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Rembrandt in Amsterdam: Wahrheiten des Menschseins

Alle Grafiken, alles auf Papier, 22 Gemälde: Zum Rembrandt-Jahr zeigt das Rijksmuseum Amsterdam seinen kompletten Bestand.

Künstlerjubiläen sind Anlass zur Schwelgerei, so wie jetzt in Amsterdam, wo das Rijksmuseum seine Ausstellung zum 350. Todestag des niederländischen Nationalkünstlers par excellence „Alle Rembrandts“ nennt und den nächsten Besucherrekord anpeilt. Vielfach sind Jubiläen auch Anlass zu tiefergehenden Fragen, die die Kunsthistoriker an Person und Werk haben und anhand einer breit angelegten Ausstellung zu beantworten suchen. Bei Rembrandt ist das nicht der Fall. Denn vor nunmehr 50 Jahren – auch schon wieder ein Jubiläum – wurde das Rembrandt Research Project begründet mit dem Ziel, das uferlos scheinende Oeuvre des Künstlers auf seinen tatsächlichen Kern hin zu verschlanken. Das ist denn auch erfolgreich gelungen; so erfolgreich, dass von den 637 Werken, die der Rembrandt-Kenner Abraham Bredius noch 1937 auflistete, zwischenzeitlich gerade einmal 250 übrig geblieben sind.

Seither ist die Zahl der als eigenhändig anerkannten Gemälde wieder auf rund 350 angestiegen; moderne Untersuchungsmethoden machten es möglich. Doch von des Gedankens Blässe angekränkelt ist die Amsterdamer Schau nicht oder nur unmerklich. Sie versammelt die 22 Gemälde aus eigener Sammlung, die das Rijksmuseum als gesichert glaubt, zusammen mit rund 60 Zeichnungen und 300 druckgrafischen Blättern zu einer Ausstellung, die man mit Fug und Recht „Alle Rembrandts“ titeln durfte.

Flinker und doch unglaublich sicherer Strich

„Alle“ – das sind natürlich nicht alle Gemälde, von denen es in zahlreichen Museen dieser Welt ganze Werkgruppen gibt, angefangen mit der Eremitage in St. Petersburg über die Gemäldegalerie Berlin bis zu einem vermeintlichen Provinzmuseum wie dem in Kassel, das über einen ganz exquisiten Rembrandt-Bestand verfügt. „Alle“ sind hier alle Grafiken, alles auf Papier, und das ist die wahre Sensation dieser Ausstellung: dass der Besucher dieses eine Mal vieles von dem zu sehen bekommt, was Rembrandt mit flinkem und doch so unglaublich sicherem Strich gezeichnet und längst nicht alles, aber doch das Beste, das er in den verschiedensten Techniken radiert und von der Platte abgezogen hat. Die Säle sind auf papierverträgliche 50 Lux abgedunkelt, was den Gemälden ihre bisweilen spektakuläre Leuchtkraft mindert, die Grafik aber als ein Weltreich der Kunst, der Beobachtung wie der Einfühlung, hervortreten lässt.

Die hauseigenen Experten um den Chef der Sammlungen, Gregor Weber, haben die Ausstellung in einer Art Stufenfolge aufgebaut. Auf die Person des 1606 in Leiden geborenen und aufgewachsenen Rembrandt folgen die Darstellungen seines familiären Umfeldes, die dem jungen, überaus ehrgeizigen Künstler als willige Modelle dienten; dann das alltägliche Umfeld von Nachbarn, Straßen, Begebenheiten; und schließlich die Auftragsporträts, die große Welt, die er sich ab 1631 in Amsterdam so erfolgreich erschloss. Der zweite Teil der räumlich durch ein Treppenhaus unterbrochenen Ausstellung nimmt dann Rembrandts großes Ziel, ein Historienmaler, also ein Schilderer biblischer Themen zu sein, ganz wörtlich und lässt ihn nacheinander als Erzähler des Alten Testaments, sodann des Lebens Jesu in den drei Abschnitten Geburt, Wirken und Wirkung sowie Tod und Auferstehung auftreten.

Rembrandt hat sich eine schier allumfassende Kenntnis des menschlichen Charakters angeeignet, indem er zuerst und immer wieder sich selbst, aber ebenso seine Zeitgenossen ohne Ansehung von Rang und Stand beobachtet und wiedergegeben hat. Mit dieser Kenntnis konnte Rembrandt, was vor ihm keiner konnte: die großen Themen, ob Gruppenporträt oder biblische Geschichte, lebensvoll darstellen, so dass sie den Betrachter ganz unmittelbar ergreifen und berühren.

