zum Hauptinhalt
Tímea Junghaus, Leiterin des ERIAC, führt Gäste durch die Ausstellung "Transgressing the Past, Shaping the Future".

© Nihad Nino Pušija

Roma-Institut in Berlin: Die eigene Geschichte erzählen

An diesem Ort soll die Kultur der Roma sichtbar werden. Doch wie kann ein einzelner Ort eine so vielfältige Gruppe repräsentieren?

Der weiße Raum mitten im Berliner Lobbyistenviertel gleicht einer Galerie und soll Ankunftsort sein für 12 Millionen Roma aus ganz Europa. Hier, im Europäische Roma Institut für Kunst und Kultur, soll ihre Kultur sichtbar gemacht werden, gefördert vom Europarat und der Open Society Foundation.

Doch diese eine Kultur gibt es nicht: Die Geschichten der Roma reichen so weit auseinander wie die Grenzen des Kontinents. Gemeinsam sind ihnen aber Jahrhunderte der Ausgrenzung an die Stadtränder und Wagenplätze europäischer Städte und der Wunsch, endlich selber über ihre Geschichte zu bestimmen.

„Wir wollen den Diskurs über die Roma selbst prägen“, sagt Tímea Junghaus, Leiterin des Instituts, während sie durch die kleine Ausstellung im vorderen Galeriebereich führt. Es ist kein Zufall, dass die Galerie das Herzstück des jungen Instituts ist: Junghaus ist eine erfolgreiche Kuratorin aus Budapest, 2007 war sie bei der Biennale von Venedig für den ersten Roma-Pavillon verantwortlich.

Tímea Junghaus, Leiterin des Europäischen Roma Institut für Kunst und Kultur
Tímea Junghaus, Leiterin des Europäischen Roma Institut für Kunst und Kultur

© Nihad Nino Pušija

Man merkt ihr an, dass sie stolz ist, hier in Berlin erfolgreiche Roma-Künstler aus ganz Europa zu präsentieren. Die bosnische Video-Künstlerin Selma Selman beschreibt sie als „unsere Marina Abramovic“. In der Galerie ist eine Installation ausgestellt, in der Selman als „typische Zigeunerin“ zu sehen ist, die ihren Gegenüber verflucht und den Zuschauer dazu einlädt, sich mit seinen eigenen Stereotypen auseinanderzusetzen.

Berlin als historischer Ort

„Wir sind hier an einem historischen Ort“, sagt Junghaus und meint damit nicht nur, dass zum ersten Mal ein gesamteuropäisches Zentrum entstand, das von Roma geleitet wird. Sondern auch, dass es seinen Hauptsitz in Berlin hat: Nach langer Arbeit politischer Aktivisten, hat Deutschland den Völkermord an den Roma 1982 offiziell anerkannt. Das Land würde seine Verantwortung seitdem umso ernster nehmen. Die Bundesregierung hatte die Idee im Europarat vorangetrieben, und als Gastgeberland gibt Deutschland dem Zentrum jährlich 200.000 Euro. Berlin gilt als Hauptstadt der zeitgenössischen Kultur in Europa, das war ein Grund mehr, die Stadt zum Standort zu machen.

Die Idee reicht in die siebziger Jahre zurück, als führende Roma-Intellektuelle von einem gemeinsamen Ort zu träumen begannen, wo sie ihr eigenes Wissen produzieren können. Unter ihnen waren die ungarische Minderheitsforscherin Ágnes Daróczi und der rumänische Aktivist Nicolas Gheorge. Ihre Arbeit prägte die Allianz für das ERIAC.

Die Teilnehmenden der Abschlussrunde des International Outreach Programms des ERIAC: Dr. Ethel Brooks, William Bila, Dr. Nicoleta Bitu, Dr. Angéla Kócze, Gayatri Chakravorty Spivak und Tímea Junghaus.
Die Teilnehmenden der Abschlussrunde des International Outreach Programms des ERIAC: Dr. Ethel Brooks, William Bila, Dr. Nicoleta Bitu, Dr. Angéla Kócze, Gayatri Chakravorty Spivak und Tímea Junghaus.

© Nihad Nino Pušija

Eine Reise, um alle zu erreichen

Die letzten zwei Monate verbrachten sie auf Tour, quer durch Europa. Gemeinsame Besuche von Aktivisten in Sevilla über Krakau, Rom, Budapest, Prag und Bukarest bis in die Repräsentanz nach Berlin waren die erste Amtshandlung des Teams um Junghaus. Es ging ihnen auf der Reise darum, zu zeigen, wie die Kultur der Roma in all diesen Regionen die Kultur Europas und seiner Nationalstaaten geprägt hat, beispielsweise den Flamenco in Sevilla.

Die Ausstellungsstücke in der Galerie sind ein erster Schritt. Doch bleibt die Frage, wie die erreicht werden können, die noch immer an den Rändern der europäischen Gesellschaften leben. Denn in vielen Ländern werden Roma zwar offiziell als Minderheit anerkannt, aber selten können sie mit ihrer eigenen Stimme über ihr Schicksal und ihre Geschichte sprechen.

Hier sollen sie endlich einen eigenen Ort haben, „mit Fenstern und Türen“, wie Junghaus freudig anmerkt. Einen gemeinsamen Raum für die verschiedenen Gruppen, die selten nach Sesshaftigkeit oder einem eigenen Heimatstaat strebten, mit der Hoffnung, dass sie hier zusammenfinden.

Zur Startseite