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Juliana Pickel

© Carla Deiters

Roman "Krummer Hund": Dein Herz ist ein dunkles Loch

Frag die Wut, was sie von dir will: Juliane Pickel erzählt in ihrem herausragendem Jugendbuch „Krummer Hund“ von einem Jungen, der ausrastet.

Manchmal steigt eine Wut in ihm auf, die er nicht mehr bändigen kann. Seine Brust wird ganz eng, so eng, dass er denkt, keine Luft mehr zu bekommen. Und dann öffnet sich irgendwo in seinem Körper ein Ventil, aus dem Gas strömt, giftiges, heißes Gas. Es breitet sich aus in seiner Brust, dem Bauch, Armen und Beinen, bis hinunter in die Zehen. Es fühlt sich an, als würde er von innen verbrennen. Dann genügt ein falsches Wort, ein schiefer Blick, um den Funken zu entzünden. Der unter seiner Schädeldecke eine strahlend hellen, geräuschlose Explosion auslöst. „Mein Kopf wird so groß und weit, dass die ganze Welt hineinpasst.“

Der Teil der Welt, der sich in unmittelbarer Nähe befindet, hat in diesem Moment allerdings Anlass, vorsichtig zu sein. Denn Daniel ist dann nicht mehr er selbst und tut Dinge, die er später bereut. Die Karosserie eines Autos mit einem Schlüssel zerkratzen. Das Fahrrad eines Mädchens attackieren und dabei jede Speiche zertreten. Oder, noch schlimmer, auf einen Schüler aus der Unterstufe losgehen und besinnungslos auf ihn einprügeln. Seine Mutter sagt, dass er die Sache in den Griff kriegen muss. Helfen soll dabei Frau Stenzer, eine Therapeutin. „Warum bist du so wütend, Daniel?“, will sie wissen. Worauf er keine Antwort hat. Weil er doch nicht dabei ist, wenn er „solche Sachen“ macht. Am Ende der Sitzung gibt Frau Stenzer ihm einen Rat: „Frag die Wut, was sie von dir will.“

Sein Hund heißt Ozzy, wie der Altrocker

Juliane Pickel erzählt in ihrem herausragenden Jugendroman „Krummer Hund“ von vier solchen Ausrastern und einem Todesfall. Am Anfang stirbt Ozzy. Daniels Hund, benannt nach Altrocker Ozzy Osbourne, leidet an Krebs und wird eingeschläfert. Der Tierarzt nutzt die Gelegenheit, um sich mit Daniels Mutter zum Abendessen zu verabreden. Daniel fühlt sich gleich doppelt überrumpelt. Weil er nicht richtig Abschied nehmen konnte von Ozzy. Und weil er fürchtet, dass der Arzt am nächsten Morgen bei ihnen in der Küche sitzen wird.

Auch wie es dann weitergeht, weiß Daniel schon. Der Doc wird versuchen mit ihm über Fußball und Mädchen zu reden. Wird immer öfter am Frühstückstisch, auf dem Klo oder auf dem Sofa sitzen. Wird mit ihnen Weihnachten feiern. Und dann wird der Doc wieder weg sein, wie so viele Männer vor ihm. Daraufhin wird die Mutter zusammensacken, nicht mehr zur Arbeit gehen, schimpfen, klagen und verzweifeln. Der erste Mann, der sie beide verlassen hatte, war Daniels Vater. Daniel hat das Geräusch, mit dem sein Vater den Kofferraum des vollgepackten Autos zuschlug, noch im Ohr. Als Abschiedsgeschenk ließ er Ozzy da, den Hund.

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Daniel ist 17, er mag die Dinge am liebsten, wenn sie „jenseits von normal“ sind. Er fungiert als Erzähler, seine inneren Zustände weiß er so genau zu beschreiben, dass man mitunter das Gefühl hat, in seinem Kopf zu stecken. Ist er ein Vollpsycho, fragt er sich. Ein Freak? Seltsames Sozialverhalten legen auch andere Personen aus seiner Klasse an den Tag, allen voran Alina von Wildern, die er „Princess Evil“ nennt. Sie ist eine Großmeisterin des Mobbing, demütigt Mitschüler mit Bemerkungen. Wo andere ihr Herz haben, ist bei ihr „ein großes dunkles Loch“. Daniel und sein Freund Edgar wollen Rache nehmen. Deshalb beginnen sie, Alina wie Geheimagenten zu observieren.

Euphorie im Lotus-Sportwagen

„Krummer Hund“ ist ein Roman, der ungerade Wege einschlägt. Ständig passiert etwas Überraschendes. So erweist sich der Doc als Ausnahmeliebhaber, der Daniels Mutter treu bleibt. Er bemüht sich auch um Daniel, einmal lässt er ihn auf einem leeren Parkplatz ans Steuer seines Lotus-Sportwagens. Daniel beschleunigt auf 70, fährt eine Kurve, gibt auf der Geraden weiter Gas. Ein Augenblick der Euphorie. Und dann taucht Pascal auf, Alinas drogenabhängiger Bruder. Kurz danach ist er tot, Opfer eines Unfalls mit Fahrerflucht. Daniel glaubt zu wissen, wer ihn getötet hat.

[Juliane Pickel: Krummer Hund. Roman. Beltz & Gelberg, Weinheim 2021. 261 Seiten, 14,95 €. Ab 14 Jahre]

Juliane Pickel jongliert in ihrem Debütroman mit Elementen von Coming-of-Age-Geschichte, Krimi und Liebesdrama. Ihre Sprache ist so genau wie gewitzt. Einmal ist von Mädchen die Rede, die „Probleme wie Klamotten tragen“. Auch der Kater nach der Party wurde selten besser beschrieben. Daniel glaubt, dass „eine fremde Lebensform“ seinen Körper übernommen habe und auf den richtigen Moment wartet, „mich meine Eingeweide in einem glibbrig grünen Strahl erbrechen zu lassen und meine Mutter darunter zu begraben“. „Krummer Hund“ wurde mit dem Peter-Härtling-Preis ausgezeichnet. Im Berliner Theater an der Parkaue ist bereits eine Bühnen-Adaption zu sehen. Das Buch verdient Standing Ovations.

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