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Image und Ikone. Trotz offizieller Gleichberechtigung spielen Frauen in Japan eher traditionelle Rollen: Mädchen in knapper Schuluniform, Kulleraugen-Mangas, Geishas. Die burschikosen WM-Fußballerinnen um Saki Kumagai (2. v. l.) erweitern nun die Auswahl an weiblichen Vorbildern.

© akg-images, dpa, imago, p-a, Montage: Tsp

Rollenklischees: Schluss mit niedlich

Geisha? Girlie? Nein: Weltmeisterin! Japans Fußballerinnen formen in ihrem Land ein neues Frauenbild. Das ist auch dringend nötig

Als Saki Kumagai beim entscheidenden Elfmeter die US-Torhüterin Hope Solo überwunden hatte, gab es bei den japanischen WM-Fußballerinnen kein Halten mehr. Im Gegensatz zum klischeehaften Bild der schweigsamen, unnahbaren Geisha tobten die Yamato-Mädels auf dem Spielfeld ausgelassen wie Schulkinder herum, ballten die Fäuste in den Frankfurter Nachthimmel und lagen sich auf dem Rasen wie Liebespaare in den Armen. Die ausgelassene Freude der burschikosen Japanerinnen mit ihren Kurzhaarfrisuren ließ die Debatte über Geschlechterklischees im Frauenfußball in Vergessenheit geraten – sogar in Japan.

Auch das Outfit der Spielerinnen zog im Land der aufgehenden Sonne wenig Aufmerksamkeit auf sich. Könnte das ein Zeichen dafür sein, dass die Weltmeisterinnen es geschafft haben, die Geschlechterdiskriminierung in der Sportwelt zu überwinden – und nun Japans patriarchalische Gesellschaft auf den Kopf stellen können?

Welch überkommenes Frauenbild da ins Wanken gerät, beweist ein Blick in die japanische Presse. Die Tageszeitung „Mainichi Shinbun“ zitiert den Biowissenschaftler Yoshitaka Matsuo, der an der Universität Heidelberg lehrt: „Ich hätte nie gedacht, dass die japanischen Frauen so stark sein können.“ Das konservative Blatt „Yomiuri Shimbun“ wagt sogar einen Vergleich mit den Männern vom FC Barcelona, und Premierminister Naoto Kan lobte die „ehrenvolle Tapferkeit der Spielerinnen“. Nach der Tsunami-Katastrophe sei der Sieg „ein wundervolles Geschenk für das ganze Land“. Frauen als Nationalheldinnen – daran müssen sich die Japaner nun gewöhnen.

Am frühen Montagmorgen feierten hunderte Fußballfans, männliche wie weibliche, in den blauen Trikots des Nationalteams den WM-Sieg in den Straßen von Tokio. Ein außergewöhnliches Bild: Frauen in Fußballkluft waren bisher eine seltene Erscheinung in den japanischen Großstädten. Andere Frauenbilder waren dominanter. Das Ideal der zierlichen Schönheit, wie es die Geishas über Jahrhunderte verkörperten, wurde im Lauf der Zeit vom Bild des „Kawaii Onnanoko“, des niedlichen Mädchens, abgelöst. Hohe Schuhe, Miniröcke, gepflegte Locken: Das Erscheinungsbild von Frauen in den Medien ist immer noch von klassischen Weiblichkeitsattributen geprägt.

„Weiblichkeit ist bekanntlich ein männliches Konstrukt – nicht nur in Japan“, sagt Miho Okumura, Leiterin der Frauenrechtsorganisation „Kyoto Wings“. Das japanische Frauen-Image hat sich in den Bildern der Japanerin als „Kawaii Onnanoko“ in den letzten Jahren auch in Europa mehr und mehr verbreitet, vor allem durch die Manga-Kultur. Tausende Touristen besuchen jährlich das Stadtviertel Akihabara in Tokio, das durch seine „Maid-Bars“ bekannt wurde, Lokale, in denen junge Frauen im Dienstmädchen-Dress die Gäste bedienen. Und durch die vielen Mädels in knappen Schuluniformen. Wobei die Heldinnen der Manga-Comics, die diesen Mädchen als Vorbild gelten, die Widersprüche des japanischen Frauenbilds in sich vereinen. Sie sind großbusig und kindlich zugleich, von zierlicher Statur, jedoch mit übermenschlichen Kräften ausgestattet. So entsprechen sie männlichen Fantasien – und werden zum zwiespältigen Vorbild für das weibliche Publikum.

