zum Hauptinhalt
Der US-Schriftsteller Richard Ford, 76.

© picture alliance / dpa

Richard Fords Erzählband "Irische Passagiere": Feststecken im Leben

Wenn Erfahrung auch nicht mehr als eine Illusion ist: Richard Ford hat mit seinen „Irischen Passagieren“ ganz wunderbare neue Geschichten geschrieben.

Warum Richard Fords neuer Erzählungenband „Irische Passagiere“ (Aus dem Englischen von Frank Heibert. Hanser Berlin, Berlin 2020. 288 Seiten, 22 €.) heißt, erschließt sich spätestens nach der Lektüre der zweiten oder dritten dieser neun Geschichten: Immer hat eine Figur irische Wurzeln, und wenn es eine Nebenfigur ist.

Oder es zieht wie in „Nichts zu verzollen“ eine Parade mit irischstämmigen Einwohnern durch New Orleans, obwohl der St.-Paddy’s-Tag erst ein paar Tage später gefeiert wird. Und zwei der Geschichten haben Dublin zum Schauplatz.

Dieser irische Hintergrund als roter Faden ist aber nicht weiter von größerem Belang. In den allermeisten dieser Stories geht es um entscheidende Brüche im Leben der Hauptfiguren; um den Trouble, wie er im Originaltitel anklingt, „Sorry For Your Trouble“, der ihr Leben ausmacht, den sie aber aushalten: Trennungen, Scheidungen, der Tod eines Ehepartners, eines Elternteils.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

„Es ging ihm deshalb tatsächlich ein bisschen besser als erwartet, wenn man alles betrachtete, die Tage hinter ihm und all das, was darüber hinausging“, heißt es über Tom, der Anwalt ist und in Dublin seine Scheidung zum behördlichen Abschluss bringt. „Das Leben versuchte noch, gut zu verlaufen“, heißt es in einer anderen Geschichte.

Es sind immer wieder solche Sätze, die aus Fords sowieso präziser, psychologisch feinfühliger, mitunter elegischer Prosa noch einmal gesondert herausragen; die sofort unterstrichen, herausgelöst oder woanders hingeschrieben werden wollen.

Ford dosiert das Pathos

Manchmal hat man das Gefühl, Ford erzähle aus einer anderen Welt und die Zeit sei über seine weißen, in der Regel überaus gut situierten, sich in ihren Fünfzigern befindlichen Helden und die verschlungenen Pfade ihres Beziehungslebens hinweggegangen. Die Atmosphäre ähnelt häufig der seiner Bascombe-Romane, mitunter meint man, die Settings in Maine oder sonstwo in den USA schon einmal gesehen, die Probleme und Gedanken dieser irischen Passagiere in „Unabhängigkeitstag“ oder „Die Lage des Landes“ gelesen zu haben.

Dann jedoch verblüfft es wieder, was für ein großartiger Short- Story-Autor Richard Ford ist – und um wie viele Klassen besser diese Prosa, diese Geschichten sind als das, was hierzulande so geschrieben wird.

Ford beherrscht die Form, er versteht es, das Pathos klug zu dosieren, die Frustrationen seiner Figuren nie zu groß werden zu lassen; und wenn es um eine Karte geht, die ein weißes Mädchen einer schwarzen Schulfreundin zum Abschied schenken will, um die Begegnung ihrer auf unterschiedlichen sozialen Stufen stehenden Väter in einem heruntergekommenen Viertel von New Orleans

Man muss diese Geschichten nicht unnötig politisch aufladen, sie erzählen von Rissen und Brüchen in einem Land, das die Trump-Katastrophe noch vor sich hat. Viel mehr noch erzählen sie von Menschen, die in ihren Leben feststecken, die unterschwellig leiden. Und die allesamt die Einsicht eben jenes Toms in „Überfahrt“ eint, dass die komplette Lebenserfahrung „nur eine Fehlwahrnehmung“ ist: „Eine Lüge, wenn man so will. Nichts Tatsächliches“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false