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Dicker Pinsel. Constanze Becker und Ingo Hülsmann (links) attackieren das Bühnenbild.

© Koall/dpa

Robert Borgmann inszeniert Goetz' „Krieg“: Im Nervensägewerk

Rainald Goetz hat einst mit seinem „Krieg“ das Theater bombardiert. Regisseur Robert Borgmann gräbt die Trilogie am Berliner Ensemble wieder aus und macht daraus einen wilden, dröhnenden Klamauk.

Wie ist das dramatische Ich in den letzten Jahrzehnten geschrumpft! Der einzelne Mensch: heute oft nur noch eine Schaufensterfigur im Diskurs-Center. Eine Monstertextmaschine wie „Krieg“ von Rainald Goetz, über 300 Seiten im Suhrkamp-Dünndrucktaschenbuch, wirkt da wie ein römisches Trümmerfeld.

Historienbrocken von Heiner Müller, Künstlerselbstbeschimpfung wie bei Thomas Bernhard, auch ein wenig Botho-Strauß-Alltagsapotheose, gesampelt im knackigen Goetz-Sound hedonistischen Ekels, westdeutscher Punk mit Typen wie „Stockhausen“ und „Stammheimer“, die von „Harald“ (Juhnke) und „Bubi“ (Scholz) faseln und den „guten alten Zeiten“ – man wusste eigentlich schon damals nicht, was eigentlich los war mit der Welt, aber bildete sich ein, die Konflikte, die kleinen wie die großen, seien beherrschbar mit Zauberformeln wie „Bier bleibt Bier“.

Eine Leinwand, auf die Farbeimer fliegen

Die Uraufführung vor dreißig Jahren am Schauspiel Bonn (!), in der Regie von Hans Hollmann, hatte, wenn die Erinnerung nicht allzu sehr trügt, etwas Lässiges, Cooles, mit den Hymnen von Frankie goes to Hollywood in Endlosschleife. „Welcome to the pleasure dome ...“: Man verließ das Theater euphorisch. Goetz und sein geblähtes Ego wirkten wie Doping. Haben wir den Schmerz nicht gespürt, die Bedrohung nicht erkannt? Waren wir anno 1987/88 so selbstversunken?

Es ist ja nicht das Schlechteste, wenn Theater mit der Zeit und den Geistern kämpft. Der Regisseur Robert Borgmann war sechs Jahre alt, als „Krieg“ herauskam. Er baut sich für die Trilogie, die einige wiedersehen und viele zum ersten Mal, fast auch schon museale Bühnenbilder. Im ersten Teil, „Heiliger Krieg“, ist es eine Leinwand, auf die Farbeimer fliegen. Sich beschmieren, bespritzen, in der frischen Farbe wälzen – es sieht aus wie eine Hommage an Christoph Schlingensief und soll irgendwie auch orgiastisch sein. Im zweiten Teil, „Schlachten“, erinnert das Atelier des tyrannischen Malers (deutscher Geniekult!) an eine Inszenierung von Robert Wilson. Die Frauen, die den Künstlerpatriarchen umsorgen, tragen Nonnenhauben und Gesichtsschleier. Im dritten Teil des viereinhalbstündigen Abends, „Kolik“, verreckt ein Mann allein in einer engen Blechbüchse; ein Gruß an Beckett! Er schwitzt und schnaubt und schreit sich zu Tode.

Eine altmodische Zitatensammlung

All das mutet in seiner Bildsprache altmodisch an. Eine Zitatensammlung, so wie schon der Text aus Exzerpten, Verweisen, Oberflächen besteht. Immerzu fallen einem andere Namen, Titel, Aufführungen ein. Ablenkung, permanent.

Goetz ist in diesen frühen Arbeiten ein sehr dunkler Romantiker. Er pinselt die Verzweiflung, den Verfall der Persönlichkeit mit hektischen Strichen aus. So viel Agonie war nie mehr. An solch massive, sich körperlich aufbäumende Individualität müsste man sich erst einmal wieder gewöhnen. Sie ist von der Bühne verschwunden. Rainald Goetz hat selbst daran seinen Anteil, mit ihm beginnt im Grunde schon der Auflösungsprozess.

Borgmann hat die Besten vom BE in den „Krieg“ geschickt. Und es ist über weite Strecken wildes Kriegsgeschrei, Klamauk, Parodie – wenn Constanze Becker die zickige Kuratorin gibt. Der „mündige Bürger“, wie er bei Goetz schon hämisch heißt – heute natürlich ein sächselnder Wutbürgerwicht. Stefanie Reinsperger geht wie gewohnt auch nicht sehr subtil an die Sache heran, und bei Ingo Hülsmann dauert es eine Ewigkeit, bis er die Stimme senkt in seinem Monolog des trinkenden, in assoziativen Gedankenfluten ertrinkenden Ichs. Dann öffnet sich ein Spalt.

Das Stück geht auf die Ohren

Das Ausatmen, das Stillsein tut den Texten gut. Wo steht, dass sie gebrüllt werden wollen? Sie entfalten eine andere Wucht, wenn ein Schauspieler wie Veit Schubert in sie hineinhört. Am Ende muss sich Aljoscha Stadelmann in seiner Zwangsjackenkluft erst völlig auspowern, das Ich mit Dezibel zersprengen, um im Schweigen anzukommen. „Still/Still/Stirbt“, das ist dann eine szenische Anweisung an sich selbst.

Könnte man die Lautstärke herunterdrehen, die Gesten verkleinern, das Grimassige dämpfen! Der Inszenierung, die ja ins Risiko geht, fehlt ein Grundgefühl für Sprachmusik. Das große Goetz-Ich, wie tönt es hohl, wie fett wird es illustriert. Robert Borgmann, Schlachtenmaler, verwechselt Dröhnen mit Intensität. Wie bei Thalheimer, bei Castorf: Es gibt was auf die Ohren. Kreischnervensägen!

Wieder am 19. und 26. März und am 7. und 13. April.

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