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Rois, Diehl und Fehling im Interview: Die Liebe und andere Glücksspiele

Sophie Rois, August Diehl und Alexander Fehling sind für den Deutschen Filmpreis, die Lola, nominiert. Ein Gespräch über die Lust am Schauspielberuf.

Ein schöner Zufall: Die Filme, für die Sie nominiert sind – Tom Tykwers „Drei“, Philipp Stölzls „Goethe!“ und „Wer wenn nicht wir“ von Andres Veiel – erzählen alle von Dreier-Konstellationen in der Liebe. Kann man über die Liebe etwas lernen, wenn man sie spielt?

SOPHIE ROIS: Ich glaube, die Zeit, in der man lebt, bestimmt die Gefühle. Das ist ein Thema bei „Drei“: Zu welcher Art von Selbstdefinition sind wir fähig, wenn etwas anderes passiert als in den Erzählungen.

AUGUST DIEHL: Es ist doch verblüffend, dass die Unterschiede gar nicht so groß sind. Heute in Berlin, zu Goethes Zeiten oder in der deutschen Provinz der Sechziger Jahre: Die Liebe ist immer ein Problem. Und bei Goethe ist es ein besonders tragischer Konflikt …

… Lotte kann nicht sagen, wie Hanna in „Drei“: Dann liebe ich halt zwei Männer.

DIEHL: Dann hätte Goethe Lotte fallen gelassen. Bei „Goethe!“ sind die Liebenden Suchende. Sie suchen auch sich selbst, wollen ein starkes Gefühl haben, die Welt aufsaugen, es ist Größenwahn dabei. „Drei“ und „Wer wenn nicht wir“ erzählen auf sehr unterschiedliche Weise von Orientierungslosigkeit. Was ist das eigentlich, körperliches Verlangen? Was ist Zusammenleben?

ALEXANDER FEHLING: Über die Liebe kann man nur was lernen, wenn man liebt. Wenn man sie im Film spielt, kann der Film nur hoffen, dass man sie schon erlebt hat. Im Film lerne ich eher etwas über die Zustände, in denen die Liebe existiert. In der Zeit des Sturm und Drang gab es dieses Selbstverständnis ja zum ersten Mal, dass es eine Rolle spielt, wie ich mich fühle, nur ich! Mein individuelles Gefühl, das war von Bedeutung, nicht nur das Bewusstsein davon, sondern auch das Ausleben. Mein Gefühl gehört in die Welt …

DIEHL: … und es ist schon ein revolutionärer Akt, dass man verliebt ist. Und dass man darüber spricht, ist noch revolutionärer. Heute hat man die Liebe tausend Mal erlebt und erzählt und ist trotzdem mit etwas Ungeheurem konfrontiert, wenn sie einen erwischt.

Frau Rois, Sie haben zu „Drei“ gesagt, die Liebesheirat sei ein Phänomen des 19. Jahrhunderts. Es würde Zeit, dass wir darüber hinwegkommen.

ROIS: Vielleicht wird die Liebe ja überbewertet. Mein Leben ist voll von Liebesgefühlen, aber nicht unbedingt nur dem einen Auserwählten gegenüber. Überfrachten wir dieses Gefühl nicht, dieses Erlösungsversprechen, dass man ein anderer wird, wenn die Verliebtheit erwidert wird? Auch wenn man schon hundert Mal erlebt hat, dass es nicht passiert, fällt man immer wieder drauf rein. Ich jedenfalls.

DIEHL: Genau, man ist verliebt in die Möglichkeit, jemand anderes werden zu können, in die Chance einer kompletten Persönlichkeitsveränderung. Und schon starrt man auf den neuen Menschen, den man plötzlich in sich selbst sieht.

Als Schauspieler können Sie doch jederzeit jemand anderes sein.

ROIS: Ich finde das sehr gut an meinem Beruf, da entgeht Ihnen was! Ich bin ja nicht einfach jemand anderes vor der Kamera oder auf der Bühne, ich zeige mich selber. Es ist ein nackter Beruf, aber die Verantwortungslosigkeit, mit der ich mich dabei in diesem abgezirkelten Raum bewegen kann, die ist toll. Ich kann auf der Bühne Leute küssen, ich küsse echt und bin ihnen hinterher nicht verpflichtet, muss keinen Kaffee mit ihnen trinken, muss nichts abgleichen mit meinem Leben.

