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Christian Boros: Zum Gallery Weekend Berlin eröffnete die neu gestaltete Sammlung im Bunker.

© dpa/Annette Riedl

Rund ums Gallery Weekend 2022: Privatsammlungen sind ein wichtiger Sidekick im Berliner Kunstbetrieb

Am Gallery Weekend beteiligen sie sich mit neuen Ausstellungen in eigenen Räumen. In der Julia Stoschek Collection und bei Fluentum dominiert Videokunst.

Gallery Weekend – das ist immer ein Zusammenspiel der beteiligten Galerien und vieler anderer Einrichtungen, die sich einfach dranhängen, wie die Eventi Collaterali bei der Biennale di Venezia. Nur dass sie in Berlin diesmal nicht offiziell gelistet sind wie in Venedig.

Dazu gehören auch die Privatsammlungen mit eigener Ausstellungsadresse, die in diesen Tagen ebenfalls länger geöffnet haben: darunter die Haubrok-Foundation in der Fahrbereitschaft (Herzbergstr. 40–43), die Sammlung Hoffmann (Sophienstr. 21), die Kienzle Art Foundation (Bleibtreustr. 54), der Salon Dahlmann (Marburger Str. 3). Sind sie nicht das Rückgrat des Gallery Weekends?

Sie gehören zum Kräftespiel der Kunststadt

Schließlich ist der Grundgedanke einer Galerie, Kunst zu verkaufen – und leidenschaftliche Sammler:innen, die das Erworbene auch noch öffentlich zeigen, sind doch ihre wichtigsten Kunden. Gehören sie nicht ebenso zum Kräftespiel der Kunststadt wie Künstler:innen und Museen?

Nein, Rückgrat sind wir nicht, antwortet Christian Boros klipp und klar, der gerade seine fünfte Ausstellung im Bunker (Reinhardtstr. 20) eröffnet hat. „Wir sind nur das Add-on.“ Ein Add-on, das lässt sich nachlesen, ist ein Hilfsprogramm, mit dem ein Anwendungsprogramm erweitert wird.

Oder es ist Zubehörteil der Hardware, mit dem die Fähigkeiten eines Rechners gesteigert werden. Klingt plausibel. Sammler:innen halten den Motor am Laufen, erhöhen die Geschwindigkeit. Und wenn sie ausfallen, genauer: die Stadt verlassen, dann beginnt der Motor bedenklich zu stottern.

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Als Flick ankündigte, seine Sammlung aus dem Hamburger Bahnhof abziehen zu wollen, Erika Hoffmann bekannt gab, dass sie ihre Kunst nach Dresden gibt, und Thomas Olbricht seinen me collectors room in der Auguststraße schloss, da war jedes Mal die Angst groß. Könnte das jetzt das Ende der ruhmvollen Zeit Berlins als Kunststadt sein?

Das 14. Gallery Weekend, das fast wie vor Corona stattfinden kann, ist deshalb wie ein Frühlingserwachen: Blumen sprießen, Ausstellungen eröffnen. Plötzlich kriegen auch besorgte Galerist:innen wieder bessere Laune, weil ihnen der Wirtschaftssenat Förderung in Aussicht stellt, wenn sie sich auf auswärtigen Messen zusammenschließen.

Neue Leitungen sorgen für Hoffnung

„At dawn, sit at the feet of action“, lautet die erste Zeile eines Mantras der amerikanischen Jazzmusikerin Alice Coltrane. Vielleicht gibt es gerade auch so etwas wie ein Morgengrauen in der Kunst Berlins: neue Leitungen bei Hamburger Bahnhof und Mies van der Rohe-Bau, neue Galerien und dazu die Privatsammler:innen, die dem Publikum großzügig herzeigen, was sie haben.

„At dawn“ ist auch die neue Sammlungspräsentation der Julia Stoschek Collection überschrieben (Leipziger Str. 60, bis 4. 12.). Nach der letzten Schau „A Fire in My Belly“, in der es um Zerstörung und Gewalt ging, sucht die Kunst nun nach geistigen Gegenwelten zu der dumpfen Materialität der Gewalt. Sie findet sich am Himmel.

„Piña, Why is the Sky Blue?“, stellen Stephanie Comilang und Simon Speiser als Frage an die künstliche Intelligenz, die hier Piña heißt, wie die Ananas. In ihrer Gemeinschaftsarbeit verbinden die beiden Künstlerinnen die Heimatländer ihrer Vorfahren – die Philippinen und Ecuador – zu einer Geschichte rund um die kostbare Frucht.

Die Ananas als Exportware für Europa

Ursprünglich stammt die Ananas aus Südamerika, gelangte dann mit den Europäern auf die Philippinen, wo sie heute in großem Maßstab angebaut wird, um in der Konserve nach Europa exportiert zu werden. Die raumfüllende Installation besteht aus zwei Teilen, einem Video und einer virtual-reality-Produktion. In dem Film denken die Frauen des feministischen Kollektivs „Cyber-Amazonas“ darüber nach, wie sich das alte Wissen der Heilerinnen digital verbreiten lässt.

In der virtuellen Realität erscheint die künstliche Intelligenz Piña als ephemeres Wesen zwischen den Geschlechtern. Die immersive Arbeit ist von berückender Schönheit, lässt dem Publikum aber wenig Spielraum für eigene Fantasien. Mit der Datenbrille auf dem Kopf entsteht ein Gefühl der Enge.

[Öffnungszeiten des Gallery Weekends: 1. Mai, 11 bis 19 Uhr.]

