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Das Schwarzsauer in der Kastanienallee in Berlin-Prenzlauer Berg

© Doris Spiekermann-Klaas

„Rituale“-Serie, Teil 7: Silvester im Schwarzsauer auf der Kastanienallee

Der letzte Tag im Jahr ist ein besonderer: Alles fühlt sich anders an, alle sehnen sich nach einem Neuanfang. Auf drei Biere nachmittags im Café Schwarzsauer.

Es muss zu Beginn der nuller Jahre gewesen sein, vermutlich vorher schon, als ich erstmals zu Silvester im Café Schwarzsauer in der Kastanienallee war. Nicht um dort den Jahreswechsel zu begehen, sondern Stunden zuvor, gegen drei, halb vier Uhr nachmittags. Das Schwarzsauer gibt es seit 1993.

Der Laden ist ein Dinosaurier des Berliner Barlebens, ehedem Bar und Frühstücksladen zugleich, von „Szenezeitschriften“ alter Prägung („Prinz“ etc) bis zur Senatswebsite „Szenebar“ genannt (welche Szene immer damit gemeint war und ist). Mehr noch ist das Schwarzsauer ein smarter Absturzladen mit großen Fenstern, einer Theke mit drei Seiten und Toiletten, die in den achtziger und neunziger Jahren im New Yorker CBGB’s nicht schöner, bunter und schlimmer ausgesehen haben.

Viele Jahre dann war ich Silvester mit Freunden dort: um Biere zu trinken, den Abend einzuläuten, wo immer der sich fortsetzte, und ja, klar, auch um sich zu zeigen. Und nicht zuletzt um zu demonstrieren, dass die Zeiten des Café M oder des Fischlabors allemal vorbei waren, es nicht nur in Mitte, sondern selbst in der Kastanienallee Alternativen gab.

Außerhalb von Zeit und Raum

Man ahnte ja nicht, dass es im Easyjetzeitalter einen solchen Run auf die einschlägigen Ausgehmeilen geben würde, dass selbst das Mysliwska in der Schlesischen, eben das M in der Goltzstraße oder das Schwarzsauer heute noch existieren sollten.

Wie auch immer: Silvester ist wie Heiligabend ein besonderer Tag. Dieser Tag fühlt sich anders an, man ist anders gestimmt, die Welt um einen herum genauso, und es herrscht eine gewisse Erwartungshaltung.

Warum sich also nicht nachmittags schon mit Freunden treffen? Als wir älter und vor allem Eltern kleiner Kinder wurden, hatte es sich leider Gottes mit diesen Treffen und dem Nachmittags-Silvesterbieren in der Kastanienallee in größerer Runde.

Die Stunde der Illusionisten

Doch ich habe diese Tradition allein fortgesetzt: Lange Zeit bin ich zu Silvester ins Schwarzsauer gegangen, am frühen Abend, um sechs, halb sieben, zum Trinken erster kleiner Biere, zwei, drei, nicht mehr. Das war natürlich letztes Jahr nicht so, Corona!, und ich meine, dass dem 2019 auch nicht so war, weil das Schwarzsauer an diesem Tag tatsächlich geschlossen hatte (ich habe den Verdacht, dass das diesen Freitag wieder so ist, verdammt!).

Gut möglich also, dass ich mir einen anderen Silvesterpräbiere-Laden suchen muss, in jedem Fall nach der Pandemie.

Dabei geht es gar nicht so sehr darum, das Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen (gut? schlecht? ohne besondere Vorkommnisse?) oder Einkehr zu halten, sondern um die Feier dieses einzigartigen Tages und seiner besonderen Stunden.

Diese Stunden, so die schöne Illusion, verlaufen außerhalb der Zeit und des Raums, alles scheint möglich zu sein – bevor das Übliche mit dem Silvesteressen oder der Silvesterparty beginnt, bevor man sich in aller Härte bewusst machen muss, dass wieder ein Jahr um ist. Und ging es nicht rasend schnell vorbei?

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