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Zwittergesicht. Iași gilt als Rumäniens Kulturhauptstadt – und doch geschah hier Schreckliches.

©  Mauritius/Walter Bibikow

Rumänischer Roman „Oxenberg & Bernstein“: Wie ein Pogrom entsteht

Zu Besuch im rumänischen Iași bei Cătălin Mihuleac, Autor des Romans „Oxenberg & Bernstein“ – die Übersetzung ist für den Leipziger Buchpreis nominiert.

Blau-gelb-rot, wohin das Auge blickt: Jedes Gebäude im nordostrumänischen Iași ist derzeit in den Nationalfarben geschmückt. Das ganze Jahr lang feiert das Zentrum der historischen Region Moldau den hundertsten Jahrestag der Vereinigung mehrerer Territorien und damit die Geburtsstunde Großrumäniens. Iași ist Sitz der ältesten Universität des Landes, Austragungsort des Literaturfestivals „Filit“ und gilt als Kulturhauptstadt. In der italienisch anmutenden Villa des Dichters Vasile Pogor traf sich seit 1863 die literarische Gesellschaft Junimea, was etwa „strahlende Jugend“ bedeutet. Sie kann als Keimzelle der modernen rumänischen Literatur gelten, hatte in ihren Reihen aber auch einen Antisemiten wie den volkstümlichen Schriftsteller Ion Creangă.

Insgesamt zwölf Dichterdomizile wurden in Iași zu Literaturmuseen umgestaltet. Elf davon sind Männern gewidmet, das zwölfte und kleinste besteht aus dem Gartenhäuschen der Kinderbuchautorin, Poetin und Übersetzerin Otilia Cazimir. Keine einzige Beschriftung in den Museen ist übersetzt. Dadurch bleiben zahlreiche Repräsentanten vor allem des Surrealismus, der nirgendwo üppiger blühte als in Rumänien, „nur für den internen Gebrauch“ bestimmt, wie Cătălin Mihuleac mit sanftem Sarkasmus sagt.

Eines seiner Bücher trägt den Titel „Abenteuer eines bolschewistischen Gentlemans“. Das klingt nach einer Selbstbeschreibung des elegant gekleideten 57-Jährigen. Er hat unter anderem Geologie studiert und sich als Prosaautor, Dramatiker und Publizist mit Zwischenkriegszeit und jüdischen Schriftstellern wie Benjamin Fondane beschäftigt. Der Roman „Oxenberg & Bernstein“, den er als „die schönste und wichtigste Sache“ seines Lebens betrachtet, wurde nun von Ernest Wichner ins Deutsche übertragen. Dabei hatte Wichner zunächst Bedenken wegen der anzüglichen Sprache für ein Thema wie den Holocaust, wie er erklärt. „Oxenberg & Bernstein“ ist also zum Glück nicht länger dem internen Gebrauch vorbehalten, sondern in der Kategorie Übersetzung für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Der Roman hat für Unruhe gesorgt

Mihuleac nennt das Buch seinen Versuch, sich vor Rumänien zu schützen: „Es ist die Geschichte von Iași, der Stadt, in der ich wohne, aber auch Ausdruck meiner Bewunderung für das jüdische Volk.“ Der Roman hat seit seinem Erscheinen 2014 für Unruhe gesorgt und dem Verfasser heftige Anfeindungen und ein so winziges Honorar „wie das Loch in der Brezel“ eingetragen, wie er sich beschwert. Andererseits hat ein prächtiges Kino am zentralen Unirea-Platz durch Mihuleacs Betreiben seinen Vorkriegsnamen Trianon wieder angenommen. Und in der benachbarten Buchhandlung des Belletristik-Verlags Polirom bestätigt die Verkäuferin, dass sich „America de peste pogrom“, wie das Werk im Original heißt, zum Bestseller entwickelt hat.

Der Autor Cătălin Mihuleac
Der Autor Cătălin Mihuleac

©  dpa/Birgit Zimmermann

Die Romanheldin Sânziana Stipiuc ist Buchhalterin im Kaufhaus „Moldova“. Im Juni 2001 wird die junge Frau aufgrund ihrer Englischkenntnisse einen Tag freigestellt, um Dora Bernstein, einer amerikanischen Jüdin mit rumänischen Wurzeln, und deren 50-jährigem Sohn Ben die Stadt zu zeigen. Ausgerechnet in die Casă Ion Creangă soll sie die beiden führen. In Creangăs „Geschichte der Geschichten“ spielt ein Penis die Hauptrolle. Sânzianas Interesse aber richtet sich auf ein anderes Körperteil bei Ben: „Wie ein Paparazzo peile ich sein Gesäß an. Das Schönste am Mann. Die rechte Pobacke ist großartig. Etwas ausgebeulter. Dort sitzt sein Portemonnaie, darin die kleinen verzauberten Teppiche, die wie im Traum über den Ozean fliegen. Die Dollars. Und dort sitzt noch ein weiterer zauberhafter Teppich. Der Pass.“

