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Porträt von Schriftsteller Daniel Defoe, Autor von „Robinson Crusoe“, undatiert.

© dpa

„Robinson Crusoe“: Die Spur im Sand

Was hat das Kultbuch „Robinson Crusoe“ mit der Mondlandung gemeinsam? Eine Sehnsucht und eine Furcht des Menschen. Die Kolumne Fundstücke.

Was ist die Ikone der jetzt noch einmal weltweit erinnerten Mondlandung vor fünfzig Jahren, was ihr stärkstes Inbild? Amerikaner vom Schlage Trumps würden natürlich das Hissen des US-Fähnchens auf dem Erdtrabanten nennen: als Ausdruck des patriotischen Stolzes und einer symbolischen Inbesitznahme.

Letztere war allerdings nicht die Absicht der beiden Astronauten Armstrong und Aldrin, die ihren Erfolg ja bewusst der ganzen „Menschheit“ widmeten. Und zum bleibenden Bildzeichen wurde auch nicht das Banner, vielmehr sind es die Fußspuren der beiden Raumfahrer im Mondsand. Ihr Abdruck ist der so unheimliche wie im physischen Detail fast rührende Ausdruck, dass der Mensch tatsächlich einen fremden Planeten betrat.

Die Spur im Sand. Oder im Schnee. Das kleine große Faszinosum. Denn der sehende, denkende Mensch ist immer auch ein Spurenleser. Ein Detektiv auf der Fährte. Und tauchen ganz unbekannte Spuren auf, so regt das die Fantasie besonders an. Seit Langem geistert durch den Himalaja die Fama des „Yeti“. Gesehen und dokumentiert hat diesen behaarten „Schneemenschen“ noch niemand, aber seine angeblichen Fußspuren bewegen bei vielen die Vorstellung, Sehnsucht oder Furcht, dass da irgendwo noch „ein Anderer“ existieren könnte.

Indem er ebendieses Motiv zu einer Schlüsselszene gemacht hat, ist Daniel Defoe (ca. 1660–1731) mit seinem Buch „The Life and Strange Surprizing Adventures of Robinson Crusoe“ ein Geniestreich gelungen. Der zumeist nur kurz „Robinson Crusoe“ genannte Roman eines schiffbrüchigen englischen Seemanns, der 28 Jahre auf einer einsamen Insel vor der südamerikanischen Küste überlebt, ist 1719 erschienen. Zum zweihundertjährigen Jubiläum gibt es nun eine Neuübersetzung von Rudolf Mast im Hamburger mare-Verlag (415 Seiten, 42,- Euro). Sie ist viel beachtet worden, auch im Tagesspiegel vor drei Monaten. Das geschah freilich nicht überall ganz vorurteilsfrei. Denn seit mehreren Jahren wird das einstige Kultbuch – das die meisten von uns wohl nur in verkürzten, für junge Leser bearbeiteten Fassungen kennen – mit Blick auf aktuelle Debatten über Kolonialismus, Rassismus, politische Korrektheit beargwöhnt.

Ende der Einsamkeit

Natürlich gibt es in der im Ganzen vortrefflichen Neuübertragung durch Rudolf Mast das „N“-Wort nicht mehr. Die Geschichte spielt ja zur Zeit der europäischen Besiedlung und Ausbeutung Südamerikas und des Sklavenhandels vor allem zwischen Afrika und Brasilien. Auch Daniel Defoes Ich-Erzähler Robinson Crusoe betrieb eine Farm in Brasilien, mit einheimischen Arbeitskräften. Trotzdem spricht Defoe durch den Mund seiner Figur sich entschieden gegen die Grausamkeiten bei der Eroberung Mittel- und Südamerikas aus. Er plädiert für den Respekt vor Eingeborenen, auch vor deren religiösen, manchmal kannibalistischen Bräuchen. Natürlich schildert Robinson deswegen auch seine Furcht vor den in der Neuübersetzung durchweg als „Wilde“ bezeichneten Indigenas, die seine ansonsten unbewohnte Insel im Atlantik nahe der Mündung des Orinoco bisweilen heimsuchen. Doch indem er etliche von ihnen tötet, rettet er eben auch: Freitag. Den jungen Indianer nennt er so, weil er an einem Freitag nach 15 Jahren Einsamkeit plötzlich dessen Fußabdruck am Strand entdeckt hatte. Heutige Kritiker*innen bemäkeln, dass ihn Robinson bei den ersten Verständigungsversuchen „nicht nach seinem eigenen Namen gefragt habe“. Doch der Roman stammt von 1719 – und der Name Freitag ist so zu einer weltliterarischen Suggestion geworden. Robinson und Freitag, das ist ein universelles Paar. Schwach wirkt eher, dass Freitag nach Robinsons Rettung und Rückkehr nach Europa als Figur (und Mensch) einfach verloren geht. Doch entscheidend und viel toller ist etwas anderes. Man stelle sich nur vor, auch wir fänden irgendwann eine Spur im Sternenstaub. Sie bedeutete dann nicht wie für Robinson auf seinem Eiland das Ende der Einsamkeit. Sie hieße, kaum auszudenken und doch ein Gänsehautgedanke beim Blick ins All: „Wir sind nicht allein.“

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