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Claudio Abbado und Daniel Barenboim mit Musikern der Filarmonica della Scala und des Orchestra Mozart.

© Teatro alla Scala

Kultur: Rückkehr des verlorenen Vaters

Claudio Abbado dirigiert an der Mailänder Scala.

„Bentornato Claudio!“ Das Publikum ist aufgeregt. Viel zu lange haben die Mailänder diesem Moment entgegengefiebert, manch einer wollte schon nicht mehr daran glauben. Und doch ist Claudio Abbado nach 26 langen Jahren endlich ans Pult „seiner“ Filarmonica della Scala zurückgekehrt. Der „Abbadiani“-Fanclub zuckelt vor dem Konzert in einer geschmückten Tram durch das Zentrum, im Theater wird der Dirigent mit Ovationen empfangen – und dann regiert nur noch die Musik.

Für die 6. Sinfonie von Mahler hat der unermüdliche Orchestergründer 157 Musiker auf der Bühne versammelt. Gleich in den ersten Takten des allegro energico ma non troppo steigt eine unerhörte Klangfülle aus diesem Riesenorchester empor, das Abbado 80 Minuten lang durch alle Höhen und Tiefen der „Tragischen“ führen wird. Im andante moderato brillieren die Bläser, die im Dialog miteinander feinste Nuancen ausformen. Wie der Komponist selbst bei seinen ersten Aufführungen stellt Abbado den langsamen Satz vor das irrlichternde Scherzo, des stärkeren Kontrasts zuliebe. Nach dem monumentalen Finale spendet der Saal eine Viertelstunde enthusiastischen Applaus.

Bei seinem Scala-Debüt 1965 hat Claudio Abbado Mahlers 2. Sinfonie dirigiert, in den folgenden Jahrzehnten ist er in Italien zum Wegbereiter für Mahler geworden. Mit der Filarmonica della Scala, 1982 von ihm nach dem Vorbild der Wiener Philharmoniker mit den Musikern des Opernhauses gegründet, pflegte er zudem das Repertoire in seiner ganzen Breite, bis hin zur Gegenwart. Nach 18 Jahren als Musikdirektor verließ Abbado die Scala 1986 im Streit und ging nach Wien. Knapp 20 Orchestermitglieder von damals sind heute noch dabei. Natürlich ruft seine Rückkehr jetzt auch Erinnerungen an große Opernaufführungen und Regisseure wach, etwa an den legendären „Simon Boccanegra“ von Verdi in der Regie Giorgio Strehlers, an Jean-Pierre Ponnelles Rossini-Trilogie oder an Jurij Ljubimows Lesart von Mussorgskys „Boris Godunow“ .

Ein anderer Weggefährte Abbados war im ersten Teil des Konzerts als Virtuose in Chopins e-Moll-Klavierkonzert zu erleben. Daniel Barenboim, seit fast einem Jahr Musikdirektor des Hauses, tritt in diesem Herbst als Pianist in drei Scala-Sonderkonzerten anlässlich seines eigenen 70. Geburtstags auf. Dass der „verlorene Sohn“ Claudio Abbado nun doch wieder in seine Heimatstadt zurückkam, ist sicherlich ihm und der Beharrlichkeit von Intendant Stéphane Lissner zu verdanken. Als die Filarmonica in den Neunzigerjahren dagegen protestierte, dass mit Gastorchestern Opernrepertoire aufgeführt werden sollte, schwor sich Abbado, nie wieder zurückzukehren. Beinahe hätte es dann bereits 2010 geklappt, als er statt einer Gage verlangte, zur Luftverbesserung in der Industriemetropole Mailand sollten 90 000 Bäume gepflanzt werden. Die Zusagen der Stadt blieben damals Lippenbekenntnisse – dem Maestro blieben zum Trost nur die Palmen in seinem Garten auf Sardinien. Corina Kolbe

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