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Mächtigster Hobbyautor der Welt Bill Clinton findet neben seiner Stiftungsarbeit noch Zeit zum Schreiben.

© Leah Millis/Reuters

Romandebüt von Bill Clinton: Wer im Weißen Haus sitzt

Bill Clintons Polit-Thriller „The President is Missing“ liest sich wie das Drehbuch für ein gerechteres Amerika.

Am Ende steht der Präsident vor den Mitgliedern des Kongresses in Washington und hält eine Rede voller Pathos, die wohl als mahnendes Vermächtnis gelten soll. Nach allem, was passiert ist, wünscht sich US-Präsident Jonathan Duncan einen Neuanfang, über Parteigrenzen hinweg, um die amerikanische Demokratie vor einem weiteren Abrutschen in Klan-Strukturen, Extremismus und wachsende Vorurteile zu schützen. „Unsere Bereitschaft, das Schlimmste von den anderen zu erwarten, nimmt zu. Unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen und Chancen zu nutzen, nimmt ab. Wir müssen besser werden.“ Kurze Entwarnung an alle Trump-Müden gleich zu Beginn: Der amtierende US-Präsident kommt im Politthriller „The President is Missing“ seines Vorvorgängers Bill Clinton und dessen Ko-Autors James Patterson nicht vor. Zumindest nicht namentlich. Er geistert lediglich als abschreckende Version des mächtigsten Mannes der Welt im Hintergrund dieses Krimis herum.

Clinton wechselt von der Autobiografie zur Fiktion

Interessant, was US-Präsidenten nach ihrer Amtszeit so alles tun: George W. Bush malt, Barack Obama hat gerade gemeinsam mit seiner Frau Michelle bei Netflix als Produzent unterschrieben. Und Bill Clinton hat nach der Wahlniederlage seiner Frau Hillary und neben den Verpflichtungen in seiner Stiftung offenbar Gefallen am Bücherschreiben gefunden: Der erfolgreiche Autobiograf wagt sich jetzt erstmals an Fiction – bei Donald Trump fühlen sich manche Beobachter schon jetzt wie in einem schlechten Film. Der Plot des gerade erschienenen, eher klassischen 480-Seiten-Krimis ist schnell erzählt: Präsident Duncan, der sich eigentlich gerade vor einem Untersuchungsausschuss wegen eines missglückten Einsatzes in Algerien gegen eine drohende Amtsenthebung verteidigen muss, verschwindet plötzlich aus der Öffentlichkeit, um mithilfe von wenigen Vertrauten, geläuterten Hackern sowie den Regierungschefs von Russland, Israel und Deutschland eine gigantische Cyberattacke abzuwehren. (Für politische Feinschmecker am Rande: Der Bundeskanzler heißt Richter, der Chef des Bundesnachrichtendienstes Kohl) Der verwitwete Kriegsheld aus North Carolina, einst im Irak gefangen und trotz Folter standhaft geblieben, fährt dabei selbst Auto, schießt treffsicher und gibt den geborenen Anführer: gerechtigkeitsliebend, empathisch und entschlossen, wenn es sein muss, auch hart.

Ein Terrorist will Amerika ins Mittelalter katapultieren

Serienfans fühlen sich an „The Designated Survivor“ erinnert, in der Kiefer Sutherland als moralisch gefestigter US-Präsident Tom Kirkman ähnliche Herausforderungen bestehen muss, um sein Land vor gleich mehreren Katastrophen zu bewahren. Die Filmrechte von „The President is Missing“, das sich über weite Strecken bereits wie ein fertiges Drehbuch liest, sind naturgemäß längst verkauft: an den Kabelsender Showtime.

Der türkische Terrorist und Anführerer der Gruppe „Söhne des Dschihad“ Suliman Cindoruk – komplizierterweise kein Moslem, sondern ein „säkularer rechtsradikaler Nationalist, der gegen den Einfluss des Westens in Süd- und Osteuropa kämpft“, wie Duncan erklärt – will mittels einer Cyber-Attacke die Vereinigten Staaten ins technologische Mittelalter zurückkatapultieren. Und, wie sich am Ende herausstellt, würde das nicht nur manchen Mitgliedern des saudischen Königshauses, sondern auch dem noch immer von alter Größe träumenden Russland gut ins Konzept passen. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

Duncan will „Dark Ages“, so der Codename des Cyberangriffs, in letzter Minute verhindern und wird in diesen drei entscheidenden Tagen im Mai auch von einer schwangeren, als Kind auf dem Balkan schwer traumatisierten Attentäterin verfolgt, die sich Bach nennt, gerne klassische Musik hört und mit ihrem Präzisionsgewehr „Anna Magdalena“ ihre Opfer kaltblütig ausschaltet.

Schmeichelhafte Imagepflege für den Ex-Präsidenten

Es muss für den 71-jährigen Bill Clinton, eine späte Genugtuung sein, diesen präsidialen Actionhelden zu erschaffen, der, von Verrat aus den eigenen Reihen bedroht, am Ende vor dem Kongress nicht weniger als die moralische Neuerschaffung Amerikas fordern darf: inklusive gerechter Wahlrechts- und Steuerreform, einem liberalen Einwanderungsrecht und bezahlbarer medizinischer Versorgung.

Clinton gelang es in seiner eigenen Amtszeit zwischen 1993 und 2001 zum Beispiel nicht, den späteren 9/11-Drahtzieher Osama bin Laden zu stoppen, und in der Monica-Lewinsky-Affäre kämpfte er sogar gegen eine Amtsenthebung. Seither hat Clinton auch an der demokratischen Basis seinen Nimbus als „bester US-Präsident“ eingebüßt. Als er zu Beginn der Woche im Zuge seiner Werbetour auf NBC im Zusammenhang mit der Lewinsky-Affäre zur MeToo-Bewegung befragt wurde, reagierte er verärgert. Es folgte ein Shitstorm, CNN nannte Clintons Verhalten „uneinsichtig“.

„The President is Missing“ dient zu einem gewissen Grad auch der Imagekorrektur. Erinnerungen an einen anderen Präsidenten schimmern auf, wenn Clinton Duncan sagen lässt: „Was wäre, wenn wir uns fragen würden: Wem kann ich heute helfen, statt zu überlegen, wem ich heute schaden kann?“ Der bekennende Fan des laut „Forbes“ immerhin „reichsten Autors Amerikas“ James Patterson (mit einer Auflage von 365 Millionen) legt da mal kurz ein aus demokratischer Sicht ideales Regierungsprogramm vor, das Clinton allerdings selbst nie umzusetzen vermochte. Immer wieder wettert Duncan gegen die politischen Strippenzieher, die nur aus machtstrategischem Kalkül handeln, während der Präsident doch nur das Richtige tun möchte, um die Welt zu verbessern. Die Frage bleibt, ob dies tatsächlich das Bild ist, das Bill Clinton rückblickend von sich selbst hat.

Bill Clinton, James Patterson: The President is Missing. Roman. Aus dem Englischen von Anke und Eberhard Kreuzer. Droemer Verlag, München 2018. 480 Seiten, 22,99 Euro.

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