihren fragwürdig gewordenen Hierarchien bezeichnen, sondern stehen für überwältigende musikalische Erlebnisse, Vermittler großer, zeitloser Gefühle ebenso wie erstaunlicher Einblicke in ausgefeilteste sinfonische Arbeit und – ja, auch das – in wohl unüberwindliche Traditionen der russischen Gesellschaft.

Von den Baden-Badener Osterfestspielen bringen Petrenko und die Philharmoniker Tschaikowskys vorletzte Oper mit, für eine konzertante Aufführung. Die Oper erstrahlt in glanzvoller sinfonischer Virtuosität, erzählt das Drama um den Aufsteiger Hermann, der Glück im Spiel und in der Liebe mit Gewalt erzwingen will, in aufwühlenden Klängen. Mit tiefschürfender Präzision und Transparenz fördert Petrenko nie gehörte Details zutage.

Petrenkos Tschaikowsky klingt zeitlos-modern

Schon das erste, locker und weich exponierte Holzbläsermotiv, dem „Schicksalsmotiv“ aus Tschaikowskys 4. Sinfonie rhythmisch verwandt, dringt in weitem Klangraum tief in Ohren und Herzen ein. Dem antworten die Streicher mit sehnsuchtsvoll bebenden, melancholisch absteigenden Linien, die Blechbläser mit scharfkantigen, niederschmetternden Rhythmen.

Selten waren die Philharmoniker so beteiligt, so einhellig bewegt zu hören. Und trotzdem spricht aus dieser Musik niemals Sentimentalität, dafür ist sie zu detailreich, stellt Brüche und Widersprüche als Klangextreme einander gegenüber. Alles altmodisch Pathetische ist von Tschaikowsky abgefallen, der Komponist einer gefühligen „russischen Seele“ erscheint zeitlos-modern.

Doris Soffel liefert ein facettenreiches Charakterporträt

Nicht weniger plastisch vermitteln die Sänger:innen das düstere Geschehen: Die ganze Last eines unausweichlichen Schicksals schleppt Arsen Soghomonyan als Hermann auf seinen Schultern, wenn er nur die Bühne betritt. Seinen strahlkräftigen Tenor prägt auch in höchsten Höhen kaum Heldisches, sondern die Verzweiflung des Melancholikers. Elena Stikhina gibt seiner Geliebten Lisa ebenso kraftvolle wie sensible Facetten. Doris Soffel liefert voll Sing- und Spiellust eine Charakterstudie der uralten, glamourös-misanthropischen Gräfin ab, der Hermann das Geheimnis der gewinnträchtigen drei Karten auch im Tod nicht entreißen kann.

Alle Nebenrollen sind vorzüglich besetzt: Aigul Akhmetshina als Lisas Freundin Polina besticht mit rotgoldenem Mezzosopran, Margarita Nekrasova als komische Gouvernante eher mit ihrem pinkfarbenen Outfit. Vladislav Sulimsky als süffisanter Graf Tomski führt eine sauf- und rauflustige Männerriege an. Und wenn der Slowakische Philharmonische Chor „Zarin Katharina“ begrüßt, wenn die „kleinen Soldaten“ vom Kinderchor Cantus Juvenum unschuldig-verspielt rufen: „Präsentiert das Gewehr!“, dann ergreift einen leichtes Schaudern ob wiederauflebender „Tugenden“. Bedrückender ist nur noch der zum Widerspruch reizende Fatalismus, der von dem gesamten Werk ausgeht.

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