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Rumänien Festival in Berlin: Pappkartons zu vermieten

Aenne Quinones hat für das Festival "Many Years After" rumänische Theatergruppen ins Hebbel am Ufer eingeladen. In ihren Stücken stellen sich die jungen Regisseure der Vergangenheit, sprechen bittere Wahrheiten aus - kommentieren aber auch den aktuellen Turbokapitalismus, der das einstige sozialistische Land erfasst hat

„Ich kann mit dieser Schizophrenie nicht leben“, beteuert der Mann vor dem Tribunal, „das eine zu denken, aber das andere zu sagen.“ Dorin Tudoran zieht die Konsequenzen. Der Poet, Essayist und Dissident will seine Heimat Rumänien verlassen, er hat den Ausreiseantrag gestellt und in einem Brief an den Schriftstellerverband mit Hungerstreik und Protestplakat-Aktion gedroht, sollte ihm kein Pass ausgestellt werden. Jetzt wird er in die Zange genommen, vom Propaganda-Sekretär der Kommunistischen Partei, Nicolae Croitoru, aber auch von Dumitru Radu Popescou, dem Präsidenten des Schriftstellerverbandes. Es ist ein zermürbendes Gespräch, das um die immergleichen Fragen kreist und gewiss nicht der Wahrheitsfindung dient. Tudoran wird auch keine Antwort auf die Frage erhalten, die er Popescu entgegen wirft: „Warum haben Sie solche Angst vor Schriftstellern?“

Die Inszenierung „X mm von Y km“ von Gianina Carbunariu – zu sehen im Rahmen des rumänischen Festivals „Many Years After…“ am HAU – springt zurück ins Jahr 1985. Als Grundlage diente ein kurzer Ausriss aus der über 10 000 Seiten umfassenden Securitate- Akte Tudorans, der schlussendlich in die USA emigrieren durfte. Den jungen rumänischen Künstlern geht es allerdings nicht um ein bloßes Reenactment seines Auftritts vor dem KP-Komitee. Vielmehr reflektieren sie mit ihrem dokumentarischen Theater über die Möglichkeiten und Grenzen, sich Historie anzueignen. Die Spieler tauschen im live abgefilmten Verhör immer wieder die Rollen von Dissident, Apparatschik und Opportunist, wechseln KP-Fellmütze und Perspektive, lassen die Sätze endlose Wiederholungsschleifen drehen. Es gibt keine abgeschlossene Vergangenheit, die Geschichte stellt vielmehr Fragen an die Gegenwart.

„Solidarität ist ein Begriff, der wiederholt in den Arbeiten der jungen Künstler auftaucht“, sagt Festival-Kuratorin Aenne Quinones. Die habe früher gefehlt. Und werde auch heute vermisst, wenngleich unter anderen Vorzeichen. In Rumänien tritt eine junge Generation von Theaterschaffenden auf den Plan, die ihre eigene Biographie ins Verhältnis zu den Umbrüchen und Verwerfungen von gestern setzen. Mit freien Produktionen, die staatlicherseits wenig Unterstützung zu erwarten haben. Die Situation für Künstler mag in Rumänien nicht so katastrophal sein wie in Ungarn, nicht so offen repressiv. Aber Quinones erzählt, dass etwa am rumänischen Kulturinstitut in Bukarest gerade die Leitung gewechselt habe, und der neue, konservative Chef ihrem Festival kurzerhand die Förderung strich. Man bevorzuge dort nationalistischen Glanz.

Es ist im besten Sinne unbequeme Kunst, die Quinones nach Berlin eingeladen hat. Wie das Stück „Capete infierbantate/Erhitzte Gemüter“ (15./16.12., HAU 3). Darin geht es um den „Bergarbeiter-Aufstand“ von 1990: Damals ließ die Regierung Proteste von Studenten und Oppositionellen gegen den korrupten Präsidenten Iliescu, Ceausescus Nachfolger, blutig niederschlagen – von busweise herangekarrten Bergarbeitern.

Einen blinden Fleck der Erinnerung nimmt auch Nicoleta Esinencu ins Visier: die Ermordung einer Viertelmillion rumänischer und ukrainischer Juden sowie von 20 000 Sinti und Roma zu Beginn der 1940er Jahre in Moldau. Aus Hetzreden des rumänischen Diktators Ion Antonescu, Filmaufnahmen und Zeitzeugen-Berichten montiert die Theatermacherin in „Clear History“ eine bittere Geschichtslektion. Da wird zum Beispiel berichtet, dass die Bewohner Bessarabiens sich für 2000 Lei einen Juden aussuchen konnte, dessen Kleidung sie haben wollten. „Die Ware wurde frisch erschossen geliefert“, heißt es nüchtern.

Auch ins Heute öffnet das Festival den Blick. Besonders mit der Installation „Globale Exotik“, die Alexandra Pirici und Andrei Dinu vor dem Bethanien am Kreuzberger Mariannenplatz errichtet haben: sie vermieten Obdachlosen-Quartiere, Pappkartons mit Plastikummantelung, fünf Minuten kosten einen Euro. Eine Aktion, die nicht nur die Berliner Mietensituation sarkastisch kommentiert, sondern auch zurückstrahlt ins turbokapitalistische Rumänien der Gegenwart. Jetzt ist alles käuflich. Nur historisches Bewusstsein nicht. Patrick Wildermann

Das Festival läuft bis zum 16. Dezember.

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