zum Hauptinhalt

Rezension: Findigkeit der Spitzel

Richard Wagners virtuoser Roman „Belüge mich“ arbeitet die komplexe Geschichte Rumäniens auf. Es geht um Verrat, um soziale Grausamkeit und die Kontinuität von Machtstrukturen.

Vor einigen Jahren wies die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller auf einer Podiumsdiskussion darauf hin, dass die Aufarbeitung und Erforschung geheimdienstlicher Tätigkeit in Rumänien allein daran scheitere, dass die jeweiligen Nachfolgeorganisationen mit oft identischem Personal die Akten übernommen und entweder weiter unter Verschluss hielten oder bereits vernichtet hätten. Moderiert wurde jene Veranstaltung im Übrigen – im Nachhinein pikanterweise – von Werner Söllner, einem 1982 in die Bundesrepublik ausgereisten Schriftsteller aus dem Banat, der Ende 2009 zugab, in den siebziger Jahren für die Securitate gearbeitet zu haben.

Wer in dieses verworrene System von Bespitzelung, Täuschung, Denunziation und Schuld hineingeraten ist, kann sich, das zeigt sich immer deutlicher, davon nicht mehr lösen. Richard Wagner ist 1987 mit Herta Müller, seiner damaligen Ehefrau, nach Deutschland gekommen. Sein neuer Roman mit dem bezeichnenden Titel „Belüge mich“ ist voll von Geschichten von Verrat, von intimer und sozialer Grausamkeit. Es ist ein virtuoses Buch, das in aller Klarheit und Entschiedenheit der Komplexität persönlicher Verwicklungen gerecht wird; ein Roman, der in einem großen Bogen von den dreißiger Jahren bis in die Gegenwart vor allem die Kontinuität von Machtstrukturen offenlegt. Ein Text, der von Tallhovers nur so wimmelt.

Wenn es in Wagners vielsprachigem Roman eine Protagonistin gibt, dann ist es Sandra Horn, eine Frau Anfang 30, die vor exakt 20 Jahren mit ihren Eltern Bukarest verlassen hat und nach Frankfurt am Main ausgereist ist. Nun, im Jahr 2005, soll sie, die Journalistin, im Auftrag ihrer Chefredakteurin in München ein marodes rumänisches Blatt, das der Verlag aufgekauft hat, zu einem modernen Frauenmagazin umbauen. Sandra braucht Stoff, und den bekommt sie; allerdings haben ihre Storys mehr mit ihr selbst und der Vergangenheit ihrer Familie zu tun, als ihr lieb sein kann. Wie ein Rhizom wuchert durch diesen Roman das dichte Netz von Verstrickungen, das Richard Wagner geknüpft hat.

Sandras Freund, den sie in Deutschland verlassen hat, ist der Sohn eines berühmten Tangosängers der dreißiger Jahre. Ihr Freund Marcel wiederum, dem sie in Bukarest wieder begegnet, schwimmt im Strom der neuen Zeit und beteiligt sich mit Erfolg an Immobilien-Investmentgeschäften. Sein Vater Radu Thoma ist Historiker und hat dem Ceausescu-Regime die wissenschaftliche Legitimation geliefert.

Von ihm existiert das Fragment eines Schlüsselromans, das Sandra in die Hände fällt und in dem aus der rumänischen Wendezeit der dreißiger und vierziger Jahre, vom Übergang vom Faschismus in den Stalinismus, erzählt wird, von einem möglichen Mord an der mondänen Tänzerin Lauretta Luca, vom Securitate-Offizier Albu, der in der legendären „Tangobar“ undercover als Kellner arbeitet. Fiktion und Romanwirklichkeit verdichten sich zu einer untrennbaren Legierung. Wohin man auch schaut: Selbsterhaltungsvirtuosen; immer wieder Täter, die zu Dissidenten erklärt werden und umgekehrt, je nach ideologischer Wetterlage.

Die Wahl des Präsens für das Bukarest des Jahres 2005 verleiht „Belüge mich“ zusätzliche Rasanz und hilft zudem, den Überblick über die verschiedenen Zeitebenen und Informationsquellen zu behalten, die Richard Wagner mit Leichtigkeit im Griff zu haben scheint. Wenn es in diesem furiosen Wirbel dann doch so etwas wie eine Schaltzentrale gibt, dann ist es Sandras Elternhaus in Bukarest, das der Großvater erworben hat und das sich noch immer im Besitz der Familie befindet. Ein Haus mit Geheimnissen, mit Zimmern, die nicht verändert werden dürfen, mit Räumen, über deren frühere Verwendung als Befragungszimmer nur zögerlich gesprochen wird.

Der Großvater, Ypsilon Horn, dürfte denn auch die furchterregendste Figur des Romans sein; Spitzname: „der Frauenquäler“. Ein Mann, von dem es heißt, dass die Kommunisten ihn nicht ohne Grund von der bürgerlichen, sprich faschistischen Polizei übernommen haben: zunächst ein Verbrecher, dann wieder ein Verbündeter. Ein Psychopath, wie man raunt, und, wie Sandra herausfindet, möglicherweise auch ein Mörder.

Die bitterste, weil so naheliegende wie unglaubliche Pointe hält Wagners düsterer Roman für Sandra Horn ganz zum Schluss bereit. „Belüge mich“, jenes Zitat aus einem alten Tangolied, entpuppt sich als die Grundkonstante jeglicher zwischenmenschlicher und familiärer Verbindungen. Abseits aller abstrakten historischen Betrachtung wird hier unmissverständlich klar: Weder dem Lauf der Weltgeschichte noch der eigenen kann man sich entziehen.

Richard Wagner: Belüge mich. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2011. 314 Seiten, 22, 95 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false