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Und die SA schaut zu. Dienstzimmer der Nebenstelle Montabaur des Arbeitsamtes Niederlahnstein, um 1940.

© SEAD-BA

Reichsarbeitsministerium 1933-1945: Eine Säule des Systems

Beamte unterm Hakenkreuz - Das Reichsarbeitsministerium spielte im Nationalsozialismus eine bedeutende Rolle bei der Zwangsrekrutierung von Arbeitern

Im März 1919, also vor einhundert Jahren, wurde das Reichsarbeitsministerium der Weimarer Republik gegründet. Angesichts der sozialen Not, der hohen Arbeitslosigkeit nach dem Ersten Weltkrieg und der damit einhergehenden Demobilisierung von Millionen von Soldaten kam der neu geschaffenen Behörde eine große Bedeutung zu – der Ausbau des Sozialstaates war eine der Errungenschaften der Weimarer Republik. Sie wurde zu einer Art „Superministerium“, das sich um viele Themenfelder kümmern musste, so etwa um die Arbeitsvermittlung, das Arbeitsrecht, die Sozialversicherung, das Wohnungs- und Siedlungswesen sowie die Kriegsopferfürsorge. Gerade die 1927 eingeführte Arbeitslosenversicherung war eine der bedeutendsten Neuerungen. Aufgrund der vielseitigen Aufgaben wurde es schnell das Ministerium mit dem größten Einzeletat.

Den Nationalsozialisten war dieses Ministerium von 1933 an „ein Dorn im Auge. Es galt als Symbol der Weimarer ,Systemzeit‘. Im Ministerium und seinen nachgeordneten Behörden waren bis 1933 zahlreiche Beamte tätig, die der SPD oder der Zentrumspartei nahestanden“, schreibt der Historiker Alexander Nützenadel in einem Katalogbeitrag der Ausstellung „Das Reichsarbeitsministerium 1933–1945. Beamte im Dienst des Nationalsozialismus“, die jetzt in der Stiftung Topographie des Terrors zu sehen ist. Nützenadel war seit 2013 Mitglied und Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Auf Basis dieser 2017 vorgelegten Studie hat Swantje Greve, ebenfalls Mitglied der Kommission, die dazugehörige Schau erarbeitet.

Die historische Forschung hatte sich bisher wenig mit dem Reichsarbeitsministerium beschäftigt, zumal dieses im Laufe der NS-Herrschaft spätestens ab 1938 und noch einmal ab 1942 Kompetenzen an NS-Organisationen abgeben musste. Darauf hatten sich nach 1945 auch viele führende Beamte berufen.

Zunächst hatte Hitler aus seiner Verachtung für die Ministerialbürokratie keinen Hehl gemacht. Die NSDAP verfügte aber nach 1933 nicht über genügend fachlich geschultes Personal, um Spitzenpositionen zu besetzen. Und da die Arbeitslosigkeit 1933 noch immer hoch war, erkannte Hitler schnell, dass er auf eine funktionierende Bürokratie angewiesen war – zumal in einem Staat, der die parlamentarische Kontrolle der Regierung abgeschafft hatte. Von einer Auflösung dieses Ministeriums, wie von einigen Parteigenossen gefordert, war nun keine Rede mehr.

Reichsarbeitsminister Franz Seldte (1882-1947), 1933. Er war von 1933 bis 1945 Minister des größten Ministeriums.
Reichsarbeitsminister Franz Seldte (1882-1947), 1933. Er war von 1933 bis 1945 Minister des größten Ministeriums.

