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3. Oktober 2014: Xavier Naidoo bei einer Demo.

© imago images/Christian Ditsch

Resozialisierung von Verschwörungsgläubigen: Xavier Naidoo gesteht Fehler ein – das kann erst der Anfang sein

Der Sänger Xavier Naidoo hat sich für das Verbreiten von Verschwörungserzählungen entschuldigt. Doch es braucht mehr als nur ein Läuterungsvideo. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Soltau

Es wirkt wie eine Szene aus einem Beichtstuhl. Lange Jahre galt Sänger Xavier Naidoo als Identifikationsfigur für Verschwörungsideologen und Querdenker. Doch 3:15 Minuten auf einer Ledercouch sollen nun mit einem Jahrzehnt wahnhafter Ideen aufräumen. In einem Video, das er am Dienstagabend in sozialen Netzwerken teilte, gesteht er, dass er Fehler gemacht, Irrwege beschritten habe – und er bittet dafür um Verzeihung.

Es sind überraschende Worte, die Hoffnung machen, dass es einen Ausweg aus den ideologischen Parallelwelten geben könnte, die sich im Zuge der Pandemie immer weiter von der Realität entfernt haben – und zunehmend demokratiegefährdendes Potenzial entwickeln. Wenn es der prominenteste Verschwörungsgläubige hierzulande schafft, sich öffentlich davon zu distanzieren, warum nicht auch andere?

Dahinter schlummert die große Frage nach den Bedingungen für gesellschaftliche Heilung angesichts von Jahren, in denen Ideologen hierzulande hetzten und die politische Debatten vergifteten.

Im Prozess der Resozialisierung wird es auf einen Dreischritt ankommen: Offenheit für die Veränderungswilligen zu bewahren, fortwährende Wachsamkeit gegenüber den unbeugsamen Ideologen zu üben – und den Mut für eine gesellschaftspolitische Debatte über die Ursachen des Erfolgs der grotesken Erzählungen aufzubringen.

Die Tür nicht schließen

Dass Xavier Naidoo Fehler eingesteht, kann also erst der Anfang sein. Noch ist es auch zu früh, um zu beurteilen, ob hinter der Stellungnahme des Sängers mehr steckt als ein geschickter PR-Zug. Erst im vergangenen Dezember urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass Naidoo als Antisemit bezeichnet werden darf.

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Doch wer an der Idee einer versöhnten Gesellschaft festhält, darf die Möglichkeit nicht ausschließen, dass ein Mensch auch nach Jahrzehnten seine falschen Überzeugungen hinterfragen und ablegen kann. Dem trotzigen Rest an Verschwörungsgläubigen, deren Protest angesichts des Wegfalls der meisten Pandemie-Maßnahmen immer anachronistischer wirkt, gilt es darum weiter Angebote zu machen. Die Tür nicht zu schließen.

Und doch muss es rote Linien geben: Humanität und Rationalität dürfen nicht um der Aussöhnung willen geopfert werden.

[Lesen Sie auch: Wie es ist, seine Familie an den QAnon-Kult zu verlieren (T+)]

Naidoo galt vielen zuletzt wahlweise als irrationaler Außenseiter, psychisch Kranker oder schlicht Spinner. Doch eine repräsentative Studie der gemeinnützigen Organisation Center für Monitoring, Analyse und Strategie zeigte vor wenigen Tagen, dass jeder achte Befragte in Deutschland den zentralen Narrativen des QAnon-Milieus zustimmt – jenen verschwörungsideologischen Wahnvorstellungen, die auch der Sänger fleißig teilte.

Ihm sei bewusst geworden, „wie wichtig es ist, sich selbst zu reflektieren“, sagte Naidoo in dem Video. Das muss ebenso für die Politik gelten: Wer die Mechanismen des Verschwörungsglaubens versteht, ist in Zukunft besser davor geschützt. Auch das gehört zum gesellschaftlichen Zusammenhalt dazu.

Wenn es der Sänger ernst meint, könnte er einen Beitrag leisten, in dem er offenlegt, wie er der Ideologie verfiel. Am zukünftigen Handeln werden sich sowohl Naidoo als auch die Gesellschaft messen lassen müssen. Für einen Versöhnungsprozess dürften 3:15 Minuten allerdings nicht reichen.

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