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Die Performance "Faust" von Anne Imhof bei der Biennale in Venedig.

© AFP

Resümee des Kunstjahres 2017: Das geht in die Banalen ein

Auflösung der Formen, Vormarsch der Moral, Desaster bei der Documenta: Das Kunstjahr 2017 war nicht so super.

Als Superkunstjahr war 2017 schon lange vorher deklariert: Documenta in Kassel und Athen, Biennale di Venezia und Skulpturenprojekte Münster. Die Großereignisse der Kunst schlechthin fielen diesmal gleichzeitig auf einen Sommer, was nur alle zehn Jahre passiert. Das musste spitze werden in der Logik eines Kunstbetriebs, der an Ausstellungsevents, Rekorderlösen, Besuchermassen orientiert ist. Doch das Ergebnis – paradoxerweise genauso erwartbar wie die pompösen Ankündigungen – fällt keineswegs so großartig aus.

Super war das Kunstjahr 2017 wahrhaftig nicht. Die Documenta floppte mit ihrem Hardcore-Polit-Anspruch („Von Athen lernen“), die Biennale gab sich mit ihrer fröhlichen Feier der Kunst („Viva Arte Viva!“) dagegen zu seicht. Lachender Dritter waren die Skulptur Projekte, die kein Bekenntnis abliefern müssen, sondern einfach im Dezennium-Rhythmus wiederholen, was sie seit 40 Jahren tun – die Kunst im öffentlichen Raum auf den Prüfstand stellen, die Stadt auf diese Weise in einen Kunstparcours verwandeln und so das Ernsthafte mit dem Heiteren verbinden. Auch wenn die Besucherzahlen weder an Documenta noch Biennale di Venezia heranreichten, so waren die Skulptur Projekte doch klarer Publikumsliebling.

Umso mehr lohnt es sich, dem genauer nachzugehen, was da 2017 funktionierte und was nicht. Und welche Folgen der Reinfall der Documenta 14 womöglich auf dem politischen Parkett hat – wenn auch nur auf lokaler Ebene. Die öffentlichen Reaktionen auf Adam Szymczyks gedoppelte Documenta, die in Athen begann und zeitversetzt in Kassel 163 Tagen später endete, fielen geradezu allergisch aus. „Die Documenta braucht niemand“, trat die „Neue Zürcher Zeitung“ mit ihrer Kritik in der Titelzeile hinterher. Was lief schief?

Szymczyk hat sich als Zuchtmeister aufgespielt

Der polnische Kurator hatte sich als moralischer Zuchtmeister aufgespielt, der mit den Mitteln der Kunst einen Weltverbesserungsplan inszenierte. Die Kunst wurde instrumentalisiert. Der Versuch, die Werke anderer Ethnien zu würdigen, den Samen, Kwakwaka’wakw oder Aborigines ebenfalls ein Forum zu geben, führte zu einer erneuten Separierung. Political Correctness und autonomer künstlerischer Ausdruck kollidierten.

Diese Überheblichkeit, der geforderte Büßerblick, wurde Szymczyk und seinem Team sehr schnell übel genommen. Gepaart mit einer schludrigen Präsentation, unlesbaren Plänen an einem Ort wie Athen mit seinen ganz eigenen infrastrukturellen Problemen schlug die zunächst erwartungsfrohe Stimmung schnell in Misslaunigkeit um. Der Vorsatz der Documenta, nicht Lehrmeister sein zu wollen, die Menschen direkt anzusprechen, fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Wer allerdings glaubt, einer bedeutenden Institution wie der Documenta könnte eine verpatzte Ausgabe nichts anhaben, in fünf Jahren kommt ja wieder die nächste, dürfte sich diesmal irren. Die Millionendefizite, bedingt durch die Doppelung der Ausstellung an zwei Orten, schlagen noch anders gefährlich zurück. Zwar haben sich die Besucherzahlen, die Belegung der Hotelbetten in Kassel erhöht, aber die Stadt sieht unter dem im Sommer eingewechselten Oberbürgermeister und damit neuen Aufsichtsratsvorsitzenden der Documenta GmbH die Gelegenheit gekommen, die Weltausstellung an die Kandare zu nehmen.

