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André Kubiczek.

© Susanne Schleyer/Rowohlt Verlag

Roman: „Skizze eines Sommers“: Zeit der Mixtapes

Junge Schwärmer: André Kubiczeks wunderbare „Skizze eines Sommers“ erzählt die Geschichte des Jungen René und seinen Alltag in der DDR im Sommer 1985.

Das Mixtape ist ein Artefakt; eine ferne Erinnerung an eine so dezente wie persönliche, verloren gegangene Möglichkeit der Liebeserklärung. René stellt für das schönste Mädchen der Welt, dessen Namen er noch nicht einmal kennt, ein Tape zusammen. Auf der dunklen A-Seite: The Cure und Sisters of Mercy. Auf der helleren B-Seite Bands wie Killing Joke oder Simple Minds. Und weil jedes ordentliche Mixtape einen Namen braucht, benennt René sein Werk nach einem der Songtitel: „Sketch for Summer“, zu Deutsch: „Skizze eines Sommers“. So hat auch André Kubiczek seinen neuen Roman genannt. Und wer sich das Jugendfoto des Autors, das er auf Facebook gepostet hat, betrachtet, stellt umgehend fest, dass der jugendliche André und sein adoleszenter Held René nicht nur biografische, sondern auch gewisse optische Gemeinsamkeiten aufweisen.

Potsdam, im Juli 1985. Die Sommerferien stehen ins Haus. Für René die letzten in Potsdam. Danach soll er auf ein Eliteinternat in Halle an der Saale gehen. Die Mutter, das ist die große, behutsam umkreiste traumatische Wunde, ist vor zwei Jahren gestorben. Und der Vater wurde als treuer Parteigänger ausgewählt, am Tag vor Renés Geburtstag für sieben Wochen zu einer Friedenskonferenz in die Schweiz zu fahren, als Repräsentant des arbeitenden Volkes. Diese sieben Wochen, in denen der Roman spielt, sind ein Zeitraum, in dem rein äußerlich nicht sonderlich viel geschieht. Gleichzeitig aber sind die Verschiebungen für René geradezu epochal. Zum einen sind es die Wochen, in denen man zum letzten Mal das tut, was man immer getan hat. Zum anderen tun sich plötzlich Perspektiven, Möglichkeiten, Gefühle auf, die so vorher noch nicht da waren. Mit dem unschönen Wort Pubertät ist all das nur unzureichend beschrieben.

Ein schlauer, verschlossener Junge, der im DDR-Alltag auffällt

Es braucht einen Könner wie Kubiczek, um den Schwebezustand dieser Zeit in einer authentischen Jugendsprache festzuhalten, die an keiner Stelle etwas Ranschmeißerisches oder Anbiederndes hat. Von Beginn an ist er da, dieser leicht melancholische, aber auch leicht unbeholfene Tonfall, in dem die Leser auch gerne einmal direkt angesprochen werden. Das ist nicht falsche Verbrüderung; das ist der Versuch des Sichverständlichmachens.

Der Vater hat René 1000 Mark dagelassen. Zum Geburtstag kommen noch ein paar Scheine hinzu. René hat also Geld, eine sturmfreie Bude und ein paar Freunde. Mario wohnt in der Wohnung über René und besticht weniger durch seine intellektuellen Fähigkeiten. Dirk und Michael dagegen geben sich als Dandys. René stilisiert sich zum Außenseiter, weil er einer ist. Trägt ausschließlich, Schwarz, toupiert sich die Haare, liest, was ihm in die Finger kommt, die russischen Futuristen, die französischen Lyriker des 19. Jahrhunderts. Und Oscar Wilde. Ein schlauer, verschlossener Junge, der im spießigen DDR-Alltag auffällt. Und der dann, wie kann es anders sein, unter die Frauen kommt.

Ein atmosphärisches Bild der DDR

Bianca ist die beste Freundin von Marios Freundin. Sie ist sexy, offen, direkt und unkompliziert. Das namenlose schönste Mädchen der Welt dagegen ist wie René. Sie trägt wie Cure-Sänger Robert Smith übergroße weiße Turnschuhe mit heraushängenden Laschen und sitzt einfach eines Tages neben René auf der Bank. All das geschieht so, weil es eben geschieht, auf eine so selbstverständliche wie zauberhafte Weise. Und es ist André Kubiczek hoch anzurechnen, dass er all diese Figuren so großartig nachzeichnet, ohne ihnen zu nahezutreten in all ihrer Lebensunsicherheit und Ausprobierbereitschaft. Popmusik, Kleidung, Bücher, Lebenshaltungen sind in „Skizze eines Sommers“ identitätsstiftende Pfeiler. Ohne sie kein Dasein. Irgendwann kommt noch Rebecca hinzu, die Geheimnisvolle, um die Dirk und Michael sich streiten. Sie konterkariert Renés Dunkelmann-Auftritte mit streng intellektueller Destruktion: Einstürzende Neubauten statt Sisters of Mercy, Brecht statt Wilde.

All das fließt so dahin, und die Zeit fließt mit. Die Tage, die Wochen vergehen; die sieben Flaschen „Napoléon“-Weinbrand, die der Vater unter der Spüle zurückgelassen hat, leeren sich langsam, und eines Tages bekommt das Mädchen ohne Namen einen Namen. „Das Leben“ , stellt René zu seiner Überraschung fest, „konnte gleichzeitig monoton sein und schön.“ Für diesen Zustand ist André Kubiczek, das hat er mehrfach bewiesen, ein Spezialist. Noch dazu transportiert er in den Details und scheinbar nebenbei ein atmosphärisches Bild der DDR jener Jahre. Auch das kann Kubiczek wie kaum ein anderer. „Skizze eines Sommers“, Kubiczeks bester Roman seit dem tollen Debüt „Junge Talente“, ist das Buch eines jugendlichen Schwärmers, das zum Schwärmen einlädt.

André Kubiczek: Skizze eines Sommers. Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Reinbek 2016. 384 Seiten, 19,95 €.

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