zum Hauptinhalt
Berivan Kaya in Ayşe Polats Film "Ein Fest für Beyhan" von 1994.

© Ayse Polat / Berlinale

Regisseurinnen der Berlinale-Retrospektive: "Warum sollten Männer es besser können?"

Die Retrospektive reflektiert dieses Jahr die Situation von Regisseurinnen in Ost und West. Ein Gespräch mit Helke Misselwitz und Ayşe Polat.

Helke Misselwitz, Jahrgang 1947, studierte an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg. Ihr Dokumentarfilm „Winter adé“ gilt als eindrücklichstes Porträt von Frauen in der späten DDR. Von 1997 bis 2014 war sie Professorin in Babelsberg. In der Retrospektive laufen ihre Dokus „Aktfotografie, z. B. Gundula Schulze“ und „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann“.

Ayşe Polat, Jahrgang 1970, kam mit acht als Tochter kurdisch-türkischer Eltern nach Hamburg. Seit Schülerinnentagen dreht sie Kurz-, Spiel- und Dokumentarfilme. Ihr Film „En Garde“ (2004), der einen Silbernen Leoparden in Locarno gewann, zählt zur Berliner Schule. 2018 führte sie in der Fernsehserie „Der Staatsanwalt“ Regie. In der Retrospektive wird ihr Kurzfilm „Ein Fest für Beyhan“ (1994) gezeigt.

Frau Misselwitz, Frau Polat, trifft der Titel der Retrospektive „Selbstbestimmt“ auf Ihre Filme zu?

POLAT: Mein Kurzfilm „Ein Fest für Beyhan“ erzählt die Geschichte einer jungen Deutschtürkin, die sich von ihrer Familie abnabeln und befreien möchte. Ich habe eine assoziative Bildsprache dafür gefunden. Als Regisseurin habe ich es nach meinen Anfängen als Autodidaktin immer mit vorgegebenen Strukturen zu tun bekommen. Da prägen oft die Fernsehanstalten mit, was man produziert.

MISSELWITZ: Ich würde das Wort „selbstbestimmt“ gern abwandeln. Für mich war wichtig, in dem Gebilde, aus dem ich komme, Ich zu sagen. Das DDR-Fernsehen hatte mich zum Studium delegiert, aber ich wollte danach nicht in die Jugendabteilung zurück und ein Pionier-Magazin machen. Ich wollte mitbestimmen, was ich zukünftig drehe. An der Filmhochschule habe ich mich viel mit der Geschichte von Frauen beschäftigt. Im Fernsehen war das nicht möglich, aber in eine andere staatliche Filminstitution reinzukommen, wurde schwer. Ich hab’s mit Beiträgen für die Kinobox geschafft, einer Produktionsgruppe im DEFA-Dokumentarfilmstudio, eine Art Auffangbecken.

Warum ist Ich-Sagen bei Frauen ein Qualitätsmerkmal und offenbar wichtiger als bei Männern?

MISSELWITZ: Männer mussten das nicht zugeben. Das ist historisch bedingt. Sie hatten die Macht.

POLAT: Ich frage mich, ob das Filmprojekt einer Frau eher durchkommt, wenn sie es aus ihrem Innersten schöpft, obwohl sie ohne Distanz zu ihrem Thema gar nicht dazu in der Lage wäre. Gerade im Dokumentarfilm zeigen Frauen sehr viel Intimität, in Filmen über Anorexie, Vergewaltigung oder den weiblichen Körper. Das bleibt im Gedächtnis, aber ich habe den Eindruck, dass damit eine Erwartung bedient wird. Das Bild, das Frauen anders empfinden, wird von den mehrheitlich männlichen Bestimmern in unserem Beruf unterstützt.

MISSELWITZ: Ich meine mit Ich-Sagen, dass ich bestimme, was und wie ich mein Thema erzähle. Die Kurzfilme der Kinobox konnte ich nur annehmen, weil ich sie zu meinem Auftrag gemacht habe. Ich wollte die Distanz überwinden, wollte entdecken, was mich daran interessiert. Bei meinem Film „Tango-Traum“ wollte ich gern wissen, was der Tanz und seine Geschichte mit mir zu tun haben. Woher der Tanz kommt, welche gesellschaftlichen Bedingungen ihn nach Argentinien gebracht haben. Ich wollte die Sehnsucht nach einer anderen Kultur sinnlich nachvollziehbar machen und die Unmöglichkeit beschreiben, etwas zu erleben, was unerreichbar war.

Helke Misselwitz.
Helke Misselwitz.

© Andreas Klaer

Waren Sie immer Autorinnen Ihrer Filme?

