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Meister der Kurzprosa. Jan Peter Bremer, 54.

© Andreas Hornoff

Roman von Jan Peter Bremer: Im Mikrokosmos aus Hysterie und Desillusionierung

Verzweifelt heiter und ganz schön böse: In Jan Peter Bremers neuem Roman „Der junge Doktorand“ kriegt ein verzweifeltes Ehepaar unerwarteten Besuch.

Das Warten auf etwas, das niemals eintrifft, sei es eine Person, sei es ein Ereignis, ist ein Topos der absurden Literatur. Der junge Doktorand in Jan Peter Bremers gleichnamigem Roman steht allerdings eines Abends tatsächlich vor der Tür von Natascha und Günter Greilach. Und das, nachdem er über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg seine Ankunft mittels entschuldigender Postkarten immer wieder hinausgezögert hat.

Jetzt ist er also da – eine Projektionsfigur, ein Sehnsuchtsmensch, der im Leben des Ehepaars Greilach für eine Wende sorgen soll. Man wird sehen, inwieweit diese Hoffnungen sich erfüllen.

Jan Peter Bremer, 1965 in Berlin geboren und hier auch zu Hause, ist ein Spezialist für die aussterbende Form des durchkomponierten Kurzromans. All seine Texte, darunter auch der vielfach ausgezeichnete Roman „Der amerikanische Investor“, haben einen Zug ins Groteske, und mit 176 Seiten ist sein neuer Roman, der auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis steht, eines der umfangreichsten Werke Bremers.

Günter Greilach und seine Frau Natascha leben seit Jahrzehnten am Rand eines Dorfs in einer alten Mühle. Sie pflegt noch ein paar lose, von gegenseitigen Eifersüchteleien dominierte Freundschaften; er selbst meidet seit einem Jahre zurückliegenden Streit jeden Kontakt mit der Außenwelt.

Greilach ist Maler. Der junge Doktorand schreibt, das jedenfalls ist die Erwartungshaltung der Greilachs, eine wissenschaftliche Arbeit über Günters Werk und wertet dieses, sollte die Dissertation jemals zum Abschluss kommen, in ebenso großem Maß auf wie das Ego des gealterten und in Vergessenheit geratenen Künstlers.

Gegenseitige Abwertung bestimmt das Eheklima

Der Clou an Bremers so bösartigen wie komischen Roman sind seine Perspektivwechsel. Betrachten wir die Ankunft des jungen Mannes, Florian Sommer ist sein Name, wie sich bald herausstellt, durch die Augen von Natascha, werden wir zu Beginn noch Zeuge einer abgenutzten und in gegenseitiger Verachtung erstarrten Ehe, drehen sich die Verhältnisse und schwinden die Gewissheiten immer dann, wenn sich der Blickwinkel verschiebt.

Paar-Rassismus und gegenseitige Abwertung bestimmen das Eheklima der Greilachs. Der junge Herr Sommer, der dem Fantasiebild eines jungen, erotisch attraktiven Mannes, das Natascha sich von ihm gemacht hat, so gar nicht entsprechen will, wird zum peinlich berührten Zeugen zweier gescheiterter Existenzen.

[Jan Peter Bremer: Der junge Doktorand. Roman. Berlin Verlag, München/Berlin 2019. 176 Seiten, 20 €.]

Hinter Greilachs verschwafelten Abhandlungen über Kunst und deren Bedeutung spürt man die nackte Angst vor der Bedeutungslosigkeit; hinter Nataschas Selbstbehauptungsversuchen wiederum scheint tiefe Resignation auf.

Man wisse nicht, so heißt es einmal, ob man sich in einem Zustand rigoroser Heiterkeit oder abgrundtiefer Verzweiflung befinde. Zwischen diesen beiden Polen schwenkt Bremer sein Kammerspiel von Absatz zu Absatz kunstvoll hin- und her, in knappen, vordergründig amüsanten Dialogen. Dass der angebliche Doktorand in Wahrheit ebenfalls vollkommen andere Interessen hat als die, die von ihm erwartet werden, macht die Situation nicht einfacher, sorgt aber von außen betrachtet für eine gewisse Erdung.

Jedem geht es bloß um das Selbstbild

Der junge Mann ist der einzig Vernünftige in einem Mikrokosmos aus Hysterie und Desillusion, in dem man als Leser beginnt, eine permanente Gegenrealität zu jenem Szenario zu entwerfen, das Bremer so hinterlistig aufbaut. Im Grunde geht es für alle drei darum, auf die ihnen gemäße und angenehme Art und Weise wahrgenommen zu werden, von außen so gesehen zu werden, dass es für den jeweiligen selbst noch erträglich ist.

Was Jan Peter Bremer in „Der junge Doktorand“, einem großartigen und traurigen Buch, betreibt, ist ein gewaltiger Selbstbildabriss. Der Unterschied zwischen Florian Sommer und dem Ehepaar Greilach: Sommer hat noch die Chance zu gehen. Das ist ein Trost. Was er in der Mühle zurücklässt, mag man sich gar nicht vorstellen.

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