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Hier kommt einem die Liebe japanisch vor. Camilla Nylund als Feldmarschallin (links) und Michèle Losier als ihr Liebhaber Octavian.

© Ruth Walz/Staatsoper

"Rosenkavalier"-Premiere an der Staatsoper: Wir Endzeitkinder

André Heller und Zubin Mehta präsentieren an der Berliner Staatsoper fünf Stunden lang einen rundgeschliffenen „Rosenkavalier“.

Geistreiches Plaudern, Schwadronieren auch sowie leichtfüßiges vom Hundertsteninstausendstekommen – darin ist André Heller noch immer eine Größe und gewiss auch Nachfahre einer durch die Nazis zum Verstummen gebrachten Erzähl- und Unterhaltungstradition.

Der nunmehr 72-jährige Wiener lässt sich einen der erfolgreichsten Multimediakünstler der Welt nennen, heute beinahe schon eine rührend altertümlich klingende Berufsbezeichnung. Wunderkammern hat Heller seinem Publikum geöffnet, Feuerspiele gen Himmel gesandt, die Magie der Manege beschworen.

Gerade hat er nach langer Pause auch wieder ein Album mit neuen Liedern eingespielt. Ein Lebenskreativer, der mit sich selbst im Reinen ist.

Erklärtes Ziel: „Das Publikum positiv erschüttern“.

2018 erreichte André Heller das Angebot, den „Rosenkavalier“ von Richard Strauss an der Staatsoper Unter den Linden zu inszenieren. ( Wieder am 13., 16., 19. 22., 27. und 29. Februar. Ein Mitschnitt wird am 21. März um 20.15 Uhr auf 3sat gesendet.) Hier versucht man immer wieder, Opernneulinge als Regisseure zu verpflichten, vielleicht in der Annahme, dass sie neue Operngänger mit sich bringen.

Diese vermeintlichen Besetzungscoups beinhalten auch eine latente Geringschätzung des Musiktheaters als Genre eigener Regeln und Potenziale. Heller aber ist zu wort- und weltgewandt, um vorschnell in die Falle zu gehen: Den legendären Ballett-Impresario Sergei Diaghilew zitierend versichert er sich einer ganzen Phalanx von Wiener Mitarbeitern.

Darunter sind die Malerin Xenia Hausner als Bühnenbildnerin und der Modeschöpfer Arthur Arbesser, der 122 Kostüme entwarf. Erklärtes Ziel: „Das Publikum positiv erschüttern“.

Dafür hat das Inszenierungsteam beim Spaziergang durch Hellers marokkanische Paradiesgärten am Fuße des Atlasgebirges ein Setting erdacht, das vielfältige Resonanzräume zu eröffnen vermag. Dabei nimmt man an, einer fiktiven, einmaligen Vorstellung des „Rosenkavalier“ am 9. Februar 1917 in der Wiener Hofoper beizuwohnen, einer Benefizveranstaltung zugunsten des k.u.k. Kriegs-Witwen- und Waisenfonds.

Alle Geistesgrößen kommen hier noch einmal zusammen, bevor die alte Welt gänzlich kollabiert. Selbst Gustav Klimt wird auf der Bühne gesehen und scheint gar nicht entsetzt, dass sein Beethoven-Fries das Palais des neureichen Herrn von Faninal ziert, der bereit ist, seine 15-jährige Tochter Sophie für einen alten Adelstitel zu verschachern.

„Man ist halt, was man ist, und braucht's nicht zu beweisen“

Die Idee, dieses so pralle, so selbstsicher aufrauschende Strauss-Stück an den Rand des Untergangs zu rücken, hat mehr als nur Charme. Daraus hätte man etwas machen können. Doch Heller zieht den Gedanken nicht straff, im Gegenteil. Sein vermeintliches Kriegsbenefiz ergeht sich in schier unerschöpflicher Pracht, während im realen Wien des Jahres 1917 die Marktstände längst leer blieben.

Der erste Akt zeigt das Schlafgemach der Feldmarschallin im Stil des Japonismus, darauf folgt der Beethoven-Fries als Bling- Bling-Blickfänger. Schließlich geht es noch in ein privates Palmenhaus mit wuselnden Bediensteten in orientalischer Kluft, weil Heller schon immer davon überzeugt war, dass sich ein Zimmermädchen dort besser verführen lasse als in der eigentlich vorgesehenen Vorstadtkaschemme. Dekor, Dekor, Dekor – und Ornamente, die auch deswegen ein Verbrechen sind, weil sie dem Vergangenen eine dumpfe Dominanz einräumen, gegen die zumindest in diesem Spiel kein Mittel gefunden wird.

