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Generation Softrock. "La Boum" von 1980 katapultierte den Song "Reality" an die Spitze der Charts.

© La Bäml Filmverleih

Rückkehr der Klassiker ins Kino: Ewige Jugend

Es kann nicht genug Wiederaufführungen geben: Restaurierte Versionen von „La Boum“, „Die Reifeprüfung“ und „Belle de jour“ kommen ins Kino.

Ob sie eingeladen werden zur Party ihres Klassenkameraden Raoul, das wissen die neuen Schülerinnen Vic und Pénélopé nicht. Doch allein die Vorstellung bringt sie zum Quietschen. Als sie schließlich gefragt werden, tun die beiden 13-Jährigen gänzlich uninteressiert – aber kaum ist der Junge verschwunden, verfallen sie vollends in Hysterie.

So waren Pariser Teenager im Jahr 1980, und so sind sie bald 40 Jahre später wohl auch noch, nicht nur in Paris. Knapp viereinhalb Millionen Franzosen wollten das damals sehen: „La Boum – Die Fete“ war ein Riesenhit nicht nur wegen seiner Protagonisten, in denen alle ihre eigenen Kinder wiedererkannten, sondern vor allem wegen der Parallelgeschichte in der Welt der Erwachsenen mit den gleichen Eifersüchteleien, Verliebtheiten und Notlügen. Nur dass es da viel ernstere Konsequenzen hat. Claude Brasseur und Brigitte Fossey, zwei Superstars des Siebzigerjahre-Kinos, spielen die geplagten Teenie-Eltern, die sich ihrerseits von der Jugend nicht verabschieden wollen, wie viele aus der Generation der 68er es bis heute nicht geschafft haben. Ihre Tochter Vic – Sophie Marceau in ihrer ersten Filmrolle – findet das unsäglich peinlich. Und ansonsten alles merde.

„La Boum“ ist der perfekte Familienfilm

„La Boum“ ist dennoch ein optimistischer Film übers Erwachsenwerden und übers Erwachsensein. Fröhlich feiert er die kleinen Sünden und lässt die großen beiseite, konstatiert ein Generationenkonfliktchen, um es gleich wieder zu negieren, bringt die Zuschauer mit Seventies-Pop in Stimmung und macht den Soft-Rock-Song „Reality“ des britischen Sängers Richard Sanderson en passant zum Welthit, nach dem dann auf unzähligen Partys eng umschlungen getanzt wird.

Nun kommt Claude Pinoteaus Klassiker als Wiederaufführung ins sommerliche Kinoprogramm, und da passt er gut hin. Er hat die 37 Jahre seit seiner Uraufführung gut überstanden, sieht eher nach den Siebzigern als den Achtzigern aus. Retrolook für die jüngste, Ironie für die mittlere, Nostalgie für die ältere Generation – und fertig ist der perfekte Familienfilm.

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Das Erwachsenwerden vor 1968 begann später und war weniger harmlos, wie eine weitere Wiederaufführung zeigt, noch dazu frisch restauriert in 4 K : „The Graduate – Die Reifeprüfung“ spielt in der Mad-Men-Ära, als alte weiße Männer noch die Welt regierten und überzeugt waren, dass es sich so und nicht anders gehört. 50 Jahre ist es her, dass Dustin Hoffman die Rolle des College-Absolventen Benjamin Braddock übernahm, die den Beginn seiner Schauspielkarriere markierte. Zur Feier der akademischen Weihen laden seine Eltern ihre Freunde ein: Wohlhabende Paare schwenken Cocktailgläser, die Frauen zeigen sich gerührt, die Männer markig. Ben hingegen wirkt indolent, teilnahmslos – eine ideale Beute für Mrs. Robinson, die Ehefrau eines Geschäftspartners, die ihn so energisch wie pragmatisch in die Sexualität einführen wird. Ben überwindet seine Apathie und bricht – stellvertretend für eine ganze Generation – ins Unbekannte auf. Mit einer Gleichaltrigen, die schon nach Hippie aussieht.