Arkaden und Einkaufszentren sind in Japans Städten eine Bühne für die visuellen Statements der jungen Frauen geworden. Die Ausformungen sind vielfältig: So verkörpern die „Gyaru“ – eine Japanisierung von Girls – mit ihrer künstlichen Bräune, dem exzessiven Make-up und silbern gefärbtem Haar eine fast aggressive Art der Schönheit. Im Gegensatz dazu sehen die „Gothic Lolitas“ mit ihrer unnatürlichen Blässe und den altmodischen Spitzenkleidern eher wie lebendige Puppen aus.

Obwohl viele Frauen heute beruflich erfolgreich sind, bleibt den meisten doch nur das äußere Erscheinungsbild für die selbstbestimmte Gestaltung ihrer Identität. „Der Erfolg der Frauen-Fußballmannschaft ist in dieser Hinsicht sehr wichtig für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern“, sagt die Frauenrechtlerin Miho Okumura. Mit ihrem überraschenden WM-Sieg hätten die Nationalspielerinnen den jüngeren Generationen gezeigt, dass es abseits der traditionellen Pfade auch andere Wege gibt, um als Frau Anerkennung zu gewinnen.

Noch wichtiger: Die Spielerinnen hätten Kraft in einem Bereich bewiesen, der bisher als Männerdomäne galt – dem Sport. „Viele Jungs träumen davon, eines Tages weltberühmte Sportler zu werden. Mädchen dagegen begnügen sich oft mit kleinbürgerlichen Träumen, etwa dem Traum von einer Anstellung als Köchin. Unsere Fußballerinnen haben den japanischen Kindern gezeigt, dass es sich lohnt, hartnäckig für die eigenen Träume zu kämpfen“, sagt Okumura.

Tatsächlich ist es höchste Zeit, dass sich die Auswahl an Vorbildern für japanische Mädchen vergrößert. Zwar hat der Einfluss der US-amerikanischen Kultur auf die japanische Gesellschaft in der Nachkriegszeit dazu geführt, dass den Frauen mehr Rechte auf Selbstbestimmung zugestanden wurden. Die Versuche, eine gewisse Gleichberechtigung in der Berufswelt einzuführen, etwa über das Antidiskriminierungsgesetz von 1986, blieben allerdings größtenteils Papier. Es gibt eine tiefe Kluft zwischen offizieller Politik und privatem wie beruflichem Alltag. Zwar hat die japanische Regierung kürzlich versprochen, die Frauenquote für Führungskräfte innerhalb von zehn Jahren auf 30 Prozent anheben zu wollen. Doch an den konkreten Arbeitsbedingungen für Frauen ändert das wenig. Der gesellschaftliche Druck auf arbeitende Mütter und der dramatische Mangel an Kinderbetreuungsangeboten führen noch heute dazu, dass viele Frauen Ende zwanzig jede Hoffnung auf eine Karriere aufgeben – Beruf und Familiengründung schließen einander aus. Einer UNO-Studie zufolge kommt Japan in Sachen Gleichberechtigung auf Platz 42 – hinter Mazedonien.

„Japanische Medien und Blogs haben oft auf den mangelnden Sexappeal unserer Mannschaft hingewiesen“, sagt Miho Okumura. „Doch als ich das Endspiel im Fernsehen anschaute, sah ich, wie motiviert und zielstrebig unsere Mädels sind. Sie haben sich mit Leib und Seele engagiert, und zwar nicht als Einzelne, sondern als Team.“ Im Bild einer rennenden Sportlerin, fügt sie hinzu, liegt eine unglaubliche Schönheit.

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