DIEHL: Und es hat einen roten Faden, auch das ist befreiend. Das absolute Sinnlose bekommt einen sinnvollen Bogen. Anders als im Leben weiß ich, die Figur endet genau da.

FEHLING: Wir alle haben so viele verschiedene Seiten an uns, aber vieles ist verschüttet. Für mich hat der Beruf auch den Kick, diese Verschüttungen möglichst zu verhindern. Ihr sagt, bei der Liebe wird man jemand anders. Aber man hat immer auch Angst. Je größer die Liebe, desto größer die Angst. Im Film, im Gerüst einer Geschichte, bin ich die Angst los.

ROIS: Es ist nicht das eigene Skript. Wundervoll!

Ist die Verantwortungslosigkeit ein Glück oder auch ein Dilemma? Der Schauspieler muss sich dem Regisseur unterwerfen.

DIEHL: Der Dienstleistungsaspekt in unserem Beruf? Damit habe ich immer weniger Probleme.

FEHLING: Es entscheidet sich über Vertrauen. Man sucht sich Verbündete, man irrt sich dabei, drei von sieben sind es dann doch nicht. Es ist schizophren: Letztlich besteht auch unsere Arbeit aus realen menschlichen Begegnungen – eben doch mit allen Konsequenzen. Das ist auch ein Kick: Ich kann Leuten ganz schnell begegnen, wusch, auf fast hysterische Weise, man hat zwei, drei Monate und Cut, Ciao. Und wenn es dabei die Gefahr der Enttäuschung nicht gäbe, wäre es kein Kick.

DIEHL: Diese professionelle Offenheit, mit der wir das Privateste von uns selbst rauskitzeln, mit einem wildfremden Menschen, das macht Spaß. Ein Regisseur hat eine ganz bestimmte Idee vom Leben, darauf lässt man sich intensiv ein, und dann trifft man den nächsten mit einer komplett anderen Weltsicht, und auch auf die lässt man sich ein. Man ist wie ein Prostituierter, der sich die Fantasien fremder Menschen wie ein Kostüm überwirft. Vielleicht haben Regisseure, die sich ja meist treu bleiben mit ihren Ideen, eine engere Sicht vom Leben als wir Schauspieler.

ROIS: Aber der Regisseur erwartet doch einen Beitrag von dir, er ist neugierig, was du beizusteuern hast.

DIEHL: Er wird trotzdem, wenn er ein guter Regisseur ist, seine Geschichte erzählen wollen. Da sind vielleicht zwanzig Schauspieler, soll er auf zwanzig Fantasien eingehen?

FEHLING: Ein Film ist im besten Fall die Summe aus den Sichtweisen derer, die vor und hinter der Kamera stehen.

ROIS: Und es macht einen totalen Unterschied, ob du das spielst oder ein anderer. Der Regisseur will doch dich!

DIEHL: Trotzdem müssen wir uns oft in zwei, drei Tagen komplett umdrehen und die Fantasiewelt vollständig wechseln. Nach zehn Jahren Schauspielerleben kann man das irgendwann. Aber man misstraut sich manchmal, die Journalisten kommen und fragen, nach der Liebe zum Beispiel, und ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht.

Haben Sie mal Figuren gespielt, von denen Sie etwas gelernt haben?

DIEHL: Das wären schlechte Geschichten, wenn man von ihren Figuren etwas lernen würde. Bei einem wie Bernward Vesper tauche ich ein in dessen chaotisches Leben, und ich sollte mich nicht in seiner Existenz verlieren.

FEHLING: Bei mir ist das anders. Wenn ich bei der Goethe-Figur – mit Betonung auf Figur, ich weiß nicht, wie Goethe wirklich war – auf dem Grat wandeln muss, offen bin, nur greife und die ganze Zeit nehme, aber auch gebe, ohne jeden Schutz – dann kann ich mich daran erinnern, dass das etwas Schönes ist, das auch in mir steckt. Bloß dass ich mich im Alltag nicht traue. Das kann mich schon inspirieren.

