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Schweizer Autor mit rumänischen Wurzeln. Catalin Dorian Florescu.

©  Lesepfad MV 2012

Roman von Catalin Dorian Florescu: Am Mund des Flusses

Zwischen dem rumänischen Donaudelta und New York: Catalin Dorian Florescus Roman „Der Mann, der das Glück bringt“

Der Mensch ist ein Geschichten erzählendes Tier, bemerkte der amerikanische Philosoph Alasdair MacIntyre einmal. Er könne die Frage, was er tun soll, immer nur aus einer bestimmten Perspektive beantworten. Das könnte dem neuen Roman des Schweizer Autors Catalin Dorian Florescu als Motto vorangestellt sein, denn in den New Yorker Slums von 1899 lebt es sich mit einer erfundenen Geschichte oft besser als mit der, die einem das Schicksal zugedacht hat.

Es gibt „zu viele Geschichten, um sich auf eine festzulegen“, weiß der kleine Zeitungsjunge, der sich „Streichholz“ nennt und sich in einer Silvesternacht entscheidet, lieber die Freakshows in den Varietés anzuschauen als das Angebot anzunehmen, einen ordentlichen Beruf zu erlernen. Sein Ziel ist es, einmal Sänger in einem Vaudeville-Theater zu werden – beziehungsweise „der Mann, der das Glück bringt“, wie Florescus Roman heißt.

Geschichten werden auch auf der anderen Seite der Welt erzählt, im zurückgebliebenen rumänischen Donaudelta etwa, von wo der in Zürich lebende Autor stammt, und wo „Necuratul“, der Unsaubere, wie man dort den Teufel nennt, näher ist als anderswo. Ereignisse, die die Welt erschüttern, werden nur mit großer Verzögerung wahrgenommen, auf Zeitungen, mit denen die Hütten tapeziert sind. Immerhin ist der Mythos Amerika auch am „Mund des Flusses“ angekommen und der Plattenspieler das Synonym für das gelobte Land.

Die Geschichte von Großvater, der vom Mond fiel, schwangere Frauen zum Schmelzen und Neugeborene in den Himmel brachte und den drei Elenas aus dem Donaudelta umfasst drei Generationen. Erzählt wird sie alternierend von den Enkeln, Ray und Elena, die sich zufällig zu 9/11 in New York treffen, wo Elena die Asche ihrer toten Mutter verstreuen soll. Diese war vom Teufel verflucht. In den Augen ihrer Eltern mit dem falschen Geschlecht geboren, hält sich das Kind an den zurückgebliebenen Lipowaner Vanea, einen Deltakundigen, der am liebsten Graureiher beobachtet. Doch die Magie der Landschaft und die Vögel fesseln sie nicht. Sie will fort, am liebsten nach Amerika. Doch „ihr Leben würde eine Wendung nehmen, die grausamer war als alles, was man in der monotonen Welt des Deltas erwarten konnte.“

Solche orakelnden Ankündigungen durchziehen den barock anmutenden Roman. Er stützt sich auf minutiöse Recherchen, die das erzählerische Gelände absichern, ihm fehlt jedoch der Damm, der Florescus Opulenz zügeln würde. Bedrückend aktuell dagegen ist die Geschichte über die nicht abreißenden Folge von Emigranten, die mit allen Mitteln versuchen, nach Amerika zu gelangen. Florescu erzählt von der Armut in den Slums, in denen ein Leben nichts wert ist und von den toten Kindern, die regelmäßig auf einem Dampfschiff über den East River auf die Hart-Inseln gebracht werden. 1911 wird Rays Großvater von den brennenden Kleiderfabriken erzählen, in denen die Arbeiterinnen umkommen und zeigen, dass das Elend nur einen Kontinent weitergezogen ist.

Florescus Erzählfuror kann man sich nur schwer entziehen. Ins Schlingern gerät er im letzten Drittel des Romans, als, wie vom Himmel gefallen, Ray und Elena im beginnenden 21. Jahrhundert auftreten und immer wieder erzwungen wirkende Zufälle nachhelfen müssen, um die Geschichte am Laufen zu halten. Elena erscheint dabei wie das Alter Ego des Autors, eine durch Manhattan streifende Flaneurin, die Straßenname um Straßenname abarbeitet und schließlich durch den Staub der einstürzenden Twin Towers stolpert. Ulrike Baureithel

Catalin Dorian Florescu: Der Mann, der das Glück bringt. Roman. Verlag C.H. Beck, München 2016. 325 Seiten, 19,95 €. – Der Autor stellt sein Buch am heutigen Donnerstag (19.30 Uhr) in der Karl-Marx-Buchhandlung (Karl-Marx-Allee 48) vor.

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