Dabei müsste Heller es eigentlich besser wissen. Textdichter Hugo von Hofmannsthal war sein Trost als junger Internatsschüler, das Programmheft zeigt den Siebenjährigen gar im Rosenkavalier-Kostüm. Doch der einstmals auch bissige, stets dem Eigenwilligen verbundene Multimediakünstler will sich an diesem Abend partout an nichts abarbeiten.

„Man ist halt, was man ist, und braucht's nicht zu beweisen“, diese Haltung des dröhnenden Ochs auf Lerchenau gilt auch für den Inszenator und sein Team. Sich aber mit diesem in jeder Hinsicht bankrotten Baron gemein zu machen, dessen Nötigungen schon vor der überfälligen MeToo-Debatte übel aufstießen, erweist sich als Sackgasse. Hofmannsthals Vision von einer Geselligkeit unter allen Figuren, über alle Standesgrenzen hinweg, einem verbindenden allgemein menschlichen Fluidum, erscheint hier als galstrig-gestriges Geschwurbel.

Die Hörner stoßen ins Leere

Das ist umso trauriger, als die Schöpfer des „Rosenkavalier“ zugleich Mitbegründer der Salzburger Festspiele waren, die 1920 nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs das geistige Leben Europas stärken und widerstandsfähig machen wollten – eine Idee, die auch zum 100. Jubiläum nicht obsolet ist. Spannend wird, wie Barrie Kosky dieses Erbe 2021 in München neu deutet.

Das Internet vibriert bereits von besorgten Traditionalisten.

Ein Wunder hingegen ist gerade im Orchestergraben der Staatsoper zu erleben. Zubin Mehta, vor einem Jahr noch schwer von Krankheit gezeichnet, dirigiert die „Rosenkavalier“-Premiere und parallel auch noch eine „Falstaff“-Serie.

Und es scheint, als klinge etwas vom Beginn seiner nunmehr 60 Jahre währenden Karriere durch, als Mehta in Wien studierte. Ein Gefühl für Walzertakt und Sprachmelodie, gepaart mit einem sonnigen Durchhaltewillen jenseits aller Hast.

Der Auftakt gelingt wie alles, was forcieren und zuspitzen müsste, überhaupt nicht: Die Hörner stoßen ins Leere, die Streicher spielen wie hinter einer Wand aus Pappe.

Es gibt aber auch schön zart schwebende Momente

Doch im Nachgeben findet dieser große Dirigent zu zart schwebenden Momenten, die den Stimmen jede Chance zur Entfaltung lassen, nur eben nichts auf den Punkt bringen. Darin mag man Anzeichen von Weisheit erkennen, aber sie hat auch einen hohen Preis.

Den Sängerinnen und Sängern fehlt es hörbar an Halt in diesem Konversationsstück mit enorm viel Text, sie verlieren sich, anstatt zu finden, was sich in ihren Herzen tatsächlich abspielt. Camilla Nylunds große Strauss-Vertrautheit ist ihrer Feldmarschallin anzumerken, sie bewegt sich eigentlich in ihrem Revier.

Doch ihre Höhe wirkt seltsam unverbunden, wie ein abgespaltener Teil der Persönlichkeit. Die kanadische Mezzosopranistin Michèle Losier verstrickt sich als Octavian selbst immer mehr in den Geschlechterrollen und büßt einen Teil ihrer jugendlichen Ausstrahlung ein. Am übelsten erwischt es den potentesten Sänger des Abends. Günther Groissböck hat als Ochs so viel Kraft, dass er immer nur noch kleiner wird, je länger die Oper währt. Fast tut er einem leid in seinem dialekttriefenden Blöken.

Aber auch nur fast, denn dafür zieht sich das Ganze einfach viel zu lange hin (fünf Stunden inklusive zweier Pausen). Roman Trekel singt einen glanzlosen Faninal im Goldanzug, Nadine Sierra irrlichtert als Sophie weitgehend ungeschützt durch den Raum.

„Gehe ich liebevoll und behutsam genug mit der Zeit des Publikums, der Mitwirkenden und meiner eigenen sowie den für meine weitere Ausbildung – zur Tilgung weißer Flecken auf der Landkarte meines Wissens – dringend nötigen Stunden um?" Diese Frage, die sich selbst viel Zeit nimmt, stellt André Heller sich im Programmheft. Man kann sie schnell beantworten.

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