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Wer hat, der hat. Sophia Loren und Vittorio Gassman in der Komödie „Die Übersinnliche“ (Questi fantasmi, 1967).

© imago/United Archives

Reichtumskatastrophe: Ein Geruch nach Geld

Das Literaturforum im Brecht-Haus fragt: Was tun gegen die „Reichtumskatastrophe“?

Reichtum ist ein scheues Reh. Das gilt nicht nur für die Diskretion, die ihn umgibt, sondern auch für den Umstand, dass das oberste Prozent der Einkommens- und Vermögensreichen aus der statistischen Erfassung fällt und lediglich durch schätzenden Zugriff eingefangen werden kann.

Aber wer ist eigentlich reich? Das genannte obere Prozent? Die 1,2 Millionen Vermögensmillionäre, die es in Deutschland gibt? Oder doch nur das obere Promille der Bevölkerung, das über 30 Prozent des Gesamteinkommens verfügt? Der Eliteforscher Michael Hartmann fasst es so: Reich ist, wer in Wohlstand von seinem Vermögen leben kann, wozu rund drei Millionen Euro nötig sind.

Diese Gruppe von Reichen ist verantwortlich für die „Reichtumskatastrophe“, mit der sich ein Wochenende lang Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler im Berliner Brecht-Haus herumschlugen. Denn wer, wenn nicht die Kunst und Literatur, so das Programm, biete einen Ort, um das Thema Reichtum frei von Stereotypen zu erörtern?

Von einer Katastrophe muss gesprochen werden, weil der Reichtum der Wenigen die Armut der Vielen voraussetzt, ganz im Sinne des Brecht’schen Kinderverses: „Reicher Mann und armer Mann / standen da und sah’n sich an. / Und der Arme sagte bleich: / Wär’ ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“

Reichtum, so Hartmann, treibe die soziale Spaltung voran, insofern zum Beispiel Geld in Immobilienkapital umgewandelt werde und damit das Wohnungselend in den Städten forciere. Reichtum polarisiert aber auch in Bezug auf Bildung, schränkt die soziale Mobilität ein und produziert ein homogenes Feld von Wissens-, Meinungs- und Entscheidungsträgern, die aus ihrer verzerrten Sicht die Wirklichkeit wahrnehmen. Diese vom Großteil der Bevölkerung zunehmend als ungerecht empfundenen Verhältnisse spielen dem Populismus in die Hände, mit allen gefährdenden Wirkungen für die Demokratie.

Am Welträdchen drehen

Soziologischer Rundumschlag, sicher, und, um in Brechts Kosmos zu bleiben, höchstens (Be)Griffe, um am Welträdchen zu drehen. Wie schwierig es ist, des Reichtums in der Kunst und Literatur habhaft zu werden, offenbarten zwei von Elke Brüns befragte Schriftstellerpodien, die, aufgefordert, über Reichtum zu sprechen, in kürzester Zeit wieder in den Niederungen der Armut landeten.

Offenbar entziehen sich die Reichen nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Kunst. Ein Grund dafür ist, dass es den Autorinnen und Autoren, die sich in der Regel aus der Mittelklasse rekrutieren, an Expertise fehlt, ein Umstand, den die Musikerin und Schriftstellerin Christiane Rösinger heftig beklagte, Jonas Lüscher indessen bezweifelte, indem er auf die jüngere Literatur aus dem Milieu der Zuwandernden verwies.

Zum anderen aber drohen reiche Protagonisten schnell zum Klischee zu werden. Damit hatte Anke Stelling zwar überhaupt kein Problem, Enno Stahl dagegen vermisste analytische Kriterien, mit denen Reichtum auf den Leib zu rücken wäre. In diesem Zusammenhang reaktivierte er eine längst vergessene marxistische Figur, die „Charaktermaske“ als Personifikation ökonomischer Verhältnisse.

Mikro oder Makro?

Damit jedoch sei, wurde gekontert, zumindest dem algorithmischen Finanzkapitalismus nicht beizukommen. In der Folge verhedderten sich Stelling und Stahl in einen wenig fruchtbaren Streit darüber, ob man sich dem Phänomen Reichtum besser auf der Mikro- oder der Makroebene annähern solle.

Kathrin Gerlof nahm eine Überlegung von Michael Wildenhain auf, der eine neue operative Literatur eingefordert hatte, die die benachteiligten Klassen zum Widerstand ermächtige. Wut und Zorn, stellte Gerlof fest, fänden sich in der jüngeren Literatur als emotionale Triebfedern nämlich viel zu selten.

Gleichzeitig räumte sie ein, dass Literatur über Reichtum leichter scheitern könne als über andere Gegenstände. Zumal die Reichen sich möglicherweise anschicken werden, die Erde zu verlassen und sich extraterrestrisch anzusiedeln.

Obszonität durch Überspitzung

Stoff also für Science-Fiction, vielleicht auch für die Groteske? Denn wie sollte obszöner Wohlstand anders ins Bild zu setzen sein als durch grobe Überspitzung? Die Maler der klassischen Moderne wie George Grosz wussten diese damals noch schamloser ausgestellte Obszönität prägnanter einzufangen als die Literatur.

Doch der heutige Reichtum hat nicht nur seine Quellen erweitert, sondern auch seine Performance verändert, und manchmal kommt er wie im Fall von Dirk Rossmann tränentreibend kleinbürgerlich daher. Dafür, sagte Michael Wildenhain, hege er sogar Sympathien.

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