© Bayerische Staatsbibliothek München / Bildarchiv

Reichsarbeitsminister wurde Franz Seldte, Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei DNVP und Vorsitzender des „Stahlhelm“. Er konnte sich trotz vieler Anfeindungen bis 1945 auf dem Posten halten, wenngleich er „über keinerlei Erfahrungen auf dem Gebiet der Arbeits- und Sozialpolitik“ verfügte, wie Nützenadel schreibt. Er sollte wohl das rechtskonservative Bürgertum repräsentieren. Die meisten Beschäftigten arbeiteten weiter, doch nicht so viele Spitzenbeamte. So wurde etwa Dorothea Hirschfeld, Direktorin der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung, wegen ihres jüdischen Glaubens und ihrer SPD-Mitgliedschaft in den Ruhestand versetzt und 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Fritz Sauckel (1894-1946), undatiert. Sauckel war seit 1927 Gauleiter der NSDAP in Thüringen und von 1942 bis 1945 Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, sprich Zwangsarbeit. Er wurde 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Fritz Sauckel (1894-1946), undatiert. Sauckel war seit 1927 Gauleiter der NSDAP in Thüringen und von 1942 bis 1945 Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, sprich Zwangsarbeit. Er wurde 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet.

© Bayerische Staatsbibliothek München / Bildarchiv

Als 1938 Wilhelm Börger, ein NSDAP-Hardliner, Chef der Personalabteilung wurde, wurden verstärkt Parteimitglieder eingestellt. Mit der beginnenden Aufrüstung wuchs der Bedarf an Beamten und Arbeitskräften – und damit auch an Beamten im Reichsarbeitsministerium. Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wurde in das Ministerium integriert. So regelte es fast alle Fragen des Arbeitsmarktes, mit Kriegsbeginn zunächst auch die Arbeitskräfterekrutierung in den besetzten Gebieten. Insofern spielt das scheinbar harmlose Ministerium, das Kompetenzen abgeben musste, bei der Zwangsrekrutierung von Arbeitern im besetzten Ausland eine große Rolle. Ohne die effektive Maschinerie des Beamtenapparates wäre es den Nazis nicht gelungen, einen Angriffskrieg an mehreren Fronten zu führen, was die Wirtschaft vor große Herausforderungen stellte. Insgesamt waren mehr als 13,5 Millionen Kriegsgefangene, Gefangene und Zwangsarbeiter für die deutsche Kriegswirtschaft im Einsatz. Damit wurde das Reichsarbeitsministerium zu einem bedeutenden organisatorischen Machtfaktor im nationalsozialistischen Herrschaftssystem und war längst nicht so harmlos, wie es nach 1945 von vielen Betroffenen dargestellt wurde.

Gebäudekomplex des Reichsarbeitsministeriums in der Saarlandstraße (heute: Stresemannstraße), um 1940.
Gebäudekomplex des Reichsarbeitsministeriums in der Saarlandstraße (heute: Stresemannstraße), um 1940.

© Postkarte (Kunstanstalt Stengel & Co. GmbH in Dresden)

Im Inland nutzte das Ministerium viele Möglichkeiten, die Bevölkerung zu „disziplinieren“. Ab 1938 wurden erwerbslose Juden zur Arbeit gezwungen. Die Renten wurden wegen der angeschlagenen finanziellen Lage der Sozialversicherung gekürzt, Beiträge erhöht. Vor allem deutschen Juden wurden Versicherungsleistungen verweigert, die Rentenzahlungen für ins Ausland Deportierte eingestellt. Auch in den Ghettos von Theresienstadt und Litzmannstadt – rechtlich Inland – stoppte man die Rentenzahlung an Juden; das Ministerium akzeptierte dies. Die deportierte jüdische Rentnerin Anna Fetterer hatte nach ihrer Befreiung 1945 gegen die Einbehaltung der Zahlungen geklagt – ohne Erfolg.

„Dass es zu keinen Prozessen gegen führende Beamte des Ministeriums kam, trug erheblich zu dem Bild einer unpolitischen Behörde bei, die nicht in den Nationalsozialismus verstrickt war“, schreibt Nützenadel im Fazit. Tatsächlich war sie aber eine bedeutende Säule des NS-Herrschaftssystems. Dass dies nun klargestellt ist, ist das Verdienst dieser Studie und dieser Ausstellung.

Mehr im Internet: topographie.de/reichsarbeitsministerium

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