zum Hauptinhalt
Robin Ticciati und das DSO in der Friedrichswerderschen Kirche.

© Peter Adamik

Robin Ticciati und das DSO: Die Krise macht kreativ

Das Deutsche Symphonie-Orchester hat einen Konzertfilm gedreht. Er spielt in einer Kirche in Berlin-Mitte und in der Natur.

Von der Tragik eines antiken Dramas ist die Geschichte der Friedrichswerderschen Kirche in Berlin: jahrelang verschlossen, dem öffentlichen Bewusstsein entzogen, Risse im Mauerwerk, entstanden infolge einer auftrumpfenden Neubebauung wenige Meter daneben. Dann Sanierung, Ende Oktober 2020 Wiedereröffnung – für das Zeitfenster einer Woche, bis zum Novemberlockdown.

So harrt eines der schönsten Gotteshäuser Berlins, das freilich nicht mehr als solches genutzt wird, weiter seiner Wiederentdeckung. Die jetzt zumindest online möglich ist. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin hat in der Friedrichswerderschen Kirche einen Konzertfilm gedreht: „Im Exil – von Göttern und Menschen“ (Regie: Frederic Wake-Walker), gratis zu sehen für 30 Tage auf der orchestereigenen Plattform www.dso-player.de.

Die Nachmittagssonne zaubert zartgoldene Flecken auf den Schinkel entworfenen spitzhohen Raum. Verblüfft, als seien sie zum ersten Mal hier, schreiten die Musikerinnen und Musiker langsam an ihre Plätze, von den Rängen ertönt Musik: Zehn Blechbläser spielen, gleich einer Introduktion, „Canzon in echo duodecimi toni à 10“ des venezianischen Spätrenaissance-Komponisten Giovanni Gabrieli, ein Lehrer von Heinrich Schütz.

Nur die Skulpturen sind als Publikum präsent

Dann hebt Robin Ticciati den Taktstock für Ballettmusik von Igor Strawinsky, „Apollon musagète“, geschildert wird die Geburt jenes Gottes, der für die Künste zuständig war. Neoklassizistische Musik des 20. trifft auf klassizistische Architektur des 19. Jahrhunderts, das passt.

Es ist ein Programm, das Anwesenheiten behauptet und doch von Abwesenheiten lebt. Die antiken Götter, der christliche Gott, wo sind sie? Und auch die Menschen fehlen, sprich: das Publikum. Das Virus hat auch die Öffentlichkeit zerstört, von der jede Kunst lebt. Einzig die Skulpturen aus der Alten Nationalgalerie, die hier wieder gezeigt werden, hören zu.

Blechbläser ertönen im Grunewald

So ist das Ensemble auf sich selbst zurückgeworfen, auf die reine Musik. Immer wieder dringt Martin Baers Kamera ein in die Gemeinschaft des Orchesters, wird zu einem Teil von ihm. Dann unterbricht etwas, das mindestens so ewig ist wie die Götter: die Natur. Unter spätherbstlich belaubten Eichen im Grunewald spielt ein Blechbläseroktett „Coups d’ailes“ („Flügelschläge“) des in Berlin lebenden tschechischen Komponisten Ondrej Adámek. Insektuöse Mikrotöne, inspiriert von der geflügelten Skulptur der Nike von Samothrake im Louvre.

Der zweite Teil des Films (ein dritter, der im Club Sisyphos angesiedelt sein soll, ist in Planung) entstand zu einer späteren Tageszeit, die Friedrichswerdersche Kirche ist jetzt in mystisches Kunstlicht getaucht. Es erklingt Mozarts „Jupiter“- Symphonie, erneut durchbrochen von Szenen aus dem Grunewald: Viola Wilmsen und Thomas Hecker mit zwei der sechs „Metamorphosen nach Ovid“ von Benjamin Britten für Oboe. Am Ende bleibt Trost: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, auch nicht in dieser Pandemie. Die „Jupiter“-Sinfonie trägt ihren Titel, weil man dachte, mit ihr sei das Höchste und Letzte in der Symphonik gesagt. Und dann kam Beethoven.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false