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Der Günter Wallraff des Theaters. Dramatiker und Regisseur Rolf Hochhuth.

© Alina Novopashina/dpa

Rolf Hochhuth ist tot: Eine Stimme des Theaters, die die Institutionen das Fürchten lehrte

Rolf Hochhuth schrieb mit „Der Stellvertreter“ 1963 Theatergeschichte. Er spürte Ungerechtigkeiten nach und stieß so zentrale Debatten an. Ein Nachruf.

Er war unermüdlich. Er ließ nie locker. Er griff zum Telefon und hielt leidenschaftliche Plädoyers. Gelegentlich stand er, die historische Figur, einfach vor der Tür, mit Blumen für die Sekretärin und Gedichten fürs Feuilleton, mal erotischer, mal politischer Natur. In der Öffentlichkeit trug er meist eine grüne Krawatte.

Wo immer er eine Ungerechtigkeit ausmachte, bohrte er hinein. Noch im Februar schrieb er Traktate über den Rechtsstreit um das Hohenzollernerbe oder das geplante Museum des 20. Jahrhunderts, das er ins ICC zu verlegen vorschlug. Anfang März erreichte diese Redaktion ein Nachruf, den er auf den Schriftsteller und Schauspieler Burkhard Driest verfasst hatte. Darin stand der Satz: „Fast immer sind es sozialkritische Stoffe, die ihn umtreiben.“

Das trifft ohne Zweifel auf ihn selbst zu. Rolf Hochhuth war die Moral im Alleingang. Ein Einzelgänger, der mächtige Institutionen das Fürchten lehrte. Jetzt ist er überraschend in seinem Berliner Zuhause gestorben, mit 89 Jahren. Eine Vorerkrankung habe es nicht gegeben, heißt es aus seinem Umkreis.

Keinen Gegner fürchtete Rolf Hochhuth. Es schien, als fühlte er sich erst richtig auf medialen Schlachtfeldern wohl. Das Ruppig-Unerschrockene war auch seine Art, Aufmerksamkeit und Zuneigung zu gewinnen. Zuweilen nahm seine rigorose Haltung groteske Züge an – als er nach der Wende über die von ihm gegründete Ilse-Holzapfel-Stiftung das Grundstück des Berliner Ensembles übernahm.

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Hochhuths Kräche mit dem früheren BE-Direktor Claus Peymann sind legendär. Ein Thomas Bernhard hätte den regelmäßig vor Gericht ausgetragenen Clinch der Stur- und Querköpfe nicht besser dramatisieren können.

Im Kern ging es dabei um die Frage, ob das BE Stücke von Hochhuth aufführt – und warum nicht. Er pochte darauf. Allerdings machten die Theater um seine Bühnentexte schon in den neunziger Jahren zumeist einen Bogen.

Verständlich einerseits: Er schien aus der Zeit gefallen, und seine Dramen waren von jeher dicke Konvolute, prall gefüllt mit Materialien, Szenenanweisungen und ausufernden Dialogen. Andererseits könnte man ihn heute als einen Vorläufer eines Theaters der Recherche sehen, von Hans-Werner Kroesinger zu Milo Rau und Rimini Protokoll. Der Unterschied ist, dass Hochhuth seine Themen aufspürte und mutig ausarbeitete, aber nicht selbst auf die Bühne bringen konnte.

Eine Diskussion in über "Der Stellvertreter" in Berlin, von links nach rechts: Rolf Hochhuth, Theaterregisseur Erwin Piscator und Gotthard Kutzner.
Eine Diskussion in über "Der Stellvertreter" in Berlin, von links nach rechts: Propst Heinrich Grüber, Rolf Hochhuth, Theaterregisseur Erwin Piscator und Gotthard Kutzner.

© dpa

Mit Donnerhall tritt er 1963 an die Rampe. Die Freie Volksbühne bringt sein Stück „Der Stellvertreter“ zur Uraufführung, Regie führt der aus dem US-Exil zurückgekehrte Erwin Piscator. Hochhuth landet einen Welterfolg und Skandal.

„Der Stellvertreter“ greift den Vatikan an. Papst Pius XII. hat von den Konzentrationslagern und dem Holocaust gewusst. Eine ungeheuerliche Anschuldigung, die sich erst jetzt, im Jahr 2020, nach der Öffnung der vatikanischen Archive, bestätigt. Rolf Hochhuth hat diesen bitteren Triumph gerade noch erleben können.