Er konnte Angst, Freude, Kummer, Verzagtheit, auch schiere Bräsigkeit darstellen

Das meist gedankenlos hingeworfene Wort, nichts Menschliches sei ihm fremd – auf Rembrandt trifft es zu. Angst, Freude, Kummer, Verzagtheit, auch schiere Bräsigkeit konnte er darstellen. Die Kostümierungen, die er erfand, erhöhen den Reiz, ohne vom Drama abzulenken, das auf den Gesichtern spielt. Dass die Gemäldesammlung des Rijksmuseums einen Bogen vom frühen „Selbstbildnis als junger Mann“ von 1628 bis zum späten „Selbstbildnis als Apostel Paulus“ von 1661 spannen kann, ist ein Glücksfall, unterstreicht es doch, wie schonungslos Rembrandt zeitlebens mit sich selbst als dem ihm vertrautesten Menschen umgegangen ist, um der Wahrheit des Menschseins auf den Grund zu kommen.

Die Grafiken sprechen eine andere Sprache. In ihnen kommt beinahe mehr noch als in den Gemälden der Wagemut zum Ausdruck, mit dem Rembrandt die jeweilige Technik ausreizte. Das Hell- Dunkel, das er in seinen Gemälden mit geheimnisvollen, nicht zu verortenden Lichtquellen erzielt, ist in der Grafik ganz auf das Weiß des Papiers und das Schwarz der Druckfarbe reduziert.

In einem Meisterwerk wie dem Blatt „Drei Kreuze“ fällt auf Christus das Licht durch ein Dunkel, das im Laufe der mehrfachen Überarbeitung der Druckplatte immer dunkler wird und immer dramatischer. Fast gänzlich Schwarz ist dann der „Hieronymus in seiner Zelle“, während umgekehrt bei dem figurenreichen „Hundertguldenblatt“ zarte Umrandungen genügen, um die Zuhörer links vom wundertätigen Jesus darzustellen, während sie rechts in der Farbe versinken.

Grandios auch die intimen Tuschezeichnungen, wo wenige Striche genügen, die Bettstatt der früh verstorbenen Ehefrau Saskia als Ort eines existenziellen Dramas zu kennzeichnen. Rembrandt blieb von Schicksalsschlägen wahrlich nicht verschont. Das beglaubigt seine Bilder nur umso mehr. Er wusste, wovon er zeichnend, radierend, malend sprach. Es gibt auch Landschaften von ihm wie die „Drei Bäume“ von 1643, wo das Drama sich im regnerischen Himmel ereignet, und gemalt hat er einmal sogar ein Küchenstillleben, aber diese Gattungen überließ er anderen, es gab sie im Holland des „Goldenen Jahrhunderts“ reichlich. Was es nicht gab, war ein Gruppenporträt wie das der „Tuchmachergilde“ von 1662, deren würdige Herren er nicht einfach aufreihte, sondern im Moment der Überraschung festhielt, als ob der Künstler gerade, ohne anzuklopfen, durch die Tür getreten sei. Das berühmteste Gruppenbildnis ist das einzige aus dem Bestand, das seiner Größe wegen am angestammten Platz bleiben musste: die „Nachtwache“ von 1642, die im Altbau als Höchstgipfel niederländischer Kunst inszeniert ist.

Das Mauritshuis in Den Haag drängt sich als Ergänzung auf

In diesem Jubiläumsjahr wird es Rembrandt-Ausstellungen allerorten geben, und am besten zeigen Museen ihren eigenen Bestand. So macht es auch das ehrwürdige Mauritshuis in Den Haag, das sich als Ergänzung zur Amsterdamer Mammutschau förmlich aufdrängt: Elf eigenhändige und sieben strittige Gemälde sind dort ausgestellt, alle aus der eigenen Sammlung, darunter das späte Selbstportrait von 1669, das noch ein wenig meisterlicher ist als das im Rijksmuseum.

Das Museum Mauritshuis lässt den Besucher an den Zweifeln um die Autorschaft teilhaben und benennt seinen langjährigen Direktor Abraham Bredius als denjenigen, der bei der Jagd auf Rembrandt, die im späten 19. Jahrhundert auch Berlin erfasst hatte, die Nase vorn haben wollte und manche Gemälde akzeptierte, die die Forschung heutzutage nicht mehr gelten lässt.

Bredius war derjenige, der das Oeuvre auf 637 Werke hochrechnete, gerade so, als ob sich auf jedem niederländischen Dachboden noch ein Original finden ließe. Dem war nicht so. Aber in Den Haag lässt sich studieren, wie der Wunsch, etwas als echt zu erkennen, die Wahrnehmung trübt – und wie umgekehrt der zwischenzeitliche Purismus auch nicht der Weisheit letzter Schluss geblieben ist. Rembrandt jedenfalls hält sein Publikum in Atem, auch 350 Jahre nach seinem Tod am 4. Oktober 1669.

Amsterdam, Rijksmuseum, bis 10. Juni. Begleitbuch von Jonathan Bikker: Rembrandt. Biography of a Rebel, 25 €. – Den Haag, Mauritshuis, bis 15. September. Begleitbuch 14,95 €., www.rembrandt-2019.nl

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