Seit Catherine Davids Ausstellung vor nunmehr 20 Jahren hatte sich die Documenta eigentlich auf den Weg gemacht, der Globalisierung Rechnung zu tragen. Sie hat Publikationen, Plattformen in anderen Kontinenten begründet, um so die Welt hereinzuholen. Dieses Rad soll nun zurückgedreht werden. Szymczyks Desaster in Athen dient als bester Beleg dafür, dass die Documenta nach Hessen und nirgendwohin sonst gehört. Entsprechendes Getöse war in Kassel nicht nur von der AfD zu hören. Die Pläne des neuen Oberbürgermeisters, dem Unternehmen die Gemeinnützigkeit zwecks besserer Vermarktung zu streichen, könnten wirklich gefährlich werden. Die Autonomie des Kurators wäre gefährdet.

Der Angriff kommt in einem Moment, in dem ohnehin die Verhältnisse ins Rutschen geraten

Dieser Angriff auf die Freiheit der Kunst an einem Ort, wo wie nirgendwo sonst in der Welt ein Konzept fünf Jahre Zeit zur Realisierung hat, wo die neuesten internationalen Entwicklungen und ihre politischen Zusammenhänge fern einer kommerziellen Verwertung untersucht werden können, kommt in einem Moment, in dem ohnehin die Verhältnisse ins Rutschen geraten sind. Auch dafür steht 2017: Die Kultursparten haben sich weiter aufgelöst, die gegenseitige Durchlässigkeit von bildender Kunst, Theater und Film ist in diesem Jahr deutlicher denn je geworden. Die Hauptausstellung der Biennale di Venezia mag gescholten worden sein, der Goldene Löwe für die Performance von Anne Imhof im Deutschen Pavillon aber fand einhellige Zustimmung. Hier wurde ein Raum auratisch aufgeladen, überzeugend neu definiert, wie es zuletzt Hans Haacke, Gregor Schneider, Christoph Schlingensief gelungen ist, die ebenfalls die höchste Auszeichnung der Biennale-Jury erhielten.

Anne Imhofs Inszenierung „Faust“ traf den Nerv einer Befindlichkeit mit ihren selbstverlorenen Darstellern, die auf und unter einem erhöhten, gläsernen Boden agierten. Die peinigende Coolness, die ausgestellte Melancholie nahm das Publikum gefangen, das sich stundenlang unter den Performern aufhielt und ihr somnambules Tun fasziniert beobachtete.

Der Transfer vom Theater in den Ausstellungsraum war hier zweifellos gelungen. Auch Alexandra Bachzetsis’ Tanz-Performance „Private Song“ auf der Documenta in Athen schaffte es, eine Verbindung zwischen den Gattungen herzustellen – allerdings präsentiert im Theater von Piräus, als Bühnenstück und damit im geschützten Rahmen für ein konzentriertes Publikum. Ihr Berliner Auftritt vor wenigen Wochen dagegen versendete sich. Dort präsentierte sie ihre Performance "Massacre: Variations on a Theme“ für vier Tänzer als Online-Premiere auf Fullscreen, der digitalen Spielstätte der Volksbühne im Internet.

Schon naht die nächste Biennale, 2018 wieder in Berlin, die Manifesta macht diesmal in Palermo Station. Die Großausstellungen markieren ein Kunstjahr, ob es dem Liebhaber behagt oder nicht. Ob sich die Sparten weiter ineinander verlieren, wird man sehen. Die Öffnung zu anderen Kulturen aber bleibt Gebot. Der Countdown für das Humboldt-Forum (Start im Herbst 2019) läuft weiter. Der Hamburger Bahnhof probt derweil das „Museum global“, den alternativen Blick auf die Moderne jenseits des westlichen Kanons, was ein Anfang ist. Super kommt später.

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