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Tröt. Die komödiantisch veranlagten Collins Brothers.

© Carolin Saage

Revue "2020" im Berliner Wintergarten: Biegsame Körper und blitzende Nippel

Schrilles Amüsemang: Die neue Show "2020" im Wintergarten Varieté verknüpft die alten mit den neuen Zwanzigern.

Wenn einer den frivolen Geist der Zwanziger in die Zwanziger des kürzlich angebrochenen Jahrhunderts trägt, dann doch wohl Jack Woodhead. Der Pianist, Sänger und Paradiesvogel aus Manchester hat sich im Berliner Wintergarten bereits 2014 als Dramaqueen in der Show „Der helle Wahnsinn“ empfohlen.

Als schriller Conférencier der Varieté Revue „2020“ stakst er nun wieder so tuckig über die Bühne, als ginge er abends in High Heels und Flitterwams zu Bett.

Handstand-Akrobatik und Striptease in einem: Kashka.
Handstand-Akrobatik und Striptease in einem: Kashka.

© Carolin Saage

Beim Beschwören der glorreichen Vergangenheit Berlins als Metropole des Amüsemangs mag der Wintergarten keinesfalls daneben stehen. In den 1920er Jahre verfügte die Stadt über 80 Varietés, wie Intendant Georg Strecker am Premierenabend dem staunenden Publikum mitteilt.

Und an die illustre Tradition des 1944 kriegszerstörten Vergnügungstempels Wintergarten in der Friedrichstraße knüpft das gleichnamige Varietétheater in der Potsdamer Straße seit 1992 an.

Eine klassische Nummernrevue

Das klappt mit der von Markus Pabst und Pierre Caesar als klassische Nummernrevue angelegten Show ganz gut. Verglichen mit der Jukeboxshow „Berlin Berlin“, die zum Jahreswechsel im Admiralspalast brav und blechern den Geist der vermeintlich Goldenen Zwanziger zitierte, fällt „2020“ feuriger und origineller aus.

Verwickelter Pumpsträger: Kontorsionist David Pereira.
Verwickelter Pumpsträger: Kontorsionist David Pereira.

© Carolin Saage

Grund sind weder Woodheads diesmal wenig überzeugende Lieder. Noch Pabst Kalauer und Sentenzen, die der Zeremoniemeister des zweieinhalbstündigen Abends loslässt. Und auch nicht das Retro-Liedgut, das vom Dietrich-Klassiker „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, über „In der Bar zum Krokodil“ von den Comedian Harmonists bis zu „Mein Herr“ und „Two Ladys“ aus dem Musical „Cabaret“ reicht.

Jazzige Band und campy Look

Es sind vielmehr Ton, Tempo und Mischung, die stimmen. Das Zusammenspiel von clownesken und artistischen Einlagen, einer jazzigen Band, dem campy Look der mit Raffvorhängen und Art-Decó-Aufbau geschmückten Bühne und den mit Glitter und Federn ausstaffierten Kostümen.

In der zweiten Hälfte dominiert streckenweise die Jetztzeit, wie Elektromusik und Kostüme der Akrobatinnen und Akrobaten an den Luftringen oder Polestangen zeigen. Und dann geht geht es mit der Burlesque-Tänzerin Banbury Cross wieder zurück ins Nostalgieland als Frauenkörper von Glitterkorsagen gestützte Pinups waren: Nippelalarm!

Gehrock und Federbusch. Markus Pabst und Jack Woodhead.
Gehrock und Federbusch. Markus Pabst und Jack Woodhead.

© Carolin Saage

[Wintergarten Berlin, Potsdamer Str. 96, bis 11. Juni, Karten ab 32 Euro]

Die nackte Haut und das Spiel mit Geschlechteridentitäten gehören zu Pabsts von der Homo-Subkultur inspirierten Obsessionen. Eine oder einer strippt hier immer – und wenn es nur die lasziv abgestreiften Handschuhe der Handstand-Akrobatin Kashka oder die Nylons des Kontorsionisten David Perreira sind. Gut, dass der Hut-Jongleur Girma Tsehais die angestrengte Sexyness mit seiner x-beinigen Nacktheit persifliert.

Die bunte Gesellschaft, die der auch international erfolgreiche Varieté-Erneuerer Pabst mit „2020“ feiert, ist die Erhörung hundert Jahre alter Freiheitsehnsüchte. Starke Frauen, schwache Männer, alles kann, nichts muss.

Ein schöner Varieté-Traum, den der Moderator bei seiner Aufzählung der Parallelen zwischen 1920 und 2020 mit einem eifrig beklatschten Appell ans Publikum verknüpft: „Lasst es uns bitte nicht wieder versauen!“

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