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The Strokes bei ihrem Auftritt auf dem Tempelhof Sounds.

© Imago/Jan Huebner

Rückblick auf das neue Berliner Musikfestival: Warum das Tempelhof Sounds begeisterte

Die erste Ausgabe des Tempelhof Sounds Festival überzeugte musikalisch und war bestens organisiert. Was lief noch gut – und was ist ausbaufähig?

Um kurz vor 22 Uhr am Sonntagabend ist es traurige Gewissheit. Ihren größten Hit „Last Nite“ spielen The Strokes heute nicht mehr. Ein paar enttäuschte Gesichter sind zu sehen. Doch das Lächeln kehrt schnell zurück. Denn das Tempelhof Sounds, das erste große Berliner Musikfestival nach der Pandemie, das in diesem Moment endet, war ein kleiner Triumph. Für die Fans, die Veranstalter, für Berlin. Und es findet mit dem Auftritt der New Yorker Band einen mehr als würdigen Abschluss.

Vom ersten Song „Bad Decisions“ an, schallten die Texte des Quintetts aus abertausenden Kehlen über den Vorplatz des Flughafengebäudes. Längst zu Klassikern gewordene Hits wie „Reptilia“ wechselten sich auf der Setlist mit Songs des aktuellen Albums „The New Abnormal“ ab. Der charmant zurückgenommene und doch mitreißende Auftritt stand im angenehmen Kontrast zur klinisch-perfekten Bombast-Rockshow der britischen Band Muse am Vortag.

Sänger Julian Casablancas alberte zwischen den Songs herum, improvisierte ein Ständchen für ein Dinosaurierkostüm im Publikum, interviewte seine Bandkollegen in Fantasie-Deutsch und setzte eine Maske auf, die mit einem jüngeren Foto von ihm bedruckt war.

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Am Nachmittag davor hatte das Post-Punk-Quintett Fontaines D.C. seinen aufgestauten Weltschmerz mit irischer Schroffheit dargeboten. Die Folkband Big Thief überzeugte mit herrlich schrägem Gitarrensound und einem Maultrommelsolo. Und die Londoner R'n'B-Sängerin Griff demonstrierte mit eindrucksvoller Bühnen-Präsenz und catchy Melodien, warum sie zu Recht als nächste große Popsensation gehandelt wird.

Doch abseits der musikalischen Qualität: Was hat bei der Premiere des Tempelhof Sounds Festivals auf Anhieb überzeugt - und was ist für die geplante Fortsetzung 2023 noch ausbaufähig?

Das war gut

  • Der OrtDer eigentliche Star dieses Festivals war das Tempelhofer Feld. Über sechs Jahre ist es her, dass hier mit dem Lollapalooza eine musikalische Veranstaltung in diesen Dimensionen stattgefunden hatte. Das zurückliegende Wochenende war ein eindringliches, dreitägiges Plädoyer gegen jegliche Bebauungspläne des ehemaligen Flughafens. Es ist die beste Berliner Festivallocation. Zentral gelegen und abgeschirmt durch die kilometerlange Flughalle, die eine spektakuläre Kulisse bietet. Betonierter Untergrund, der sich nicht in eine Schlammwüste verwandeln kann. Und dann begleitet der Gesang der Feldlerchen die ermüdeten Festivalbesucher auch noch auf dem Heimweg durch das Mondlicht.
  • Das KonzeptDie Veranstaltung stand im angenehmen Kontrast zum Konkurrenzfestival Lollapalooza, das, angereichert mit Fashion Shows und Fahrgeschäften, im September wieder am und im Olympiastadion stattfindet. Das Tempelhof Sounds hatte dagegen keinerlei Volksfestcharakter, sondern ein angenehm aufgeräumtes Programm: Drei Bühnen, Getränke- und Essstände, keine großflächigen Werbeflächen. Im Mittelpunkt stand die Musik. Der Sound war dabei trotz der Nähe zu Wohngebieten druckvoller als von vielen befürchtet.
  • Das Line-UpFestivals mit einem klaren Zuschnitt auf Gitarrenmusik galten eigentlich als überholt. Nicht alle Besucher konnten etwas mit der Rockoper von Muse, der Spiritualität von Florence + The Machine oder der nöligen Stimme des The-Strokes-Sängers Julian Casablancas anfangen. Doch für eine erste Ausgabe war das Booking außergewöhnlich ambitioniert und sehr international. Bands der Stunde wie Idles, Fontaines D.C. oder Big Thief teilten sich die Bühnen mit etablierten Größen wie The Libertines oder Interpol.
Drei Besucherinnen blicken über das Gelände beim Tempelhof Sounds Festival auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin.
Drei Besucherinnen blicken über das Gelände beim Tempelhof Sounds Festival auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin.

© Imago/Martin Müller

  • Die OrganisationObwohl das Festivalgelände vor dem Flughafengebäude kompakt aufgebaut war, kam es selten zu Gedränge oder längeren Warteschlangen. Es war ein Wochenende der kurzen Wege. Nur eine Minute brauchte man von einer Bühne zur anderen. Der Ablauf war so reibungslos, dass man oft nur den Kopf wenden musste, um das nächste Konzert zu sehen. Das Festival setzte aus Gründen der Nachhaltigkeit auf Komposttoiletten und Klos mit Wasserspülung. Sie waren in ausreichender Zahl vorhanden, langes Anstehen ließ sich meist vermeiden. Zu keinem Zeitpunkt hatte man den für Festivals so typischen Fäkalgestank in der Nase. Selbst am letzten Abend waren die Toiletten erstaunlich sauber. Zudem ließen sich an zentralen Wasserstellen bequem die Trinkflaschen auffüllen.
  • Das GeschlechterverhältnisAls erstes großes Festival in Deutschland hatte das Tempelhof Sounds ein nahezu geschlechtergerechtes Line-Up. Acts wie Florence + The Machine, Courtney Barnett, Sophie Hunger oder Anna Calvi widerlegten eindrucksvoll jeden Booker, der behauptet, man würde nicht ausreichend Musikerinnen für das Line-Up großer Festivals finden.

Hier gibt es noch was zu tun

  • Noch mehr Diversität wagenBei allem Lob für Genderfragen - Diversität bedeutet mehr als Geschlechtergerechtigkeit. Die erste Ausgabe hatte ein sehr weißes Line-Up. Die Veranstalter führten diesen Umstand auf die fehlende Verfügbarkeit im Booking zurück. Nächstes Jahr soll das schon anders aussehen.
  • Weniger RetroanstrichMit gealterten Indiehelden wie Maxïmo Park, Two Door Cinema Club und Interpol waren viele Bands vertreten, die sich bereits in den Neunziger- oder Nullerjahren gegründet hatten. Festivalmacher müssen natürlich darauf achten, dass bekannte Namen für die gewünschte Aufmerksamkeit sorgen. Doch etwas weniger Retroanstrich und mehr Mut zu einem frischeren und schärferen Profil dürften dem Tempelhof Sounds in Zukunft guttun.
  • Mehr SchattenplätzeViel besser hätte das Festivalwetter am Wochenende nicht sein können. Bevor die Sonne jeden Abend spektakulär die gläserne Fassade des alten Flughafens durchleuchtete, versteckte sie sich nur selten hinter Wolken. Durch den Betonuntergrund staute sich die Hitze auf dem Gelände. Viele Menschen suchten vergeblich nach Schattenplätzen.

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