MISSELWITZ: Manchmal habe ich mich auf Recherchen gestützt, aber das Konzept habe ich selbstständig entworfen. Zu einem Todestag von Karl Marx hatte ich den Auftrag für einen kurzen Film über die sieben schlimmen Jahre der Familie. Ich bin selber los, habe Archivmaterial besorgt und einen Drehort gefunden, eine offene Abrissruine. Wir haben mit einer alten mechanischen Parvo L-Kamera gearbeitet, mit der man direkt während des Drehens wunderbar Überblendungen machen konnte. Einfach das Material in der Kamera zurückspulen und auf demselben Stück Film neu ansetzen, das wollte ich unbedingt ausprobieren. Solche Abenteuer waren oft damit verbunden.

POLAT: Ich schreibe die Drehbücher für meine Filme selbst und halte genau fest, wie ich mir die Bilder vorstelle. Aber mittlerweile arbeite ich auch als Auftragsregisseurin. Dass ich die eigenen Projekte jahrelang mit mir schleppe, hat Vor- und Nachteile, bringt aber am meisten Spaß.

MISSELWITZ: Schreiben Sie assoziativ?

POLAT: Kreieren heißt für mich, es geht um den Fluss und die Fokussierung der Geschichte. In meinem Film „En Garde“ gibt es eine traumatisierte Außenseiterin in einem Heim für junge Mädchen. Es gibt Momente, in denen sie ihr Ich verliert, da weiche ich in assoziativen Bildern von der linearen Geschichte ab.

30 Prozent Quote für Regisseurinnen, ist das der Weg, um die weibliche Weltwahrnehmung sichtbar zu machen?

POLAT: Es ist eine Frage des Überlebens, denn das Fördersystem für Autorenfilmerinnen ist sehr schwerfällig. Aber der eigentliche Skandal ist, dass bislang zu wenig ausgebildete Frauen Arbeit im deutschen Filmbusiness bekommen. Warum sollten Männer es besser können? Die Quote ist wichtig, weil sich die Strukturen nicht von allein regulieren.

MISSELWITZ: Ich finde es gerecht und überfällig, dass Frauen in dem Beruf ebenso existieren können wie Männer. Das andere Problem ist das Fördersystem mit risikolosen Entscheidungen. Ich frage mich, wo die sind, von denen ich weiß, dass sie starke Drehbücher schreiben.

Ayse Polat.
Ayse Polat.

© Imago

Frau Polat, erwartet man von Ihnen Geschichten über Ihre Herkunftskultur?

POLAT: Meine Wurzeln sind nur ein Teil meiner Identität. Dass meine Filme darauf reduziert werden, macht mich traurig. Als ich erfuhr, dass mein Kurzfilm „Ein Fest für Beyhan“ in der Retrospektive gezeigt wird, war ich sehr glücklich. Als ich sah, dass er vor einem Dokumentarfilm einer Deutsch-Türkin platziert wurde, hat mich dies irritiert. Denn mit dem Label „Deutsch-Türkisches Kino“ hatten wir lange Zeit zu kämpfen, da es die Werke auf die Herkunft der Filmemacherinnen reduziert. Dabei geht es um Ästhetik, um Film, nicht nur um kulturelle soziologische Phänomene. Ich mache Filme über universelle Geschichten und Gefühle.

MISSELWITZ: Thematisieren Sie das bei Ihren Einführungen?

POLAT: Wir haben auf Podien oft gesagt, dass wir nicht als deutschtürkisches Kino gelabelt werden wollen. Man diskutiert es, aber es bleibt dabei.

Identität ist inzwischen ein Begriff mit großem Konfliktpotenzial. Er wird von rechts ins Feld geführt, um andere auszugrenzen, aber in künstlerischen Debatten gilt erkennbare Identität als Qualitätsmerkmal.

POLAT: Wenn konkrete Verortungen verhandelt werden, finde ich die Suche nach Identität plausibel. Jemand aus Wien erzählt anders als jemand aus Hamburg. Heimat und Zugehörigkeit sind wichtig, aber mir geht es um das Problem, dass einem eine ästhetische Herangehensweise abgesprochen und alles soziologisch-politisch-inhaltlich „gelesen“ wird. Identität kann mein Thema sein, trotzdem ist Film ein ästhetisches Medium.

MISSELWITZ: Ich stelle fest, dass man in der Retrospektive meist unter sich bleibt. Was wäre, wenn man Ayşe Polats „En Garde“ und „Heim“ von Angelika Andrees und Petra Tschörtner zusammen zeigt, um zu sehen, was passiert, wenn so unterschiedliche Wesen aufeinandertreffen? Gab es in beiden deutschen Filmkulturen ästhetische Verwandtschaften? Was waren die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür? Ist etwas vom Osten in den Westen geschwappt und umgekehrt? Im Vergleich den Horizont erweitern, das würde mir gefallen.

„Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann“, 16.2., 17.15 Uhr; „Ein Fest für Beyhan“, 16.2., 13 Uhr (beide Zeughauskino)

Zur Startseite