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Würdevoll fotografierte Marino den indischen Bettler 2013.

© Marino

Reisebilder eines Engagierten: Spuren der Wahrheit

„Die Vergessenen“: Mario Marino zeigt seine eindringlichen Fotoporträts in der Galerie von Kories.

Fast 1000 Porträtaufnahmen müssen es sein, die er während der vergangenen fünf Jahre für sein Archiv gesammelt hat, schätzt Mario Marino. 18 davon wählte Hilaneh von Kories für ihre Schöneberger Galerie aus, andere sind auf Marions Website (www.mariomarino.com) zu sehen: großformatige, sowohl farbige als auch schwarz-weiße Arbeiten, die der 1967 in Tirol geborene, aber seit Langem in Deutschland ansässige Fotokünstler von den Reisen durch Indien, Äthiopien, Kuba und Mexiko mitbrachte.

Begegnungen auf Augenhöhe

Indien steht dabei, auch in dieser Ausstellung, an erster Stelle, und immer ist es die Begegnung mit den Ärmsten, aus der wahre Ikonen entstehen. „Ein Bettler mit seinen Kindern“ lautet der lapidare Titel einer dieser beeindruckenden Arbeiten. Der Mann mit Bart und strubbeligem Haar, der seine beiden Kinder liebevoll an sich drückt, sieht aus wie ein stolzer Kämpfer, der sich von den Umständen nicht unterkriegen lässt.

Der namenlose Bettler erwidert den Blick des Fotografen, und darauf kommt es Marino an: eine Begegnung auf Augenhöhe. Nah oder halbnah, nur selten in Distanz, hat er seine Kamera postiert, als wollte er den Menschen persönlich nahe sein. Oft wird ein Gespräch, bei dem ein Dolmetscher hilft, vorausgegangen sein, und nicht immer muss dabei ein Foto entstehen, das Marino seiner Sammlung einfügen kann. Was er anstrebt, sind mit seinen Worten „fotografische Psychogramme“, die das Profil des Porträtierten entwerfen, Idealbilder beinahe. Marino erschafft sich eine Galerie von Menschen aus Regionen jenseits der Wohlstandsgesellschaft, die er geradezu flieht, indem er immer wieder zu Reisen aufbricht. Er liebt die Menschen, die dort leben, und darum modelliert er ihren Stolz wie auch ihre Warmherzigkeit. Man sieht dem Kamelreiter, der dem Fremden den Kopf zuwendet, nicht an, wie schwer seine Arbeit ist, dem äthiopischen Mädchen noch weniger, wie bedrückend, nach unseren Maßstäben, sein Alltag ist. Marino zeigt den Leuten aber auch, wie sie sich selbst sehen möchten – ein Wanderfotograf im besten Sinne.

Ein Lächeln, keine Notlage

Aber was sagen uns diese Porträts? Ebendies: dass nicht allein das Elend dort herrscht, wo unsere Lebensmaßstäbe nicht gelten. „Die Vergessenen“ nennt er die Serie über sogenannte Ur-Gypsies, den in Indien verbliebenen Teil des in alle Welt zerstreuten Volks der Sinti und Roma. Den Anstoß dazu gab ihm die berühmte Bildfolge des tschechischen Magnum-Fotografen Josef Koudelka über Roma-Siedlungen in Rumänien aus den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Doch erschüttern, das wollte und will Marino nicht. Eher lobpreisen, indem er das Umfeld ausblendet und sich voll auf das Gesicht konzentriert, dessen schattiger Glanz, wie bei dem herausragenden Porträt eines Mädchens, vor einem abgedunkelten Hintergrund seine Schönheit entfaltet. Ein Lächeln, keine Notlage, wie sie Koudelka ins Auge fasst, ist es, was dem Betrachter von diesem Bildeindruck bleibt.

Doch es kann auch mehr sein, wie bei dem in gleicher Manier gestalteten Kopfbild einer alten Mexikanerin, in deren Gesicht das Leben Dutzende Falten gegraben hat. Statt sie zu glätten, hat Mario Marino diese Furchen von Kummer, Leid und seltenem Glück fast betont – auf den Spuren der Lebenswahrheit. Die limitierten und handsignierten Prints werden in zwei unterschiedlichen Größen angeboten und kosten zwischen 2000 und 5800 Euro.
Galerie Hilaneh von Kories, Belziger Str. 35, bis 10.2., Di–Fr 14–19, Sa 12–15 Uhr. Am 11.2. nach telef. Vereinbarung

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