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60 Alben, 500 Lieder. Reinhard Mey liebt den leichten französischen Ton. Foto: dpa

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Reinhard Mey: Orpheus über den Wolken

Der Liedermacher Reinhard Mey wird am Freitag 70.

Die Episode mit dem „Echo“ ist schon lange her. Anfang der Neunziger war das. Da ist Reinhard Mey schon fast 30 erfolgreiche Jahre im Geschäft und bekommt bei der zweiten Verleihung des damals noch neuen und unbekannten Musikpreises einen Echo für sein Lebenswerk überreicht. Mit der professionell durchchoreografierten, vom Fernsehen übertragenen Selbstbeweihräucherungsshow der Musikindustrie hat die vermurkelte Zeremonie im Wintergarten-Varieté damals nicht die Bohne zu tun.

Preisträger Reinhard Mey ist ganz ohne Tross, aber in der obligatorischen Lederjacke erschienen und hält höflich bis zum Ende der endlosen Verleihung aus. Dann klemmt er die Trophäe unter den Arm und macht sich durchs leere Foyer davon. Der dort wartenden Radioreporterin weicht er trotzdem nicht aus. Sie probiert es beim berühmten Menschenfreund mal mit Sarkasmus. Ob dieser komische Echo für eine Größe wie ihn nicht völlig unerheblich sei? Er: „Ich freue mich über jeden Preis.“ Aber der Abend war doch stümperhaft organisiert? Er: „Ich bin meinem Publikum sehr dankbar, dass es mich weiter hören will.“ Und die hässliche Trophäe? „Finde ich ganz schön.“ Lektion gelernt. Flapsigkeit verfängt bei Reinhard Mey nicht. Die perlt am Herzensadel des guten Menschen von Frohnau, wie der Chansonnier inoffiziell im Untertitel heißt, aber so was von ab.

Und für den „Echo“ wird der sicher kommerziell erfolgreichste Liedermacher des Landes seither immer wieder nominiert. Im vergangenen Jahr gerade erst für sein Album „Mairegen“. Mehr als 60 Städte umfasste die wie immer im Dreijahresturnus angesetzte Tournee dazu, alle Konzerte fanden wie immer vor ausverkauftem Haus statt. Die nächste ist schon für 2014 geplant, vorher kommt im nächsten Jahr noch das Album „Dann mach’s gut“ heraus. Natürlich wie immer im Mai.

Ja, Reinhard Mey kann zufrieden sein, wenn er am heutigen Freitag an unbekanntem Ort im Kreise seiner Lieben auf seinen 70. Geburtstag anstößt. Es läuft gut für ihn – seit fast 50 Jahren, 60 Alben, 500 Liedern schon. Und davor eigentlich auch. Der in Wilmersdorf geborene, aber schon ewig in Frohnau ansässige Juristensohn absolviert das Französische Gymnasium, lernt Industriekaufmann, greift zur Klampfe und tritt in den Berliner Folkclubs der Sechziger mit Kollegen wie Ulrich Roski, Jürgen von der Lippe und Hannes Wader auf. 1964 kommt sein erstes Chanson „Ich wollte wie Orpheus singen“ heraus und von da an ist seine zweisprachige Karriere in Deutschland und über viele Jahre auch in Frankreich nicht mehr aufzuhalten.

Trotz kabarettistischer Songs wie „Ich bin Klempner von Beruf“ oder „Diplomatenjagd“ ist Reinhard Mey kein Spaßbarde. Doch ein Politbarde ist der Friedenskämpfer, Tierschützer und vielfache Geldspender auch nicht. Mey bleibt ein melancholisches und trotzdem massenkompatibles Unikat. „Über den Wolken“ kennt einfach jeder. Er ist der nette Typ an der Gitarre geblieben. Familiär, moralisch, integer. Bloß gut, dass er über die Jahre immer mal wieder kiebig geworden ist. Sei es, um Fanseiten im Internet zu verhindern und gegen eine nicht autorisierte Biografie zu klagen. Oder um gegen die von ihm als „Gartennazis“ titulierten Rasenmäher in Kampen auf Sylt zu wettern, wo der Poet ein Haus besitzt.

Seine private Tragödie – Meys Sohn Max fiel 2009 ins Wachkoma – hat der Sänger einmal öffentlich gemacht und danach nur noch im Lied „Drachenblut“ darüber gesprochen. Still will er nun auch den Geburtstag feiern, erzählt er auf seiner Homepage. „Ich habe Grund zu Dankbarkeit“, schreibt er, „und Dankbarkeit ist leise.“ Gunda Bartels

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