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Kultur: Respekt für Gunter Sachs

Es waren schon seltsame Töne, die nach dem Freitod von Gunter Sachs zu hören waren. Der Entschluss eines als Playboy und Lebemann bekannten Mannes, das Schicksal einer unaufhaltsamen Demenz nicht anzunehmen, hat auf viele Mitglieder der redenden Klasse wie eine Provokation gewirkt.

Es waren schon seltsame Töne, die nach dem Freitod von Gunter Sachs zu hören waren. Der Entschluss eines als Playboy und Lebemann bekannten Mannes, das Schicksal einer unaufhaltsamen Demenz nicht anzunehmen, hat auf viele Mitglieder der redenden Klasse wie eine Provokation gewirkt. Üblicherweise löst ein Freitod bei denen, die den Dahingegangenen als Freund und als Verwandten kannten, Schmerz und Trauer aus; dem Rest der Welt ist er gleichgültig. Hier war es anders.

Vor allem Leute, die Gunter Sachs nur von Fotos (mit Brigitte Bardot) kannten, entwickelten erstaunliche Aggressionen. Zweifel an seinem Charakter wurden laut: Nur jemand, der schon im Leben nie nach links und rechts schaute, habe sich auf so rücksichtslose Weise – durch einen Schuss in den Kopf! – umbringen und seiner (nicht anwesenden) Gattin den Anblick zumuten können. Man schalt Sachs einen Egoisten, einen Depressiven, der sich nicht behandeln ließ. Zu einer Tat wie der seinen brauche es nicht etwa Mut, nein, sie sei aus Feigheit begangen worden, aus Feigheit vor der Demenz! Natürlich kam den Anklägern das deutsche Wort Selbstmord (englisch: suicide, was als Selbsttötung zu übersetzen ist) zu Hilfe. Denn dieses Wort denunziert denjenigen, der eine solche Tat begeht, ganz im Sinn der Kirche als einen Mörder und seine Tat als ein Verbrechen. Was war passiert? Waren die Meinungsmacher, von denen außer Matthias Matussek kaum einer in die Kirche geht, plötzlich alle fromm geworden?

In dem gewaltigen Nachhall, den Sachs’ Freitod erzeugte, ging erstaunlich viel durcheinander. Ganz andere, unvergleichbare Krankheiten wie Querschnittslähmung, Krebserkrankung, Multiple Sklerose wurden zum Vergleich herangezogen. Dabei wurde das bestimmende Merkmal der Demenz, als wolle man es bitte! so genau nicht wissen, in den Hintergrund gedrängt. Leider handelt es sich bei der Demenz um eine Krankheit, die die bisherige Identität und den freien Willen des Erkrankten auslöscht.

Aus der ehemaligen Familienministerin Renate Schmidt brach es heraus: Jeder Demenzkranke müsse sich angesichts des Beispiels, das Gunter Sachs gesetzt habe, wie ein Versager vorkommen, wenn er weiterlebe. Muss er das? Die Befürchtung ist natürlich Unsinn. Ein Demenzkranker wird den Freitod eines Schicksalsgenossen kaum in Zusammenhang mit seiner eigenen Situation bringen; denn vor der Möglichkeit, überhaupt noch eine Wahl zu treffen, schützt ihn seine Demenz. Und warum sollte sich jemand, der wie Sachs im Anfangsstadium dieser Krankheit ist, als Versager fühlen, wenn er dessen Beispiel verwirft? Natürlich hat er jedes Recht der Welt, sich für sein Weiterleben zu entscheiden. Niemand dürfe jemals wieder das Gefühl haben, sein Leben sei nicht wert, gelebt zu werden, hieß es. Der Vergleich verharmlost unfreiwillig das „Rassehygiene“- Programm der Nazis. Dessen Opfer wurden bekanntlich nicht gefragt, ob sie weiterleben wollten. Jemand, der sich entscheidet, dass er ein Leben unter dem Diktat der Demenz nicht auf sich nehmen will, hat mit den Hygienemorden der Nazis nichts zu tun.

Viele, die hier redeten, merkten offenbar nicht, dass sie nicht über Gunter Sachs, sondern über sich selber redeten – über ihre eigene uneingestandene Angst und Ratlosigkeit. Ein Problem, das nicht verwaltet werden kann – das Tragische, die Ausweglosigkeit, die gerechtfertigte Verzweiflung – hat in der Politik keinen Platz. Die Politiker sagen ihren Wählern nicht, was die „Kollateralschäden“ der viel gefeierten Lebensverlängerung sind: Jeder vierte Bürger über 85, jeder dritte über 90 wird an Demenz erkranken. Die Gesellschaft schließt vor diesem wachsenden Millionenheer die Augen und schiebt es in meist menschenunwürdige Verwahranstalten ab oder überlässt es überforderten Angehörigen. Mithilfe der Kirchen drückt sie sich aber auch um die Frage herum, ob diejenigen, die ein Leben mit der Demenz nicht auf sich nehmen wollen, nicht ein Menschenrecht auf einen selbstbestimmten Tod haben. Nicht jeder hat eine Pistole zu Hause, und bekanntlich gibt es sanftere Mittel als einen Schuss in den Kopf. Jeder mag darüber denken, wie er will – ich jedenfalls hebe meinen Hut vor dem tapferen Gunter Sachs, vor einem Lebemann, der nicht bereit war, an einem Leben unter Bedingungen, die er als menschenunwürdig empfand, festzuhalten.

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