Der amerikanische Maler, Video- und Performancekünstler Jacolby Satterwhite hatte keine andere Wahl, als sich seine eigene Welt zu schaffen. Als Kind erkrankte er an Knochenkrebs. Seine Mutter litt an Schizophrenie und schottete ihr Haus paranoid ab. Satterwhite zog sich in die virtuellen Räume seiner Computerspiele zurück. In vier monumentalen Videoinstallationen verbindet er jetzt die Zeichnungen seiner Mutter und seine Malerei mit computergenerierten Bildern.

Da reiten Cowboys auf geflügelten Pferden über den Himmel. Satterwhites Bildbesessenheit erinnert an Matthew Barney. Der Künstler bezieht sich auf die Sängerin Björk, die für ihn die Grenzen akustischer Erfahrungen ausdehnt. Die morphenden Gestalten, die zuckenden Körper und kaleidoskopischen Farben können schnell überfordern. Wenn aber Satterwhite in einem silbrig schimmernden Anzug allein am Strand tanzt, vermittelt sich die Einsamkeit, aus der diese dicht bevölkerten Videowelten entstanden.

Bilderflut der Gegenwart gegen historische Filmexperimente

Klug konfrontiert Kuratorin Lisa Long in dem spannungsreichen Parcours die Bilderflut aus der unmittelbaren Gegenwart mit den kargen Filmexperimenten der 1970er Jahre und schöpft aus den umfangreichen Beständen der Stoschek-Sammlung, die seit 15 Jahren öffentlich gezeigt wird. Während die zeitgenössischen Künstler:innen den Himmel in den Cyberspace ausdehnen, öffnet die frühe Videokunst den Blick nach innen, sensibilisiert für Wahrnehmung und Imagination.

Geistige Keimzelle ist hier die Arbeit „Line Describing a Cone“ des Lichtpioniers Anthony McCall aus dem Jahr 1973. McCall macht seine Technik transparent und legt sein Werk ganz in die Hände des Publikums. Eine weiße Linie wird im verdunkelten Raum auf den schwarzen Hintergrund projiziert.

Mithilfe einer Nebelmaschine entsteht im Licht des Projektors der Eindruck eines Kegels. Die Hand greift nach dem Körper und erwischt nur Staub. Vor dem inneren Auge aber entsteht aus der Linie eine feste Gestalt. „At noon be at the hand of might“, heißt es weiter in dem Gedicht von Alice Coltrane.

Jeppe Heins Spiegelkabinett reflektiert

Die afroamerikanische Künstlerin Cauleen Smith ist für ihren Film „Pilgrim“ zum Wohnhaus von Alice und John Coltrane gepilgert. Die Lichtkünstlerin hat die Fenster der Julia Stoschek Collection in der Leipziger Straße mit farbiger Folie beklebt, sodass der Himmel draußen rot, violett oder blau leuchtet. Im Raum wird das farbige Licht von Jeppe Heins Spiegelkabinett reflektiert. Betritt man sein Labyrinth, fühlt man sich wie ein Splitter im Kaleidoskop, als Teil eines vielfarbigen Bildes, das schöner und schöner wird.

Bei Heike Baranowsky schaukelt ein blasser Vollmond am Himmel, die Kamera steht auf einem Boot. Genau diese leisen Verschiebungen und Verunsicherungen verführen die Gedanken, ihre gewohnten Bahnen zu verlassen. Da nimmt die Kunst auch den letzten Satz in Alice Coltranes Mantra ernst: „At eventide, be so big that sky will learn sky – zur Abendstunde sei so groß, dass der Himmel Himmel zu sein lernt.“

Videospiele in den US-Headquarters in Zehlendorf

In dunkle Nacht führt die Ausstellung der Filmkünstlerin Anja Kirschner bei Fluentum (Clayallee 174, bis 16. 7.), dem geschichtsträchtigen Ausstellungsort des Sammlers Markus Hannebauer in den ehemaligen US-Headquarters in Zehlendorf. In einer dreiteiligen Ausstellungsreihe erkunden die Kuratoren Dennis Brzek und Junia Thiede die Vergangenheit des Areals.

Die Gebäude wurden zwischen 1936 und 1938 von den Nationalsozialisten für das „Luftgaukommando III“ errichtet. Der Haupteingang mit seiner schwarzen Marmorverkleidung hat nichts von der Bedrohlichkeit dieser Zeit verloren.

Mit ihrer Installation „Unica“ gestaltet Anja Kirschner die Halle als das Innere eines Körpers. Eingeweide aus Schaumstoff dienen als Sitzmöbel. In dem Film arbeitet die Heldin als Schauspielerin für ein postapokalyptisches Videospiel. Die Katastrophe hat bereits stattgefunden, die Welt existiert nur noch virtuell. Auf dem Teufelsberg gräbt die Protagonistin Scherben der zerbombten Stadt aus.

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Gewidmet ist die Arbeit der Künstlerin Unica Zürn, die im Grunewald aufwuchs und in Zeichnungen und Anagrammen ihre innersten Ängste nach außen kehrte. Unter der dünnen Haut dieser dunklen Gegenwelt wummert die Vergangenheit. Vom Himmel keine Spur.

Deshalb raus und weiter, wieder zurück in die Stadt zu den Galerien. Der Kreis schließt sich dann. Bei den Sammler:innen landet, was sie im besten Fall in den Galerien der Stadt erworben haben. Das Gallery Weekend soll Lust darauf machen, Kunst vor Ort zu kaufen und nicht erst auf Messen, wohin sie aufwendig geschafft werden muss.

Manchmal fängt es ganz einfach an, mit einem Gespräch in der Galerie, der Begegnung mit einem Künstler, von denen es so viele in Berlin gibt. Sie sind das größte Kapital der Kunststadt und stehen am Anfang.

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