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Anne-Marie Descôtes, Botschafterin Frankreichs in Deutschland, und Peter Forner stehen neben dem Gemälde des französischen Malers Nicolas Rousseau.

© Britta Pedersen/dpa

Restitution von NS-Raubkunst: Berliner gibt Gemälde an Frankreich zurück

Der Vater von Peter Forner brachte das Bild einst aus der Normandie mit. Die freiwillige Rückgabe ist ein Präzedenzfall für Frankreich.

So viel Wirbel hätte Peter Forner nicht erwartet. Der 80-Jährige sitzt in seiner Wohnung in Berlin-Hermsdorf am nördlichen Stadtrand, hinter ihm hängt ein Bild zweier vergnügter Wanderer mit Pausbacken an der Wand. Der Nagel links daneben ist leer. Dort befand sich bis vor Kurzem der Grund für die Unruhe im Leben des Rentners: Ein Gemälde des französischen Landschaftsmalers Nicolas Rousseau, „hübsch-hässlich“, findet Forner.

Er geht hinüber ins Nebenzimmer, um den Vertrag mit dem französischen Staat zu holen, den er unterschreiben muss, damit er das Bild nach 75 Jahren los wird.

Zuständig für das Kunstwerk wird nach der Übergabe die "Kommission für die Entschädigung der Opfer von Enteignungen aufgrund der antisemitischen Gesetzgebung während der Okkupationszeit" (CIVS) sein. „Das ist alles schon recht offiziell“, bemerkt er trocken, holt den Vertrag und zündet sich eine der vielen Zigaretten an, die er im Laufe des Gesprächs rauchen wird.

NS-Raubkunst wird selten zurückgegeben

Der offizielle Teil passiert sechs Stunden später, am frühen Dienstagabend in der Bibliothek der französischen Botschaft. Die französische Botschafterin Anne-Marie Descôtes spricht in ihrer Rede von einem "Beitrag zur deutsch-französischen Freundschaft", den Forner geleistet habe. Das Gemälde selbst steht neben den Flaggen Frankreichs, Deutschlands und der EU und wirkt in seinem goldenen Rahmen und dem prunkvollen Raum unscheinbar. Wie bei einem internationalen Abkommen unterzeichnen Forner, die Botschafterin und der Leiter der CIVS-Außenstelle Berlin den Vertrag in sechsfacher Ausführung.

Was für Peter Forner eine Kleinigkeit ist, ist für den französischen Staat ein Präzedenzfall. Denn die Restitutionsdebatte ist noch längst nicht abgeschlossen. Die Rückgabe des Gemäldes "Die Blumenvase" von Jan van Huysum an die Uffizien in Florenz am 19. Juli war sogar Anlass für Außenminister Heiko Maas, nach Italien zu reisen. Die Familie des deutschen Soldaten, der das Gemälde nach Deutschland gebracht hatte, hatte sich jahrelang geweigert, die Raubkunst herauszugeben. "Als ich davon gehört habe, dachte ich: Was die können, kann ich schon längst", sagt Forner zu dem Fall.

Aktuell liegt der Fokus der Debatte auf der Rückgabe von während der Kolonialzeit entwendeten Gegenständen aus ethnologischen Sammlungen an indigene Völker. Im Fall der NS-Raubkunst scheint es mit der Rückgabe noch zu dauern. Gerade erst richtete Frankreich eine neue Institution zur Provenienzforschung von enteigneten Kulturgütern ein. Sie soll die Restitution der schätzungsweise 300 000 während der NS-Besatzung entwendeten Gemälde und anderen Kulturgüter koordinieren.

Eine fast aussichtslose Aufgabe: Zwar bemühen sich Museen um die Erforschung ihrer Bestände, bei Privatleuten aber hängt die Rückgabe vom guten Willen der Nachfahren ab. Die können Bilder, die als Raubkunst registriert sind, zwar nicht verkaufen, bei einem Alten Meister oder einem ähnlich wertvollen Bild fällt der Abschied aber wohl besonders schwer. Rechtlich können die Herkunftsländer der geraubten Kunstwerke nichts ausrichten. Auch deshalb ist die Restitution des relativ unbedeutenden Bildes an den französischen Staat ein wichtiger symbolischer Akt.

75 dauerte es bis zur Rückgabe

Eigentlich wollte Peter Forner nur zurückgeben, was ihm nicht gehörte. Anfang 2018 lag er für mehrere Wochen im Krankenhaus, kam danach in die Reha. Dort hatte er viel Zeit, nachzudenken und fasste einen Entschluss: Das Bild war eine Last, es musste zurück nach Frankreich. "Ich habe immer gedacht: Es gehört mir nicht", sagt Forner.