Da die Bernsteins, Betreiber einer Second- Hand-Kette, „Sânziana“ nicht aussprechen können, taufen sie die Fremdenführerin Suzy. Die Amerikaner wollen nach Rumänien expandieren, und auch Suzy will sich verändern. Zunächst aber führt sie der 60. Jahrestag des Pogroms von Iași zusammen. Seitdem hängt auf Veranlassung der Elie-Wiesel-Gesellschaft am ehemaligen Polizeirevier eine Erinnerungstafel, allerdings wiederum nur auf Rumänisch. Am 29. Juni 1941 wurden auf Geheiß des faschistischen Antonescu-Regimes und mit Beteiligung der Wehrmacht 13 266 Juden ermordet. 2713 weitere Menschen starben bei der darauffolgenden Deportation.

Rumänisch-amerikanisches Epos

Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte die Moldau-Region den höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil, in Iași waren es 51 Prozent. In der Nachfolge von Curzio Malapartes Epos „Kaputt“ (1944) hat es Cătălin Mihuleac gewagt, das von seinen Landsleuten hartnäckig tabuisierte Pogrom als Familienroman mit zwei Erzählsträngen zu thematisieren. „ Das Geheimnis meines Buches besteht darin, dass der Leser an der Geschichte wie ein Co-Autor teilnimmt“, sagt er. Indem er den Parzenfaden auf der Gegenwartsebene Suzy anvertraut und im Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren das Schicksal der jüdischen Arztfamilie Oxenberg im Iași der 30er Jahre schildert, gelingt es Mihuleac tatsächlich, das Grauen des Pogroms in ein frivol-amüsantes rumänisch-amerikanisches Epos zu verpacken. Denn die pragmatische Suzy heiratet Ben kurzerhand, steigt bei Bernstein Vintage Ltd. ein, womit sie auch die Ihren in Rumänien saniert, und beginnt in den USA, die Herkunft der Bernsteins zu ergründen. Erst am Schluss enthüllt der vierteilige Roman durch den erschütternden Brief eines überlebenden Rabbiners aus Iași, wie die beiden Erzählebenen miteinander zusammenhängen – wenn es der Leser nicht vorher schon ahnt.

Alle Andeutungen sind von der tragischen Geschichte des Jacques Oxenberg und dessen schöner Frau Roza imprägniert. Als „Gynäkologe mit den Beethoven-Fingern“ und Meister des Kaiserschnitts erwirbt sich Jacques in den 1930er Jahren einen Ruf, der weit über Iași hinausgeht: „Er operiert, bringt Kinder zur Welt, ohne die intime Anatomie der Mutter in Mitleidenschaft zu ziehen, kassiert die Schecks, kommt nach Hause und trinkt im Bett mit seiner Frau Rotwein aus dem Bordeaux, um seine von den Unmengen Vulven, die sich in seiner Berufsbiografie bis unter die Decke stapeln, angeschlagene Potenz wieder aufzufrischen.“ Roza hat Literaturwissenschaft studiert und posiert als Model für die Zigarettenmarke Doina. Der Wohlstand der Oxenbergs mit ihren wohlgeratenen Kindern Lev und Golda weckt in ihrem zunehmend antisemitischen Umfeld Neid.

Ironie und Frivolität

Mit einer Fülle historischer Details zeichnet Cătălin Mihuleac das Tableau einer von der Propaganda der faschistischen Antonescu-Diktatur infiltrierten Gesellschaft, in der alles auf das Pogrom zusteuert: „Die Legionäre marschieren, zerschlagen Kieferknochen und Fensterscheiben, singen und erleichtern sich an den Türen des Juda auf der Strada Lăpușneanu.“ Jacques Oxenberg sieht sich als „Fotzendoktor“ denunziert. Seine ganze Kunst im Dienst des Lebens nützt ihm am 29. Juni 1941 nichts mehr: Er und sein Sohn werden brutal ermordet. An Roza toben sich mehrere Männer aus, darunter ein Hausangestellter. Nach der multiplen Vergewaltigung will sie nicht länger leben. Nur Tochter Golda bleibt übrig.

„Gehet alle in meiner Seele dahin“, endet der Brief des Rabbi, der dem außergewöhnlichen Roman einen kathartischen Schluss beschert. Ironie und Frivolität, beißende Kritik an den USA wie an Rumänien amalgamiert der Autor zu einem gerade für Deutsche tief bewegenden Versuch über den Holocaust. Vielleicht erkennt die Dichterstadt Iași, was sie an ihrem Chronisten Cătălin Mihuleac hat.

Cătălin Mihuleac: „Oxenberg & Bernstein“. Roman. Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Zsolnay Verlag, Wien 2018. 366 Seiten, 24 €.

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