Totale Isolation und Ohnmacht - Lebensgefühl einer Jugend von damals

„The Graduate“ steht für den Beginn des New-Hollywood-Kinos. Die jungen Leute hatten die Filme satt, mit denen sie aufgewachsen waren; sie wollten keine Stars sehen, sondern Schauspieler, die ihre Nachbarn hätten sein können; sie wollten keine Historienschinken, sondern Alltagsgeschichten über Leute wie sie selbst. Inszeniert vom Newcomer Mike Nichols, bediente „The Graduate“ dieses Bedürfnis und wurde gegen alle Erwartungen zum Publikumshit; heute zählt er zu den erfolgreichsten Werken der Filmgeschichte, wozu auch die samtige Musik von Simon & Garfunkel beitrug.

Die Entfremdung zwischen den Generationen, die Verlorenheit der Jungen, die es anders machen wollen als die Alten, aber noch nicht wissen, wie: Dem entspricht eine Ästhetik, die den Gemütszustand des Titelhelden ins Bild setzt. In einer der spektakulärsten und damals revolutionären Szenen teilt das Publikum die Perspektive Benjamins, der in einer Taucherausrüstung steckt. Man sieht die grotesk verzerrten Partygäste durch die Taucherbrille und sozusagen die eigenen, in Schwimmflossen steckenden Füße, und man hört nichts außer Benjamins Atem. Die totale Isolation und Ohnmacht – Lebensgefühl einer Jugend von damals.

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Benjamin, der wie die Vätergeneration Schlips, Hemd und eine brave Scheitelfrisur trägt, zeigt die Ratlosigkeit, unter der die Generation von 1968 gelitten haben muss, bevor sie revoltierte. Vielleicht bestand die Zumutung der Eltern ja darin, dass sie noch nicht einmal erwarteten, die Kinder sollten es besser machen. Wenn einer von Braddocks Geschäftsfreunden Ben verschwörerisch das „Wort der Zukunft“ zuraunt, klingt das heute wie der pure Hohn: „Plastik“.

Retrospektiv zeigt „The Graduate“ die Ursache für all das, was die Generation von 1968 umtreiben sollte: soziale Gerechtigkeit, politische Teilhabe, ökologisches Bewusstsein, Bruch mit Tabus und natürlich Sex. Und er zeigt, was in Dustin Hoffman steckt. Demnächst wird er 80.

Heute wirkt „Belle de jour“ unendlich altbacken

Dass ein 50 Jahre alter Film trotz aufwendiger Restaurierung beim Wiedersehen auch alt wirken kann, beweist „Belle de jour“ mit Catherine Deneuve, der ebenfalls 1967 Premiere feierte. Sie war bereits ein Star, als Luis Buñuel mit ihr drehte. Deneuve verkörperte die starren Konventionen der frühen 60er Jahre, mit ihrer kalten Eleganz, dem makellosen Äußeren von der Hochsteckfrisur bis zu den Lackpumps, ihrer pastellfarbenen Schönheit. Die Fantasien der jung verheirateten Sèverine, die nicht mit ihrem Ehemann schläft, sondern sein unendliches Verständnis für ihre vermeintliche Keuschheit immer weiter ausreizt, richten sich nicht auf den Liebesakt, sondern auf polymorphe Perversion. Aber der Schein trügt; es geht nicht um die Titelfigur, sondern um den Blick der Männer auf sie; Buñuels Film über eine bürgerliche Gattin, die in einem Edelbordell anheuert, ist ein verkleideter Männertraum. Heute wirkt, was damals vielleicht gewagt war, unendlich altbacken.

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Restaurierungen von Klassikern sind seit Einführung der DVD nicht mehr aufs Kino angewiesen und damit ständig verfügbar. Wer will, kann den filmhistorischen Kanon zu Hause kennenlernen – soweit die Rettung, sprich: Digitalisierung voranschreitet. Übrigens in anderen Ländern mehr als in Deutschland. Aber wer begreifen will, was die Filme bedeutet haben, bevor sie Klassiker wurden, warum sie Zuschauer begeistert, schockiert, gerührt oder zur Hysterie getrieben haben, der sollte sich in die Black Box des Kinos begeben. Filme an dem Ort anschauen, für den sie gedacht waren – es kann gar nicht genug Wiederaufführungen geben. Für ein jüngeres Publikum, das die Filme noch nicht kennt, und für die anderen, die sich beim Wiedersehen auch ein wenig selbst wiederentdecken können.

„La Boum“ (OmU): Lichtblick (So), Rollberg. „Belle de Jour“: Cinema Paris, International (So); OmU: Brotfabrik, Eiszeit, Rollberg. „The Graduate“ startet am 3. 8.

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