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Juan Diego Florez als sexsüchtiger Libertin in Rossinis "Le Comte Ory"

© ROF/Amati Bacciardi

Rossini-Festival Pesaro: Vier Tenöre und ein Todesfall

Pesaro an der Adriaküste ist bei Strandurlaubern beliebt. Hier findet aber auch ein bedeutendes Festival zu Ehren des Komponisten Gioacchino Rossini statt.

Seit diesem Jahr leiten zwei Tenöre aus Peru das 1980 gegründete „Rossini Opera Festival“ in Pesaro, der Geburtsstadt des Komponisten: dem  „Sovrintendente“ Erneste Palacio wurde nämliche als „künstlerischer Direktor“ Juan Diego Florez beigesellt. Beide Südamerikaner waren dem Festival schon lange verbunden.

Palacio, der nach seiner Sängerkarriere eine Künstleragentur leitete, hatte 1972 in Italien den ersten Preis der „Nuovi Voci Rossiniane“ erhalten und an der Mailänder Scala mit Claudio Abbado, Alberto Zedda und Jean Pierre Ponnelle zusammengearbeitet - von denen der Impuls zur Gründung des Festivals in Pesaro ausgegangen war.  Juan Diego Florez wiederum startete in Pesaro mit Rossinis „Mathilde di Shabran“ 1998 seine steile Karriere. 

Rossini hat die Rollen der Tenöre in der Oper aufgewertet, nachdem die Helden zuvor meist Countertenöre und Kastraten gewesen waren. Er ersetzte sie nun durch Tenöre – und Mezzosopranistinnen, die ebenfalls waghalsige virtuose Verzierungen sangen. Zur Eröffnung seiner ersten Saison in Pesaro wählte Juan Diego Florez jetzt Rossinis vorletzte, in Paris uraufgeführte Oper „Le Comte Ory“ - die vielfach Musik aus "Viaggio a Reims" recycelt, der wiederum einen Fixpunkt des Festivals darstellt. Jahr für Jahr präsentieren Studierende der Rossini-Akademie dieses Werk als Musterbeispiel für Rossinis Belcanto.

Während die Männer in den Kreuzzug gezogen sind und ihren Frauen Keuschheitsgelübde abgenommen haben, versucht der Libertin Ory die Comtesse Adele zu verführen, verkleidet sich dazu zunächst als Eremit, später als Nonne. Florez selbst hat in Pesaro vor 19 Jahren in dieser Rolle brilliert.  Damals wurde „Comte Ory“  im Salon einer dekadenten französischen Gesellschaft als Spiel im Spiel vorgeführt.

Das Bühnenbild erinnert an Hieronymus Bosch

Weniger einleuchtend ist nun Hugo de Anas Inszenierung und seine Ausstattung, die die Höllen-Welt des spätgotischen Malers Hieronymus Bosch zitiert.  Mit nicht zu Ruhe kommendem Gehopse belebt der Chor die surrealen Bilder der „Vertreibung aus dem Paradies“,  wobei die zurückgelassenen Damen in einem Fitnessstudio unermüdlich trainieren müssen. Überzeugender sind die intimen Szenen, wenn Florez als Nonne mit einem Tretroller auf die Bühne fährt und Gräfin Adele bedrängt. Er beeindruckt dabei nicht nur mit seinen präzisen kräftig strahlenden Höhen, sondern überrascht auch als komödiantischer Schauspieler.

Regisseurin Cucchi zeigt traumatisierte Figuren

Rossinis „Otello“, die zweite Neuproduktion 2022, wurde im 19. Jahrhundert häufig gespielt, wurde dann aber von Giuseppe Verdis Shakespeare-Vertonung verdrängt. Der Zugang zum Stoff ist bei Rossini jedoch völlig anders - und auch trivialer. Mit einer heimlichen Hochzeit, mit gegenseitigen Intrigen und einem hartherzigen Vater, der einen anderen Schwiegersohn für die Tochter bevorzugt, kommt Rossinis „Otello“  beinahe der Dramaturgie einer buffa-Oper nahe - und tatsächlich hat er  auch eine Fassung mit Happy End ohne Eifersuchtsmord hergestellt.

Rosetta Cucchis Inszenierung zeigt jetzt jedoch moderne, allesamt tiefst traumatisierte Figuren. Auf Videotafeln kann  man bereits in der Ouvertüre Zeitungsmeldungen über Femizid lesen. Mit ängstlich aufgerissenen Augen scheint eine Doppelgängerin von Emilia, Desdemonas Freundin  das Geschehen zu reflektieren: die brutale männliche Gewalt von Vater, Liebhaber und Ehemann. Ein Chor geschändeter Frauen in  blutbeschmierten Nachthemden reiht sich  hinter  Desdemona auf, „No“ haben sie auf ihre Handballen geschrieben.

Wichtiger als Otello ist der Möchtegern-Liebhaber

Die drei ihre Männlichkeit ausagierenden Kämpfer sind alle Tenöre:  Antonio Siragusa gibt einschmeichelnd und gleichzeitig von scharfer Bestimmtheit den Intriganten Jago;  Enea Scala wiederum imponiert als Otello – in Cucchis Inszenierung ein weißer Militarist – mit heftigen Ausbrüchen. Doch die wichtigste Rolle ist bei Rossini nicht Otello, sondern der von Desdemona abgewiesene Liebhaber Rolando. Dmity Korchak beeindruckt vor allem mit „Che ascolto“, seiner virtuosen unter die Haut gehenden Verzweiflungsarie. Eleonora Buratto berührt  als Desdemona in dieser Männerwelt, mühelos zwischen Tiefen und Höhenlagen wechselnd.

Alle 39 Opern Rossinis, bisweilen lange verschüttet,  wurden beim Festival zu seinen Ehren mittlerweile wissenschaftlich und szenisch neu erarbeitet. Die Diskussionen, Erkundung und Wiederbelebungen seines Oeuvres aber sind noch lange nicht abgeschlossen. Der Adria-Ferienort Pesaro bleibt darum auch weiterhin das lohnende Ziel von Entdeckungsreisen in die Welt des Belcanto.

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