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Die Schrifstellerin Rachel Cusk.

© REUTERS

Roman "Outline": Über den Wolken redet sich’s besser

Ehen und andere Krisen: Im Roman „Outline“ von Rachel Cusk wird viel erzählt und wenig gehandelt.

Zwei Fremde im Zug, die sich ihr Leben erzählen, im Wissen, dass sie einander nie wieder begegnen: So ausgedient das Motiv erscheint, als Kunstgriff setzt es immer noch eine Geschichte in Gang. Die beiden Fremden, die einander in Rachel Cusks Roman „Outline“ im Flugzeug begegnen, setzen allerdings nichts in Gang außer ihrer Rede – als würde die 1967 in Kanada geborene und in Großbritannien aufgewachsene Autorin ihren bisherigen Expeditionen in die Innenwelten moderner Paare inzwischen misstrauen.

Nach dem autobiografischen Bericht „Aftermath“ von 2012 über das Ende ihrer Ehe mit dem Fotografen Adrian Clarke hat Cusk mit „Outline“ den Schreibfaden wieder aufgenommen. Diesmal allerdings nicht als Gestalterin mehr oder minder austauschbarer Mittelschichtsschicksale, sondern als distanzierte Protokollantin von Sinngebungen und eingestandenen Niederlagen.

Mit ihrem Sitznachbarn über den Wolken verbindet die Schriftstellerin Faye, deren Namen man erst spät erfährt, zunächst kaum etwas. Der aus einer griechischen Reeder-Familie stammende, nicht besonders attraktive Mann beginnt Faye, die sich auf dem Weg zu einem Creative-Writing-Seminar in Athen befindet, von seiner Kindheit zu erzählen, seiner Einsamkeit in einem englischen Internat, seinen gescheiterten Ehen. Weder die Erinnerung an materielle Verluste noch an Schmerz haben ihn abgehalten, es immer wieder zu versuchen. Mit ähnlicher Insistenz, wie einst Fayes Kinder Gegenstände vom Hochstuhl warfen: Die Zerstörung schreckte sie nicht, „denn im Schmerz verbarg sich ein Zauber, der den Gegenstand zurücktrug.“ Für ihren Sitznachbarn ist sie ein Spiegel. Sie kritisiert ihn, zu starke Gegensätze aufzubauen, seine erste Frau zu sehr zu idealisieren und sich nur als Teil eines Paares denken zu können. Auch für ihre Kollegen und Freunde, mit denen sich Faye in Athen trifft, ist sie jemand, der Erlebtes fokussiert und konzentriert.

Die Ehe als Gewinn- und Verlustrechnung

Ihr griechischer Bekannter Panaiotis, die Freundin Elena oder die Schriftstellerkolleginnen Angeliki und Melete ringen mit der Diskrepanz von Erwartungen und dem, was ist. Ihre Ehen und Beziehungen funktionieren wie „Glaubenssysteme“, in denen „Fortschritt“ vorherrscht, ob es nun um den Erwerb von Eigentum geht oder um Kinder. „In dem Augenblick, als es nichts mehr zu verbessern oder hinzuzufügen gab“, resümiert Panaoitis, „als es keine Ziele und keine Etappensiege mehr anzustreben galt, war seine Ehe an ihr natürliches Ende gekommen.“

So wenig diese Ehegeschichten mit ihren Gewinn- und Verlustrechnungen im eigentlichen Sinne erzählt werden, so wenig werden die Tage in Griechenland als Erlebnisraum vorgestellt, obwohl Cusk Orte und Umstände präzise beschreibt. Weder rückt den Figuren die Griechenlandkrise auf den Leib noch erfährt man etwas von ihrem Alltag. Lediglich mit ihrem namenlosen Sitznachbarn trifft Faye sich mehrmals und folgt seinen Verirrungen durchs Eheleben. Dass er sich zu ihr hingezogen fühlt, ist eine der wenigen direkten Aussagen in diesem unendlichen indirekten, von Faye kanalisierten Redefluss. Weil sie „zwischen dem, was ich wollte, und dem, was ich haben konnte“ keine Balance herstellen kann, entscheidet sie sich, „rein gar nichts mehr zu wollen“.

An Siri Hustvedt erinnernde Beobachtungen

Von ihren eigenen begrabenen Eheträumen erfährt man nur Versatzstücke. Ihre Kursteilnehmer dagegen lässt sie Schreibhaltungen durchdeklinieren und den Möglichkeitshorizont von Narrativen wie der Ehe. Gibt es eine für jeden bedeutsame „Wahrheit“ oder nur die subjektive Bedeutung des Tatsächlichen? Lassen sich Ängste in Geschichten „übersetzen“ und beherrschen, oder stellen diese nur einen „Sicherheitsabstand“ her – in Form von Illusionen?

Schließlich löst Anne, eine schreibblockierte Dramatikerin, Faye als Nachfolgerin in der Athener Wohnung ab. Ihr Problem bestehe darin, erzählt sie Faye, immer schon vorher zu wissen, was bei einem Stück am Ende herauskommt, und es deshalb nur noch in einem Begriff zusammenfassen zu können. Deshalb werde sie nie mehr ein Stück schreiben können. Es ist diese Skepsis gegenüber dem Fiktionalen, die dieses „Roman“ genannte Gespräch leitet. Die vielen an Siri Hustvedt erinnernden lebensklugen Beobachtungen und beißend satirischen Bemerkungen über die modernen jungen Frauen, die ihre Familie „wie ein Unternehmen“ leiten und in kollektive Erschöpfung verfallen, ohne es zu bemerken, entschädigen für die Handlungsarmut und das allzu lockere Arrangement.

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