ROIS: Ich bin nicht so ein Figuren-Spieler. In „Drei“ habe ich mich nie gefragt: Wie ist die Hanna eigentlich so? Wann stehe ich wo vor der Kamera, welche Sachen sage ich, was wird da verhandelt und welchen Witz schlage ich aus der Szene? Darum geht es. Wenn ich in der Volksbühne den „Kaufmann von Berlin“ spiele, denke ich nicht: Wie fühlt sich so ein alter jüdischer Mann? Nein, ich hänge mir einfach den Bart um. Mein Spaß, das ist der Zusammenhang mit den anderen. Auch wie das Bühnenbild aussieht, ist wichtig, welche künstlerische Intelligenz mich umgibt.

Wie wichtig sind denn die Kostüme, die Perücken bei „Goethe!“, die Schlafanzüge der Sechziger Jahre in „Wer wenn nicht wir“?

ROIS: Ich find’s super, dass man als Erwachsener damit sein Geld verdienen kann. Heute mit Indianerfedern, morgen mit Bart, total kindisch. Die Frechheit der Behauptung ist toll. Man setzt sich was auf: Ich bin die Königin. Ich bin Medea, das müsst ihr jetzt fressen!

DIEHL: Wir machen dasselbe wie früher als Kinder, nur dass die Erwachsenen leise sein müssen und man auch noch sein Geld damit verdient. Kostüme helfen ungemein: „Wer wenn nicht wir“, erster Drehtag, ich stehe da im Sechzigerjahre-Anzug und dieser komischen Frisur, habe keine Ahnung, wer dieser Bernward Vesper ist, und denke, Gottseidank wissen Kostüm und Maske das schon. Dann trifft man den Ausstatter, der seit Wochen damit beschäftigt ist, Vespers Wohnung einzurichten. Der weiß schon, wie es in dessen Wohnung aussieht, während ich mich in seinem Anzug noch unwohl fühle!

FEHLING: Ein Kleidungsstück, das dich einzwängt oder dir Raum lässt, ist da hilfreicher als eine Perücke. Du hast sofort eine konkrete Situation, einen Widerstand, der etwas von dir fordert.

Ist die Sprache auch eine Art Kostüm?

FEHLING: Das Hormon, das durch dich durchfließt, und das Wort, das du raushaust, die haben etwas gemeinsam. Sprache ist aber auch Distanz, Ironie, Sicherheit, Schutzzone. Ich rede, damit niemand merkt, dass ich mich hier wegwünsche. Oder umgekehrt: Ich weiß nicht, was ich sagen soll und fall dir um den Hals.

DIEHL: Die Sprache ist selbst ein Bühnenbild. Bababam, ein Vers, ein Rhythmus und schon hast du was hingestellt.

FEHLING: Im Theater muss man den Text erstmal gedanklich durchsteigen, man hat ein fernes Reiseziel. Beim Film liegt das Reiseziel oft nicht so weit weg. Aber auch da ist Sprache eine Veräußerung. Man kann gut zurückrechnen: Wo kommt der Satz eigentlich her, warum endet er gerade so, und warum fallen bestimmte Worte nie?

DIEHL: Wenn es gut geschrieben ist. In schlechten Drehbüchern reden alle Leute gleich.

Die heutige Art zu reden oder Goethe und Schiller: Ändert das Ihr Spiel?

ROIS (leise): Ich hab noch nie Goethe oder Schiller gespielt.

DIEHL: Du musst unbedingt mal Schiller spielen, der ist so schön böse.

ROIS: Ich bin vollkommen abhängig von der Sprache. Wenn sie im richtigen Winkel auf mich trifft, macht es mir einen diebischen Spaß, bestimmte Sachen sagen zu dürfen. Ich plündere gern die Filme der amerikanischen Juden, Ernst Lubitsch, „Sein oder Nichtsein“, Woody Allen oder die Zucker-Brüder, „Nackte Kanone“ und so. Die haben Dialoge, die zünden, zack, ganz toll.

Und hinterher redet man eine Weile ganz anders?