Bereits vor zwei Jahren hatte er der Kulturabteilung der Botschaft geschrieben, dort war sein Ansinnen versandet. Jetzt wurde er deutlicher: Er schrieb von "Raubkunst" und aktivierte damit die CIVS. "Ich dachte, ich rufe da einfach an und schreibe eine Mail und damit hat es sich", sagt Peter Forner. Stattdessen bekam er Besuch von Kunstexperten, musste einen Vertrag unterzeichnen und wurde neben der Übergabe auch zur 14.-Juli-Feierlichkeit der Botschaft eingeladen. Darüber kann sich Forner nicht wirklich freuen. Vielmehr tut es ihm Leid, dass es so lange dauerte mit der Rückgabe. Denn irgendetwas kam immer dazwischen.

Forner ist seit 1987 im Besitz des Gemäldes. Sein Vater Alfred hatte es im Frühsommer 1944 aus der Normandie mitgebracht, im Auftrag eines Vorgesetzten. Während seines Heimaturlaubs in Berlin sollte er es bei der Frau des Vorgesetzten abgeben. Doch als er vor der angegebenen Adresse stand, fand er nur ein ausgebombtes Haus vor, ohne Hinweise auf den Verbleib der Bewohner.

So bekam Forner es von seiner Mutter erzählt, denn der Vater fiel vor Kriegsende während eines Luftangriffs. Damit war auch der einzige direkte Zeuge des Raubs nicht mehr in der Lage, Hinweise auf die ehemaligen Besitzer zu geben. Lediglich drei Orte kannte Peter Forner durch Postkarten, in denen der Vater von seinen Stationen erzählte: Fécamp, Saint-Omer und ein Ort bei Rouen.

"Es wäre schön gewesen, wenn die Besitzer ausfindig gemacht worden wären", sagt Forner. "Dann hätte es eine Verbindung für mich gegeben." Forner ist gelernter Speditionskaufmann, arbeitete bei den Fluglinien PanAm und KLM, später in der Verkehrsverwaltung des Flughafens Tempelhof und schließlich auf dem Flughafen Tegel in einem internationalen Team. Immer wieder wirft er englische Wörter ein, einmal mag ihm das deutsche Wort für "library" nicht einfallen. Im Esszimmer hängt ein Druck einer antiken Weltkarte.

Forner mag lieber Impressionismus

Bereits 1973 reist Forner nach Paris und von dort aus nach Barbizon. Im dortigen Kunstmuseum spricht er mit Fachleuten, zeigt ihnen eine Fotografie des Bildes. 4000 Francs wäre das Bild damals wert gewesen, heute etwa 600 Euro. In Barbizon entdeckt Forner den Impressionismus, besonders Renoirs Gartenbilder begeistern ihn. In seiner Wohnung hängen Drucke impressionistischer Gemälde. Die bunten Farben entsprechen eher seinem Geschmack als Rousseaus gedämpfte Landschaften.

"Ich habe keine emotionale Bindung zu dem Bild", sagt er. "Was eigentlich verwunderlich ist, weil ich es seit 1944 konstant vor der Nase hatte." Von seinem ursprünglichen Standort in Spandau zog das Bild mit nach Charlottenburg um, dann nach Lichtenrade, nach dem Tod seiner Mutter nahm Forner es mit in den Wedding, nach Wittenau und dann nach Hermsdorf. Deshalb ist das Bild leicht beschädigt. "Ich habe die Franzosen auch darauf hingewiesen, dass das Bild seit 1944 kein einziges Mal gereinigt wurde", sagt Forner.

Die Botschafterin verspricht am Dienstagabend zwei Dinge: Der französische Staat werde sich um die Restauration des Bildes kümmern und das Bild in der Normandie ausstellen. Dort soll es in einem Museum oder Rathaus stehen. Vielleicht findet sich so ein Nachfahre oder jemand, der das Bild in seinem ursprünglichen Zuhause gesehen hat. Denn Frankreich wird durch den Vertrag keinesfalls Besitzer des Bildes, es verwaltet es lediglich.

Peter Forner wirkt ein bisschen verlegen an diesem Abend. Sein Wunsch: Das Bild soll möglichst schnell an die Nachfahren seines ehemaligen Besitzers zurückgegeben werden.

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