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Weihnachtsmänner müssen auf Zack sein.

© Wolfgang Kumm/dpa

„Rituale“, Teil 1: Der Weihnachtsmann ist nur echt mit unechtem Bart

Unsere Autorin hat von klein auf den Weihnachtsmann als Verkleideten enttarnt – und die Geschenkeübergabe als großes Spiel. Die Erfahrung gibt sie ihren Kindern weiter.

Rituale gehören zum Leben, kommen alle Jahre wieder oder strukturieren den Alltag. In dieser Serie erzählen wir von Lust und Frust der Wiederholung. Diesmal: Der Weihnachtsmann kommt.

Wenn der Weihnachtsmann kam, ging der Vater telefonieren. Das war umständlicher, als es klingt, damals Mitte der 1980er Jahre in der Hauptstadt der DDR. Zum Telefonieren musste man zwei Treppen runter, auf der Straße die nächste Zelle finden, womöglich davor warten, dann den Rückweg antreten.

Das wussten wir Kinder. Und lag nicht immer, immer tiefer Schnee? Darum wunderten wir uns nicht, dass der Vater so lange brauchte. Dass der Weihnachtsmann kam, während der Vater weg war. Immer.

Es gibt ein Foto von mir und dem Weihnachtsmann, da habe ich ihn schon durchschaut. Er hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, aber das Lächeln dahinter kannte ich. Noch besser kannte ich die Stiefel des Weihnachtsmannes, das waren die des Vaters, eindeutig. Auch die nackten Beine in den Stiefeln kannte ich. Dadurch habe ich ihn enttarnt, stolz, erbarmungslos.

Plötzlich leuchtete mir auch ein, warum der Weihnachtsmann unseren Wäschekorb zum Transport der Geschenke verwendete. Auf dem Foto lache ich das Lachen von jemandem, der glaubt, die Welt verstanden zu haben. Die Wahrheit, ein herrlicher Triumph.

Viel hatte ich davor schon verstanden, manches aus heutiger Sicht seltsam altmodisch. Wer die schönsten Wunschzettel malt, bekommt die meisten Geschenke. Ohne ein Lied oder ein Gedicht geht gar nichts, aber auch Unvollständiges wird akzeptiert. „Der Wille zählt.“ Rückblickend finde ich: vor allem der Wille zum Spiel.

Der Weihnachtsmann kam nämlich auch, als wir ihn schon enttarnt hatten – und er kam auf unseren ausdrücklichen Wunsch hin. Kam mal im Bademantel meines Opas (etwas enttäuschend, wir waren Besseres gewöhnt), mal als donnernde Gestalt, die statt einer Begrüßung die sehnlichst gewünschte Ananas-Dose über die Schwelle rollte (bei Onkel und Tante in Pankow).

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Immer galt: Geschenke gab es zu Weihnachten nie „einfach so“. Es gab sie im Rahmen eines performativen Akts. Wir alle hatten unsere Rollen. Wir spielten sie. Gern. Es scheint in der Familie zu liegen. Das Spiel dauert an, in wechselnder Besetzung. Auch wenn sich die Rollen etwas verändert haben. Früher kam der Weihnachtsmann mit Rute: heute unmöglich. Als wir keine Kinder mehr waren, machte der Weihnachtsmann Pause. Inzwischen ist er wieder da.

Vor ein paar Jahren entdeckte mein Sohn, dass der Bart des Weihnachtsmannes nicht echt war. Er flüsterte es mir ins Ohr. Den Glauben daran, dass dieser Mann war, was er vorgab zu sein, schmälerte diese Beobachtung, sie räumte ihn aber nicht völlig aus. Noch. Erst musste der Weihnachtsmann gründlich befragt werden.

Wie er das mache, das Beschenken aller Kinder zur gleichen Zeit (Antwort: Er hat viele Kollegen). Wo er wohne (am Nordpol, na ja). Wie er so weit gereist sei, ohne Schnee und Schlitten (Antwort vergessen). Um einen kritischen Geist zu entwickeln, ist so ein Weihnachtsmann ideal. Um Opas ins Schwitzen zu bringen, auch.

Als mich mein Sohn irgendwann rundheraus fragte, ob es ihn denn wirklich gebe, diesen Weihnachtsmann, fragte ich zurück: Was glaubst du denn? Ich log ihn nicht an, warum auch. Alles hat seine Zeit. Außerdem: Das Spiel geht weiter, oder jetzt erst los. Denn in diesem Jahr wird er wiederkommen. Für meine Tochter das erste Mal. Und mein wird Sohn wird lächeln, als hätte er die Welt verstanden.

Lena Schneider

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