FEHLING: Man bleibt nach dem Dreh oft auf diesem besonderen Energielevel. Dann komme ich nach Hause und quatsche wirklich noch wie meine Figur. Auch das ist, wie wenn man reist: Die Seele braucht, um nachzukommen.

Nutzen Sie Ihr Talent im Privatleben?

(Schweigen, Lachen)

FEHLING: Na, es gibt dieses Misstrauen: Wie, du bist Schauspieler, spielst du jetzt gerade auch?

ROIS: Schon wenn ich morgens die Augen aufschlage, spiele ich Sophie Rois, die die Augen aufschlägt (schlägt die Augen auf).

FEHLING: Im Ernst, Schauspieler sind nicht Leute, die permanent lügen und alle blenden. Natürlich behaupten wir, aber wir wollen doch auch ein kleines Wahrheitsding. Wir sind keine Heiligen, wir haben unsern Spaß, aber es geht um den einen Moment, der stimmt. Außerdem kommen die Stärken, die man hat, letztlich aus Defiziten. Also müsste ich auf die Frage nach dem Spielen im Privatleben eigentlich sagen: Ja, das tue ich. Ich hab meine Defizite auch im Alltag, also werde ich auch da instinktiv versuchen, mich mit meinem Talent über Wasser zu halten.

DIEHL: Ich merke es daran, dass ich Fragen über meine Rolle immer leichter beantworten kann als Fragen über mich selber . Die Figur kenne ich, nachdem ich sie gespielt habe. Bei mir, da schwimme ich.

ROIS: Der echte Alexander, die echte Sophie, wer ist das? Wenn ich in der Nase bohre oder auf dem Klo sitze? Dann bin ich auf die Kreatur reduziert, das ist auch nicht meine Wahrheit. Es gibt diese wunderbare Geschichte von Robert de Niro, der einen Polizisten spielen sollte und deshalb zu den Polizisten ging und feststellen musste, dass die alle ihn nachspielen.

Und wie halten Sie es mit dem Publikum?

ROIS: Ich schau die gerne an. Ich mag es, wenn man nicht so tun muss, als wären sie nicht da. Und man wird mit dem Publikum dümmer oder schlauer. Je nachdem, wie es atmet und worauf es anspringt, mache ich auf der Bühne ganz andere Sachen.

DIEHL: Ich bin da konservativer. Ich mag die vierte Wand, wenn die Zuschauer Voyeure sind, quasi durch ein Schlüsselloch zugucken und etwas Verbotenes beobachten. Auch als Zuschauer stelle ich mir lieber vor, dass die Leute auf der Bühne oder der Leinwand gar nicht wissen, dass ihnen jemand zuguckt.

Ein Wunsch an den deutschen Film?

DIEHL: Mehr Genre, weniger Demokratie!

FEHLING: Mehr Verführung, Sinnlichkeit. Mehr Mut, aus dem Kopf rauszukommen, mehr Illusionen! Mehr behaupten, überhöhen vergrößern, das echte Raumschiff im All – das wünsche ich mir.

– Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Sophie Rois,

1961 in Österreich geboren, hat ihre künstlerische Heimat an der Berliner Volksbühne. In Tom Tykwers „Drei“ spielt sie die Berliner Kulturjournalistin Hannah, die zwei Männer liebt.

Auch August Diehl, 35, stand bereits vielfach auf der Bühne und vor der Kamera. In Andres Veiels „Wer wenn nicht wir“spielt er den Schriftsteller Bernward Vesper, der mit seiner großen Liebe Gudrun Ensslin ein Kind hat und sich das Leben nimmt.

Alexander Fehling, 30, ist für seine Titelrolle in der Werther-Fantasie „Goethe!“ nominiert, in „Wer wenn nicht wir“ spielt er Andreas Baader.

Die drei für die morgige Filmpreis-Verleihung im Berliner Friedrichstadtpalast nominierten Schauspieler konkurrieren mit Lena Lauzemis, Bernadette Heerwagen und Florian David Fitz.

Als „Beste Filme“ treten neben Drei, Goethe! und Wer wenn nicht wer außerdem Almanya, Der ganz große Traum und Vincent will Meer an.

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