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Bibel-Fest. „Ciro in babilonia“ mit Ewa Podles und Michael Spyres.

© Bacciardi

Rossini-Festival in Pesaro: Hier gehen die Koloraturen anders

Mehr als schöne Töne: Belcanto-Glück beim Rossini-Opernfestival im italienischen Pesaro.

Mit der biblischen Handlung um den König Nebukadnezar und das verhängnisvolle Menetekel an der Palastwand nahmen es Gioacchino Rossini und sein Librettist Francesco Aventi nicht allzu genau. Hauptsache, es gab ein irgenwie christliches Sujet, damit man die Opernbühne auch in der Fastenzeit bespielen durfte. Also wurde flink die Geschichte des historisch verbürgten Feldherrn Ciro und dessen historisch nicht verbürgter Frau Amira hinzugenommen – die ihren Namen übrigens einzig der Tatsache verdankt, dass er im Italienischen hübsche Reime erlaubt. Bibel plus Liebesintrige plus Belcantogesang, fertig war Rossinis fünfte Oper, die er im Jahr 1812 für das Theater in Ferrara schrieb.

Beim Rossini-Festival in Pesaro an der Adriaküste lässt Regisseur Davide Livermore die krude Handlung nun in einem Stummfilmkino der zwanziger Jahre spielen. Schließlich liebten schon die großen Filmproduzenten der Schwarz-Weiß-Ära die biblischen Geschichten und gingen ähnlich frei damit um wie die italienischen Komponisten des 19. Jahrhunderts. Ciro, Amira und Nebukadnezar, der in der Oper Baldassare heißt, rollen also die Augen, recken die Arme und verharren in übertriebenen Posen. Der Chor tritt in die Filmhandlung oder kommentiert als Publikum der zwanziger Jahre, je nachdem, welche Aufgabe ihm im Stück gerade zufällt. Der Effekt wird frappierend, ja geradezu genial eingesetzt: Die veraltete Stummfilmästhetik bietet dem Publikum eine Anschlussmöglichkeit an die Belcantoästhetik Rossinis.

Zum Höhepunkt des Festivals jedoch wird die Oper „Matilde di Shabran“ mit Juan Diego Florez als Frauenverächter Corradino. An seiner Seite Olga Peretyatko als Matilde, die ihn selbstverständlich am Ende doch bezwingt. Gerade Florez zeigt hier sein komisches Talent. Er turnt auf den riesigen Wendeltreppen des Bühnenbildes herum, leidet herzzerreißend und macht selbst die schnellsten Stimmungsumschwünge verblüffend glaubhaft. Seine Koloraturen sind nicht bloß schlagkräftig, sondern mit immer neuem Einfallsreichtum subtil und geschmackvoll gestaltet.

Hier lebt das Ideal des Belcanto, in dem die Virtuosität weniger im schnellen Singen möglichst vieler Noten besteht, sondern vielmehr in der Schattierung übergroßer Emotionen. Die Sopranistin Olga Peretyatko kann es in jeder Hinsicht spielend mit ihm aufnehmen, und so gelingt das Melodramma giocoso in Mario Martones konservativer und detailverliebter Inszenierung.

Nicht nur, dass es immer wieder zu den Rossini-typischen Momenten des Selbstzweifels und der Selbstvergewisserung kommt, darüber hinaus kann die Stimmung von einem Moment auf den anderen umkippen. Ein verminderter Sextakkord reicht dem fabelhaften Dirigenten Michele Mariotti, und schon wird aus der Komödie eine Tragödie. Auch für den Orchesterpart gilt, dass eine perfekte Technik nur Voraussetzung ist für die Gestaltung dieser Musik. Das Orchester des Theaters Bologna verteidigt hier in allen Gruppen mit größter Souveränität seinen Ruf als bestes Opernorchester Italiens.

Hier zeigen sich die Rossini-Festspiele auf internationalem Niveau. Umso erstaunlicher, dass die Premiere der Farce „Il Signor Bruschino“ für einen Absturz in die allertiefste Provinzialität sorgt. Die läppische Inszenierung des Kollektivs Teatro Sotteraneo verlegt die Handlung um echte und falsche Söhne in einen Freizeitpark. Hier wird nichts mehr ernst genommen, alles verhampelt sich auf uninteressanteste Weise.

Nun kann jedes Festival mit einer Inszenierung auch mal Pech haben. Das Gesangsniveau bei dieser Aufführung wäre jedoch selbst an einem kleinen Repertoiretheater kaum verzeihlich gewesen. Zwischenzeitlich schien nicht ganz klar, welche Tonart überhaupt gemeint war, von stilistischen Feinheiten ganz zu schweigen. Ein schwarzer Abend der Festivalgeschichte.

Bei der Generalprobe zu „Il viaggio a Reims“ saß tags darauf der mittlerweile 84-jährige Dirigent Alberto Zedda in der ersten Reihe des Teatro Rossini im Stadtzentrum Pesaros und schaute den jungen Sängern des Nachwuchsprogramms zu. Mal applaudierte er nach einer Arie, dirigierte eine Phrase mit oder gab kleine Zeichen, auf die oben auf der Bühne sofort reagiert wurde. So bleibt auch nach dem „Bruschino“-Fiasko noch Hoffnung für die Zukunft des Belcantogesangs.

Zahllose Sängerinnen und Sänger hat Pesaro hervorgebracht. Juan Diego Florez beispielsweise gelang hier der internationale Durchbruch. Auch in diesem Jahr waren mit dem Tenor Randall Bills oder dem Bariton Davide Luciano echte Entdeckungen zu machen. Und es sieht nicht so aus, als ob Alberto Zedda das Heft bald aus der Hand geben will.

Das Festival läuft bis zum 23. August, Infos unter www.rossinioperafestival.it

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