„Der Stellvertreter“ löste eine globale Diskussion aus, mit einer Macht, von der Theaterleute heute nur träumen. Jahre später hat Costa-Gavras den Stoff verfilmt. Hochhuth war ein Pionier. Er prägt das bundesdeutsche Dokumentartheater – gemeinsam mit Peter Weiss, dem weit sprachmächtigeren Dramatiker. Hochhuths investigative Energie bleibt unerreicht. Der Günter Wallraff des Theaters sollte weitere Coups landen.

Auch sein Stück „Juristen“ erzeugt gewaltige Resonanz

Seine Erzählung „Eine Liebe in Deutschland“ nimmt es 1978 mit dem damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg auf. Hochhuth nennt Hans Filbinger einen „furchtbaren Juristen“ und verweist auf Filbingers Schuld als NS-Richter im Zweiten Weltkrieg. Der CDU-Politiker Filbinger tritt zurück. Hochhuth bekommt mit seinem Stück „Juristen“ noch einmal gewaltige Resonanz.

Und er bleibt dran. Nach 1989 recherchiert er im Osten. Daraus entsteht „Wessis in Weimar“, mehr dokumentarische Textsammlung als spielbares Stück. Am BE macht Einar Schleef 1993 daraus eine grandiose Aufführung. Wie westdeutsche Firmen und ihre Manager in die neuen Länder einfallen, kommt dabei klar und wild zur Sprache.

Aber es ist nicht Hochhuths Stil, er findet sich nicht wieder, macht Werktreue geltend und will die Premiere verhindern; vergeblich. Dass er an gleicher Stelle dann als BE-Eigentümer auftritt, fällt ihm nicht als Widerspruch auf. Heiner Müller, damals Chef am Berliner Ensemble, wirft Hochhuth eine „feindliche Übernahme“ vor und sieht ihn im „Kostüm der Treuhand“.

Später hat Hochhuth versucht, über den Berliner Senat, dem die Holzapfel-Stiftung die BE-Immobilie vermietet hat, das Theater zu schließen. Ilse Holzapfel ist der Name seiner Mutter, die er hier ins Feld geführt hat, um in einem fast undurchschaubaren moralisch-juristischen Geflecht über die Stiftung an das an den Juden begangene Unrecht zu erinnern – mit seinem „Stellvertreter“. Auch andere Häuser nimmt er in den Blick, um ein Hochhuth-Autorentheater zu gründen.

Zuletzt überwiegte das Skurrile

Es hat eine Tragik, dass der radikale Moralist Hochhuth radikalästhetischen Regieauffassungen misstraute. Peter Stein, Peter Zadek, Klaus Michael Grüber, Hans Neuenfels und eben auch Claus Peymann zählten zu seinen Zeitgenossen. Seine Stücke spielten sie nicht.

Und da war ja mehr. Die sozialkritische Komödie „Die Hebamme“ hatte Anfang der siebziger Jahre noch viel Erfolg. An Stücke wie „Ärztinnen“, „Lysistrate und die Nato“ oder „Tod eines Jägers“ erinnert sich heute kaum jemand mehr. Es hat ihn geschmerzt, nicht mehr ernst genommen zu werden. Und seine Versuche, dies zu ändern, machten es schlimmer. So überwiegt zuletzt das Skurrile.

Rolf Hochhuth wurde am 1. April 1931 in Eschwege geboren. Er absolvierte eine Buchhändlerlehre und arbeitete als Lektor. Bücher waren seine Leidenschaft, und in den letzten Jahren ist immer mal wieder ein Band mit Aphorismen und Essays erschienen. Da philosophiert er über Geschichte und Menschheit, mit einem Hang zum Fatalismus und zur Platitüde. Seinen Platz im Geschichtsbuch gefährdet das nicht.

„Hochhuth hatte den Verschlussstein weggewälzt von der Höhle des Schweigens“, schreibt Günther Rühle, ein Zeitzeuge, in seinem monumentalen Werk „Theater in Deutschland“ über den „Stellvertreter“. Mit seinem ersten Stück hat Rolf Hochhuth Maßstäbe für Generationen gesetzt, ein wenig wie beim Blechtrommler Günter Grass. Man nennt es bei Autoren auch Schicksal.

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